Lena Uphoff
15.11.2010

Neulich war ich zum ersten Mal Jubilar. Ich erhielt eine Urkunde und eine Medaille für 25 Jahre treue Mitgliedschaft in einem Verein, für den ich seit mehr als zehn Jahren nichts anderes tue, als pünktlich meinen Beitrag zu überweisen. Ich gehe zu keiner Versammlung. Ich nehme die zahlreichen sportlichen und gesellschaftlichen Angebote nicht wahr. Ich kenne von den jetzt Aktiven in Vorstand und Abteilungen so gut wie niemanden mehr.

Insgeheim, das gebe ich zu, habe ich schon häufiger mit dem Gedanken gespielt, die Mitgliedschaft zu beenden und den eingesparten Betrag für Kinobesuche, Lotto-Einsätze oder ein paar Flaschen Wein auszugeben. Davon abgehalten hat mich der Akt. Ich hätte mich hinsetzen müssen und einen Brief schreiben: "Hiermit kündige ich fristgerecht zum nächstbesten Ersten und widerrufe die Bankeinzugsermächtigung." Diesen Akt habe ich gescheut. Ich habe mit dem Anruf eines wichtigen Vereinsmenschen gerechnet: "Darf ich fragen, warum Sie unsere wichtige Arbeit nicht mehr unterstützen wollen? Wir tun doch so viel Gutes für Kinder, Jugendliche und ausländische Mitbürger."

Ich wäre aus lauter Scham und Verlegenheit entweder von meinem Vorhaben zurückgetreten oder hätte brüsk und aufbrausend ins Telefon gebellt - ebenfalls aus schlechtem Gewissen. Darum habe ich mich erfolgreich gedrückt und habe lieber weiter bezahlt. Als nun der freundliche Herr Niederherbst anrief und mir erklärte, er handele im Namen des Vereins, befürchtete ich das Schlimmste in seinen nächsten Sätzen. Etwa: "Sie haben seit zehn Jahren übersehen, Ihre Einzugsermächtigung zu erneuern. Die Nachzahlung beträgt soundsovielhundert Euro." Oder: "Wir wollen Sie als verdientes Mitglied für eine Patenschaft gewinnen und denken an eine Spende von..." Oder, ganz bitter: "Wir müssen unseren Vorstand neu besetzen. Beim Durchsehen der Kartei sind wir auf Sie gestoßen und würden Sie gerne als zweiten Vorsitzenden vorschlagen." Alle Stresshormone waren bereits in meine Blutbahn unterwegs, als Niederherbst fortfuhr: "Sie sind mit Stichtag 1. Mai seit 25 Jahren Mitglied. Wir würden Sie gerne mit einer Delegation des Vorstandes aufsuchen, Ihnen Medaille und Urkunde überreichen und vor allem für Ihre Treue danken."

"Danken", mir, "für Ihre Treue" - der ich in Gedanken so oft untreu war

"Danken", mir, "für Ihre Treue" - wie hätte ich, der ich in Gedanken so oft untreu gewesen war, damit rechnen sollen! "Aber ich bitte Sie", stammelte ich, "das, das, das ist doch gar nicht der Rede wert! " - "Doch", widersprach Niederherbst nachdrücklich, "sehr wohl ist es der Rede wert, wenn jemand wie Sie still und uneigennützig unsere Arbeit über so viele Jahre unterstützt. Ihre Bescheidenheit in allen Ehren, aber wir würden Sie gerne besuchen und auch ein Foto machen wollen für die Lokalzeitung." Ich zögerte und zauderte, was mir erneut als tugendsame Haltung ausgelegt wurde, so dass ich mir vor weiteren Komplimenten einen Ruck gab und sagte: "Also kommen Sie nächsten Sonntagabend um halb acht."

Ich habe Sekt eingekauft und meine Frau bot mir an, ein wenig Fingerfood zu präparieren. Als ich um zehn vor halb acht frisch geduscht und die Uhr im Auge im Wohnzimmer auf und ab ging, zwischendurch immer wieder aus dem Fenster sehend, sagte meine Liebste völlig unpassend: "Du bist ja ganz aufgeregt. Süß! " Das musste ich heftigst zurückweisen.

Es war ein sehr netter Abend mit den Leuten aus dem Vorstand. Wir haben viel von alten Zeiten geredet. Vor allem ich. Und sie wollten meinen Rat zu diversen Fragen. Mein Redeanteil an der Plauderei lag sicher bei 60 Prozent. Meine Frau sagt: "Mindestens 70 Prozent! " Gleichwohl. Ich habe halt davon erzählt, wie wir den Verein in den 90ern zweimal vor der Pleite gerettet haben, habe alle ehemaligen Vorsitzenden gewürdigt und mehrfach auf das Wohl unseres Vereins geprostet. Als Jubilar darf man das. Ja, man muss es. Ich fühlte mich ganz komisch dabei und doch auch sauwohl - ziemlich alt und gleichzeitig für immer jung. Mein Verein und ich, wir gehören jetzt wieder fest zusammen. Und von Austritt war auch wirklich nie ernsthaft die Rede.

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