Lena Uphoff
15.11.2010

Wer cool sein will, muss frieren können. Das war schon immer so. Wer hässliche Mützen aufzieht, nur weil sie wärmen, der ist entweder nicht mehr auf dem Markt der sozialen Beziehungen unterwegs oder so uralt, dass seinesgleichen einen ähnlich schlechten Geschmack hat. Warme, nützliche Kleidung ist in diesem Winter jedenfalls das Streitthema Nummer eins in unserer Familie. Der heranwachsende Sohn geht bei Minustemperaturen am liebsten im T-Shirt und einer dünnen Stoffjacke raus. Die Mutter protestiert und versteht in dieser Sache "wirklich keinen Spaß".

Meine Scherze von der Sorte "Jeder friert, so gut er kann" oder "Kind, zieh etwas Warmes an, mich friert" werden von beiden Parteien als unpassend empfunden. "Ich muss ihn versorgen, wenn er sich erkältet. Auf dich ist da kein Verlass", höre ich von meiner Frau. "Du hast keine Ahnung, welche Jacke cool ist und welche nicht", testiert mir der Junge.

Am wenigsten beliebt sind meine familienhistorischen Beiträge. Ich bin der Ansicht, eine geschichtliche Einordnung des Selbsterlebten entlastet, wenn man feststellt, dass es sich nicht um einen individuellen Streit handelt, sondern um geradezu typische Rollenkonflikte zwischen Jüngeren und Älteren: Abgrenzung und Selbstbestimmung gegen Fürsorge und Erfahrungswissen.

So habe ich neulich an der Pulloverfront für Waffenruhe sorgen wollen, indem ich erzählte, wie Tante Mizzi bei ihrer Hochzeit im Januar 1964 partout kein Strickjäckchen über ihr dekolletiertes Brautkleid ziehen wollte, obwohl es bitterkalt war. "Eine Braut muss schön sein, auch wenn sie friert", wehrte sie zeternd Mutter, Schwiegermutter und Tante ab, die sie mit dem Klassiker zu überzeugen versuchten: "Du holst dir den Tod, Kind! " Tante Mizzi ist inzwischen über siebzig, mehrfach Großmutter und außerordentlich rüstig.

Ich selbst war auch so einer, der am liebsten im Hemd rumlief und selbst beim Skifahren im Februar am liebsten in Jeans und Pullover in den Schlepplift stieg. Ich erinnere mich an einen kalten Tag am Chäserrugg in den Appenzeller Alpen, wo meine Schulfreunde und ich bei minus 22 Grad auf 2200 Meter Seehöhe tatsächlich an der Liftstange festgefroren waren. Unter der Hose trugen wir natürlich Slips. Wir schlotterten still vor uns hin, bemüht, es niemanden erkennen zu lassen. Wir haben es überlebt.

Der Fahrer des Cabrios trug eine Lederkappe im 20er-Jahre-Look

Wir haben unsere Freiheit zur Unvernunft mit Inbrunst verteidigt. Heute empfinde ich es als Befreiung, vernünftig sein zu dürfen, selbst wenn es in den Augen anderer altmodisch wirkt.

"Wen interessiert das?", fragten Mutter und Sohn unisono gereizt und rhetorisch. "Diese Geschichtenerzählerei hilft jetzt nicht weiter" und "Du redest wie ein alter Mann" erhielt ich zur Antwort auf diesen kleinen Exkurs. Woran man gut erkennen kann, dass eine Einigung durch einen gemeinsamen Gegner ungeheuer erleichtert wird. Auch diese Erkenntnis wollte ich mit Frau und Sohn teilen, was ein wenig freundlicher, wenn auch nicht minder bestimmt abgelehnt wurde: "Lass gut sein, sonst kommt er zu spät in die Schule."

Ich habe dann meinen dicken Wintermantel angezogen, die peinliche Mütze aus dem Skiurlaub in Kärnten aufgesetzt, meine geliebten alten Handschuhe übergestreift, meine festen, gefütterten Stiefel geschnürt und bin mit dem Hund rausgegangen. Nach wenigen Minuten in der Kälte habe ich mich still beglückwünscht, dass ich am Morgen die Skiunterwäsche angelegt habe. Skiunterwäsche - klingt irgendwie sportlicher als lange Unterhose und langärmeliges Unterhemd.

Ein frostklirrender Tag. Ich stieg ins Auto und fuhr ins Büro. Ich hatte den Mantel angelassen, weil es ja immer ein bisschen dauert, bis die Heizung wirkt. Ich überlegte an einer Ampel gerade, ob ich ihn schnell ausziehen sollte, da hielt neben mir ein offenes Cabrio. Der Fahrer trug eine schicke braune, pelzgefütterte Lederkappe aus den 20er-Jahren, wie sie Opa winters auf dem Moped trug. Ob ich so eine meinem Sohn zum Geburtstag schenke? Besser nicht.

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