Kriegerdenkmal in Ahrweiler
Nahe dem verwüsteten Friedhof beim Ahrtor in Ahrweiler hat das Gefallenendenkmal das Hochwasser stoisch ausgestanden. Und mahnt so weiter gegen die menschengemachte Katastrophe des Krieges.
Thomas Rheindorf
Es sieht aus wie im Krieg?
Bilder und Berichte sind heikle Angelegenheiten, besonders in Zeiten des Krieges. Ich sehe und höre im Fernsehen vom Krieg und sehe und erlebe die Nachbeben einer Naturkatastrophe hier real. Beides verschwimmt zu einer unguten Stimmungslage.
11.03.2022

Meine Opas sind beide „im Krieg gebleiben“. Meine Omas habe ich nie als grämliche Kriegswitwen erlebt, habe keine solche Trauer bei ihnen verspürt. Sie liebten mich als ersten Enkel und ich liebte sie. Sie waren mir genug. Ob da noch Platz für Großväter gewesen wäre – schwer zu sagen, vermisst habe ich sie nicht. Doch sie waren auch nicht komplett weg.

Wenn ich zu Besuch war, kamen wir oft am grauen Steinquader des Kriegerdenkmals am Ahrtor vorbei. Was aber ist ein Kriegerdenkmal für ein in den späten Sechzigern geborenes Kind? Als ich lesen konnte, suchten wir die Opas. Nicht leicht in der langen Liste angewitterter Namen. Das Kind wusste nichts von Nazis und von Stalingrad und ein Gefallener war jemand, der hingefallen war.

Im magischen Realismus des Kindes waren die Großväter Männer, die es zu etwas gebracht haben, da sie dort so in aller Öffentlichkeit in Stein gemeißelt waren. Die zwischen die Namenslisten gemeißelten Figuren waren so heldenhaft erhaben wie „Big Jim“, eine Spielpuppe, die ich nie bekam, zu der ich aber Sympathien hegte. Diese Heldenopas waren dort und blieben standhaft, anders als die Menschen auf den Litfaßsäulen, die immer wechselten. Standhaft bleiben sie auch in der Nacht des Hochwassers – es konnte sie nicht erschüttern.

"Hier sieht es ja aus wie im Krieg..."

Anders erging es jenen, die die letzten Kriegsjahre des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit als Kinder und Jugendliche bewusst miterlebten. „Hier sieht es aus wie im Krieg“, habe ich in den Tagen nach der Flut oft gehört. Das kann ich nachvollziehen: In der Grundschule las uns die Religionslehrerin „Nachts schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert vor. Ich war zutiefst ergriffen und habe das Kleinod der Trümmerliteratur und was es in mir auslöste nie vergessen. In der zweiten Julihälfte 2021 wurde das real: Tote unter Trümmern, nicht im Fernsehen, sondern gleich zwei Häuser weiter. Ratten waren auch bald da.

Doch hier ins Ahrtal kamen Helfergruppen, die intakte Infrastruktur stand bereit

Man sagte auch: „Zustände wie nach einem Krieg.“ Das stimmt aber so nicht, wie jetzt bitter mitzuerleben ist. Der Überfall der russischen Armee auf die Ukraine bringt Horror, Terror und immer neues Leid über ein ganzes Volk. Und es ist wie bei einer Schulhofprügelei: Viele stehen drumherum und feuern den Unterlegenen an. Nur es kommt niemand, der die Aufsicht hat. Ins Ahrtal kamen fast unmittelbar unfassbar viele Helfer und ein Industrieland mit intakter Infrastruktur stand bereit. Politiker und Entscheider waren betroffen vom Ausmaß der Zerstörung, aber sie hatten Ideen, wie die Not zu wenden sei.

Das Schwere wird nicht leichter dadurch, dass noch Schlimmeres passiert

Man sollte Naturkatastrophen wie an der Ahr und Krieg nicht vergleichen und abwägen. Man sollte nicht darüber befinden wollen, ob Hungersnot oder Erdbeben oder Vulkanausbruch oder Hochwasser schlimmer seien. Man sollte keinen Highscore der Toten oder der Schadenssummen als Maß für Empathie berechnen. Genau so ist es bei den menschengemachten Katastrophen: Für die Opfer ist der U-Bahn Anschlag 2004 in Madrid so unerträglich die Amokfahrt 2020 in Trier, der Überfall auf Georgien so barbarisch wie der auf die Ukraine. Das Schwere wird nicht leichter dadurch, dass noch Schlimmeres passiert. Und wenn ich in der Tinte sitze hilft es wenig, dass anderen auch das Wasser bis zum Hals steht.


Erzielt man an der Ahr Einigkeit über den Wiederaufbau, verschafft den Geschädigten Recht und erlangt einmal wieder die Freiheit, nicht allein Tal der Opfer zu sein, dann – so hat es uns Hoffmann von Fallersleben in die Nationalhymne geschrieben – werden wir im Glanze dieses Glückes wieder blühen. Der Krieg in der Ukraine macht, dass dieses Glück kein ungetrübtes sein wird. Im noch Unfertigen erwächst uns die Aufgabe, mit dem Leid der Flüchtenden nicht fertig zu werden und uns ihrer solidarisch anzunehmen. Im Krieg bleiben ist schlimm, Frieden finden das Ziel.

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