Zeitungsseite Corona im Altenheim
privat/Hanna Lucassen
Der Tropfen, der ...
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
21.04.2020

Ich lese von den 31 Toten im Altenheim im kanadischen Dorval. Dem „Horror-Heim“, wie es manche Medien nennen. Nachdem der Coronavirus dort ausbrach, seien die Pflegekräfte aus Angst vor Ansteckung weggeblieben, lese ich, wären einfach nicht mehr zum Dienst gekommen.

Am Ende sollen nur noch zwei Pfleger dagewesen sein, für 130 alte Menschen, die zum Teil nicht aufstehen, nicht zur Toilette gehen, nicht alleine essen und trinken können. Wie es diesen beiden ging, mag ich mir nicht vorstellen. Fünf der Bewohner starben nachweislich am Corona-Virus, bei den anderen 26 untersucht man noch die Todesursache.

Einfach abgehauen?

Die Pflegekräfte seien aus Angst vor dem Virus „einfach abgehauen“, schreibt eine Zeitung. Das glaube ich nicht. Nicht bei einer Berufsgruppe, die mit ihrem Pflichtbewusstsein jede Gewerkschaft verzweifeln lässt.

Lieber verzichten Pfleger auf ihr freies Wochenende, als sich mit dem Gefühl herumzuschlagen, sie ließen ihre Station im Stich. Man zeige mir den, der ohne schlechtes Gewissen „Nein“ sagt, wenn mal wieder die Stationsleitung anruft: „Bei uns ist Land unter! Susanne steht ganz alleine da, und wir haben heute drei Frischoperierte. Das schafft sie nicht. Kannst du nicht doch? Wenigstens für ein paar Stunden?“ Und: Gestreikt wird nur, wenn wirklich niemand darunter leidet.

In der Altenpflege ist die Bindung noch enger. Manche Altenpfleger besuchen „ihre“ Bewohner sogar in ihrer Freizeit, bringen Kuchen vorbei, oder die Fernsehzeitung. Wem man jeden Morgen in die selbstgestrickte Wolljacke mit den hellgelben Knöpfen hilft, der ist irgendwann kein x-beliebiger Fall mehr.

Allein im langen Flur

Einfach abhauen. Die Verantwortung abstreifen. Das ist ein No-Go in der Pflege. Das macht man nicht. Oder eben nur dann, wenn man wirklich nicht mehr kann. Wenn man schon lange mit einem Ich-schaff-das-nicht-mehr-Gefühl arbeitet. Die ZEIT hat vor einiger Zeit Pflegekräfte befragt, was sie in ihrem Beruf am meisten belastet. Das war noch vor Corona. Eine antwortete: „Hilferufe, Bitten, Weinen und psychische Not ignorieren zu müssen.“

Ich kenne das, aus der Zeit, als ich einmal halbtags in einem Altenheim arbeitete. Wie oft stand ich morgens um halb sieben alleine in dem langen Flur mit den vielen Türen. Der eine Kollege war krank, der andere musste nebenan aushelfen. Über den etwa 30 Bewohnerzimmern gingen nach und nach die roten Lampen an: das Zeichen, dass jemand nach mir klingelte: Zur Toilette musste, die Insulinspritze  oder einen neuen Verband brauchte, ausgerutscht war und auf dem Boden lag? Wohin zuerst? Wenn ich in das eine Zimmer gehe, was passiert gerade in den anderen? Ich habe das ein Jahr lang gemacht. Ich träume immer noch manchmal davon.

In der ZEIT Umfrage erzählt eine Pflegerin von diesem Gefühl, „dass meine Patienten und auch ich jederzeit in Gefahr schweben. Man schaut eigentlich nur, das alle Patienten die Schicht überleben. Ich habe manchmal Angst, zur Arbeit zu gehen.“

In der Pflege geht man nicht einfach. Auch nicht in Kanada. Man geht dann, wenn der Tropfen kommt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der Tropfen Corona, er tropft jetzt in viele Altenpflegeheime. In viele volle Fässer.

 

Nachricht von Lotta

PS: Als Pflegereservistin bin ich noch nicht so gefragt. Bislang hat sich bei mir nur eine kleine Privatklinik gemeldet, die dann aber auf meinen Rückruf nicht mehr reagierte.
Ich bot meine Dienste auch direkt einem Krankenhaus und einem Pflegeheim bei uns in der Nähe an. Das Krankenhaus antwortete, sie hätten keine Kapazitäten. Das Altenheim sandte eine formale Absage: „Es ist uns nicht leicht gefallen, unter der Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eine Auswahl zu treffen. Leider konnten wir Sie nicht in die engere Wahl einbeziehen.“ Auf meine irritierte Nachfrage sagen sie, nein, sie würden niemanden brauchen zurzeit, sie seien personell gut aufgestellt. Ich fühle mich seltsam abgefertigt. 

PPS: Gute Nachrichten von Lotta, der „Covid-Schwester“ auf der Intensivstation: Die ersten Patienten sind auf dem Weg der Besserung und werden vom Beatmungsgerät entwöhnt! Um einen Mann hatte Lotta besonders gebangt, jetzt schreibt sie beglückt: „Er kann die Daumen schon heben. Und wenn ich warte, hebt er auch die Hand zum Winken.“

 

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