Projektion von Bildern auf einen mächtigen Fächer aus zerstäubtem Wasser vor Publikum.
Die Show mit Wassermassen, Licht und Musik ist seit Jahren ein Publikumsmagnet in der Kurstadt. Erstmals im Frühling war sie ein Geschenk der Stadt an Einwohner und Helfer
Thomas Rheindorf
Gedenken. Gedanken. Na, danke!
Ich bin eingeladen worden. Von der Stadt, in der ich lebe. Wie alle andern Bürger auch. Und Helfer. Als Dank für unseren Einsatz und unsere Geduld nach dem Hochwasser. Eine Katastrophe, für die die Stadt nichts konnte. Dennoch will sie sich bedanken. Mit Gratiskultur. Das ist freundlich. Leider will es nicht so ganz gelingen.
06.05.2022

Die „Klangwelle“ ist als kollektive Lustbarkeit seit 2014 eine Neuenahrer Spezialität: abendliche Wasserspiele im Kurpark, kombiniert mit farbigem Licht, etwas Lasershow und als Kirsche auf Torte Feuerwerk und Pyrotechnik. Dazu viel laute Mainstreammucke als Potpourri. Auch reichlich Gastrostände und reichlich Wein. Seit Jahren ist das im Oktober stattfindende Ereignis ein Publikumsmagnet. Die Ambitionen und das Selbstbewusstsein der Veranstalter sind hoch: „Gigantische Fontänen aus Milliarden Wassertropfen, die über 30 Meter in den Nachthimmel schießen, ein faszinierendes Farbenspiel aus Licht- und Lasereffekten, geniale Musikstücke von Klassik bis Pop und feurige Pyrotechnik-Akzente: Die Klangwelle Bad Neuenahr-Ahrweiler vereint die Elemente Wasser, Feuer, Laser, Licht und Musik zu einer einzigartigen Mega-Show mit Gänsehaut-Faktor“, liest man auf der Homepage.

Dankesworte und Devotionalien

Da lag es nahe, dieses Format als Dank der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler an die Bürgerschaft und die, die geholfen haben, zu nutzen. Eine Einladung an die Geplagten, eine Anerkennung für die Tatkräftigen. Kultur für die Flutbetroffenen zum Nulltarif. Simsalabim – aus Klangwelle wird Dankwelle. „Die stärkste Form der Bitte ist der Dank“, sagt der Bürgermeister – und will damit wohl sagen, dass das Ahrtal noch lange nicht aus dem Schneider sei und weiterer Hilfe von andernorts bedürfe. Er hat seinen Heiko-Maas-Anzug gegen eine södereske Strickjacke eingetauscht. Sein eindringliches Statement spricht er nicht persönlich, es ist eine Aufzeichnung, die mittels eines Beamers auf einen gewaltigen fächerartigen Wasserschleier im Kurpark projiziert wird. Das Publikum – an acht Tagen immerhin 17.000 Besucher – sieht den nicht eben sonnenverwöhnten Amtsträger wie ein Gespenst. Es ist nach halb neun Uhr abends, aber noch nicht dunkel genug. Bäume, die im Hintergrund für Kontrast sorgen könnten, hat die Ahr fortgeräumt. Dann, immer noch blass, treten zwei junge Frauen auf mit einem Zungenschlag, der nicht von hier ist. Sie erklären, erkennbar in den Tagen nach dem Hochwasser, wie toll das alles sei, diese Gemeinschaft und der Zusammenhalt und das sie jetzt „ahrshippen“. So viel Endorphin und Niedlichkeit dient als Hinweis auf den Devotionalienstand: Ein feines Merchandise-Portfolio, direkt zum Mitnehmen, als Erinnerung an die wunderbaren Katastrophentage: Solida(h)rität und Dankba(h)rkeit in jeder textilen Form und für jeden Geldbeutel.

Verstörende Bilder und wummernde Schlager

Es geht, kaum überraschend, mit dem Hochwasser los: wegschwimmende Autos, Häuser, die versinken, Brücken, die geborsten sind, überflutete Orte. Die Übereinstimmung von gezeigten Wassermassen und der Wasserleinwand ist nicht reizlos. Dann räumen Hilfskräfte Schlammmassen weg, man sieht Erschöpfte und Weinende und Tröstende und Lachende, Selfies und Gruppenbilder. Dazu wummern Schlager: Hello darkness, my old friend, I’ve come to talk with you again.

Krisenbewältigung in ESC-Anmutung

Sogleich läuten die beiden Moderatoren, der Roland (Nenzel) und der Thomas (Spitz) die aussehen, wie der wiedergekommene Vater Abraham und sein hipper Buddy von den Schürzenjägern den Sonder- und Spezialteil Frieden ein. Man müsse sich auch der Situation mit dem schlimmen Krieg in der Ukraine stellen. Denn, so hören wir, die beiden glauben an die Zukunft und Frieden ist und war schon immer das höchste Gut. Und dann wünschen sie viel Spaß mit der Dankwelle Frieden.
Enya säuselt ihren New-Age-Pop, während wir die zerstörten Städte in der Ukraine vorgeführt bekommen. Und sehen, wie ein Grab zuschaufelt wird, wie ein alter Mann der bitterlich weint, offenbar weil er soeben jemanden verloren hat. Zusammenbrechende Witwen, traumatisierte Kinder, alles zusammengeschnipselt, wie bei Opas Super-8-Filmabend. Harter Schnitt, knallrot illuminiertes Wasser schießt pathetisch in die Höhe, als eröffne Xi Jinping den Volkskongress der KP. Anschließend darf tatsächlich Michael Jackson ran, der den Pädophilie-Vorwurf nie abschütteln konnte, und fragt: „What about us?“ Das frage ich mich auch. Ist das gedankenlos oder naiv, skrupel- oder hilflos? Oder geht Kriegsbewältigung heute so? Das Publikum jedenfalls ist generös und strebt in der Pause zu den Fressbuden. Anschließend wie im Flug das Beste aus den 90ern, um schließlich beim rheinischen Teil zu landen. Hier ist die Welt schon wieder in Ordnung: Der Effzeh ist sicher erstklassig, da klingt die Hymne noch mal so schön, und überhaupt hatten wir mit einer Flasche vom „juuden Ruuden“ im Bauch doch eine „superjeile Zick“ an diesem Abend.

„Das Gefühl schuldiger Dankbarkeit ist eine Last, die nur starke Seelen zu ertragen vermögen“, meinte meine Lieblingsaphoristikerin Marie von Ebner-Eschenbach einmal. Gleiches gilt womöglich für den Versuch der Spätmoderne, Katastrophe und Entertainment zu vermählen. In diesem Sinne sind die Ahrtaler dann doch ein ziemlich starkes Völkchen.

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