Lena Uphoff
15.11.2010

Ich bin anstrengend. Das weiß ich schon lange. Bereits als Fünfjähriger habe ich offenbar die allen Kindern eigene Neugier in besonders ausgeprägter Form praktiziert. Davon konnte mich auch das vorzugsweise von meinen Onkeln übellaunig hingerotzte "...istdie Banana krumm! " auf meine sechzehnte "Warum?"-Frage nicht abhalten; ich ließ die siebzehnte folgen: ". . . und warum ist sie krumm? Was meinst du?"

Alle Versuche, mein Informationsbedürfnis zu unterdrücken, erreichten das Gegenteil. Frag nicht, es ist, wie es ist, das musst du akzeptieren - solche, wie ich heute weiß, Signale der Hilflosigkeit von Lehrern und anderen Erwachsenen förderten mein Misstrauen, meine Begabung im Bezweifeln und meinen Widerstandsgeist. Wie im Kalten Krieg befeuerte dies wiederum die erzieherische Gegenseite in ihrer Mission, mich zu einem Untertanen zu machen, der die Aussagen und Maßnahmen der Obrigkeit als gegeben hinnimmt. Der Gipfelpunkt war erreicht, als mein Religionslehrer wutschäumend und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich losging: "Du bist der Geist, der stets verneint! " Ich antwortete: "Ja! " Und er krächzte irgendwo zwischen Schreien und Stöhnen: "Raus! " Ich kam dieser Aufforderung nach, in einer seltsamen Gefühlsmelange aus Ratlosigkeit und Triumph.

In meiner Erinnerung war das der Augenblick, in dem ich beschloss, Journalist zu werden. Als wenig später, im August 1974, US-Präsident Richard Nixon zurücktreten musste, nachdem die Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufgedeckt hatten, war klar: Es gab eine Hoffnung, eine Lebensaufgabe für Leute, die immer weiterfragen müssen.

Als ich neulich mit einem meiner besten Freunde in eine Diskussion über Energiepolitik geriet und er mir zum Beweis seiner Aussagen diverse Studien präsentierte und ich dennoch widersprach, rief er: "Brummer, wann akzeptierst du eigentlich mal, wenn ich dir sage: Das ist so! Ich fühle mich von dir nicht ernst genommen." Das stimmte mich traurig, und einmal mehr fühlte ich mich falsch verstanden.

Die Welt als Selbsthilfegruppe der Anstrengenden

"Gibt es ein deutlicheres Zeichen von Achtung und Anerkennung als eine streitige Diskussion? Indem ich widerspreche, nehme ich dich ernst." Er lachte schrill: "Diese Erkenntnis hast du exklusiv! " Wäre wirklich schade, wenn er recht hätte. Ich glaube es nicht. Mindestens Martin Luther habe ich auf meiner Seite. Seine Fürstenfreunde hatten ihm angeboten, Thomas Müntzer, den wesentlich radikaleren Reformator, mit den Mitteln ihrer Macht auszuschalten oder zumindest einzusperren, nachdem Müntzer Luther öffentlich als "sanftlebendes Fleisch zu Wittenberg", als Kompromissler und Hasenfuß, verhöhnt hatte. Luther lehnte das ab. Er brauche keine gewalttätige Hilfe. Nicht die Fäuste, fügte er hinzu, "die Geister lasset aufeinanderprallen".

Gewalt entwürdigt. Das "Machtwort" ist Gewalt. Aber nicht viel besser ist die Aussage: Mit einem wie dir streit' ich doch nicht! Oder: Ja, ja - du hast ja recht. Wenn das nur gesagt wird, um sich der Mühe der Auseinandersetzung zu entziehen, kann kaum etwas tiefer abwertend wirken. Falls man nicht überzeugt ist von dem, was man gehört hat, bleibt nur, dies mitzuteilen, nachzufragen, zu widersprechen - oder bewusst nachzugeben, auch wenn man dadurch das Prädikat gefährdet, "anstrengend" zu sein. Ziehen sich Debatten fruchtlos hin, kann man wie im Schach Remis anbieten: Du überzeugst mich so wenig wie ich dich, drum machen wir es so, wie du vorschlägst. Großmut ist etwas anderes als klein beigeben.

Das ändert nichts an der schlichten Notwendigkeit von offenen Debatten auf der Suche nach Erkenntnis in einer komplexen Welt. Ohne Zweifel kein Fortschritt. Man sollte einander deshalb danken für geäußerten Widerspruch, für die abweichende Meinung, und seien sie nur dazu da, einen zur bestmöglichen Argumentation für den eigenen Standpunkt zu zwingen. Ich wünsche mir deshalb, dass die ganze Welt eine Selbsthilfegruppe der "Anstrengenden" und Widersprechenden werde.

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