Blick in den Flur einer Pop-Up-Mall
Pop-Up-Mall
Thomas Rheindorf
Ich kauf mir was
Thomas Rheindorf kauft gerne ein. Nur wo, wenn die meisten kleinen Läden mit Charme zurzeit nicht da sind? Da braucht es gute Ideen - z.B. eine temporäre Markthalle, pardon, neudeutsch Pop-Up-Mall.
05.11.2021

Acht Uhr fünfzehn auf dem Mosesparkplatz am Neuenahrer Bahnhof ist an einem trüben Novembermorgen kein Ort, wo man abgebildet sein will. Jedenfalls nicht für mich. Klamme Kälte kriecht die Beine hoch, Zwielicht lässt an einen Krimi-Tatort in einem Tatort-Krimi denken.

Vor mir türmt sich ein riesiges Zelt auf, und noch eins und Container. Einladend wirkt hier nichts – bis auf Kevin Hengsberg. Der junge städtische Citymanager wirkt, als habe er eine Schüssel Glückshormone gefrühstückt, während er strahlend die Tür aufreißt, um das Innere des Kolosses lebendig werden zu lassen. Jedenfalls mit Worten. In dem Gebäude auf Zeit sind Kojen errichtet, in denen Händler aus den flutbetroffenen Stadtteilen für eine Weile Dependancen einrichten können. So sollen sie Kontakt zur Stammkundschaft halten können.

Ein Wort aus dem Giftschrank der Sprachpanscherei

Das Areal mit den nüchternen Zelten in Oktoberfestgröße firmiert unter Pop-up-Mall. Ein Wort aus dem Giftschrank der Sprachpanscherei. Geschrieben eine ebensolche Zumutung wie ausgesprochen. Den agilen Hüter der Hallen stört das überhaupt nicht. Ich versuche, das Wort auszublenden und so feste es geht an einen anderen Begriff zu denken: Markthalle.

Markthalle taucht nicht auf Listen der schönsten deutschen Wörter auf. Auf meiner persönlichen schon. In Hannover gibt es eine und als ich da war, war ich oft dort. Sie war  – und wird es noch sein – ein Ort der Fülle, des Überflusses von allem, was Herz und Gaumen begehren. Ein Tempel der Genussfertigkeit mit Besuchern, die Qualität, Auswahl und Lebensart gleichermaßen schätzen. Der Besuch der hannöverschen Markthalle war für mich ein Sprungbrett in die Kindheit. Familienurlaube sind mit Erinnerungen an bretonische Markthallen verbunden, auch südfranzösischer entsinne ich mich. Düfte (und – tatsächlich – auch Gestank), Fruchtarrangements, Geräusche: Alles katapultiert mich beim Besuch einer Markthalle in beglückende Glückseligkeit.

Keine Markthalle, aber so viel Leben

Dieses Zelt ist keine Markthalle, will und kann es nicht sein. Und doch füllen die Worte des Pop-up-Mall-Organisators den Ort mit Lebendigkeit, Handel und Wandel. Und er lässt Taten folgen, daran lässt er keinen Zweifel. In einer Stadt, in der die Geschäftsstraßen für Vorweihnachtszeit ausgelöscht sind, sicher eine Wohltat. „Ich kauf mir was, kaufen macht so viel Spaß, ich könnte ständig kaufen gehn, kaufen ist wunderschön“, belustigte sich Herbert Grönemeyer schon 1983. Doch der Bummel mit Gesprächen, einem Stand mit Essen und Trinken, Schnäppchen und Entdeckungen ist mir lieber als Internetshopping.

Etwas Warmes braucht der Mensch

Noch liegt das kalte Innere des Zeltes nur als eine Option da. Doch es könnte funktionieren, wenn Wärme und Licht hier einziehen, und erleichterte Händler ihre Waren und Dienste feilbieten. Dann will ich die ironische Konsumkritik des Sängers einmal für bare Münze nehmen, mich am Treiben erfreuen und mir etwas kaufen. Dinge kaufen, in denen ein Lied schläft von Unbeschwertheit, Unversehrtheit und Ungebrochenheit. Egal, ob ich sie wirklich dringend brauche in meiner bizarren Lebenssituation, sie haben ihren Nutzen. Weil mit ihnen Freude verbunden sein wird.

Die Erwartung an einem trüben Morgen, an dem ich mit von unten nach oben in einen Eiszapfen verwandele, ist zugegebenermaßen ziemlich überhöht. Doch etwas Warmes braucht der Mensch, und sei es die Fantasie, mit anderen in einem Zelt etwas kaufen zu können. Markthalle light, ich komme wieder wenn du bereit für mich bist.

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