Lena Uphoff
13.12.2010

Die Lobreden nahmen kein Ende, als unsere Freundin Sybille neulich runden Geburtstag feierte. Ihre Chefin würdigte Kompetenz, Einsatzbereitschaft und ihr langjähriges Wirken im Klinikum. Der Vorsitzende des Personalrates pries ihre Kollegialität. Die Kollegen dankten für Hilfsbereitschaft und Zuwendung. Ehemann Volker hielt eine anrührende „Was wäre ich ohne dich“-Rede. Die Kinder ernannten sie zur besten Mama der Welt. Abordnungen der Gemeindevertretung und des Kirchenvorstandes hoben ihren Ideenreichtum hervor und ihr „nie nachlassendes Engagement für Kirche und Gesellschaft“. Na denn!

Dann ergriff Sybille das Wort. Sie machte es kurz: „Ich danke allen, die hier gesprochen haben, für die angemessene und zu¬treffende Würdigung meines Wirkens und meiner Person. Ich bin erfreut über diese Anerkennung.“ Ein Raunen ging durch die Festgesellschaft. „Typisch Sybille“, flüsterte jemand hinter mir. „Das ist ihr spezieller Humor“, tuschelte es rechts. Und links fauchte jemand unverhohlen empört: „Eine solche Arroganz ist schon einmalig!“

„Tja, was denkst du über diesen Auftritt unserer Freundin?“, fragte mich Norbert auf der Toilette, während wir uns die Hände wuschen. Ich musste nicht lange nachdenken: Erfrischend ehrlich, geziemend und recht. „Finde ich eigentlich auch“, sagte Norbert, „aber es ist doch ziemlich ungewohnt, dass jemand so reagiert. Normalerweise tut man das nicht. Normalerweise ist man überwältigt von so viel Lob, es fehlen einem die Worte. Man dankt für dieses Übermaß an Preis und Ehre. Man wird rot vor Scham. Oder behauptet es wenigstens.“ Man bedient sich der rhetorischen Formel der Bescheidenheit.

Täglich eine Dosis Frischlob braucht der Mensch

Im Württembergischen, wo ich einige Jahre gelebt habe, erspart man den Menschen in der Regel diese Peinlichkeiten. Dort gilt unter guten Evangelischen der Grundsatz: „Net gschimpft, isch gnug globt.“ Ein Stuttgarter Metzger, bei dem ich häufig einkaufte, erklärte mir die tiefere Weisheit dieses Satzes, als ich ihn dafür lobte, wie gut seine Ware sei: „Mit zviel Lob bringt mer d’Leut nur in Verlägenheit.“ Demut sei die wichtigste Tugend, das Einzige, dessen man sich rühmen dürfe: „Mei Demut isch mei ganzer Stolz.“ Oder: „In Bescheidenheit lass i mi von koinem ibertreffe.“+

Diese ironische Verkehrung macht deutlich, was im wirklichen Leben so anstrengend ist. Etwa wenn ein Kandidat für ein kirchliches Amt nicht sagen darf, dass er sich für befähigt hält und bereit sei, seine Begabung in den Dienst der Gemeinde zu stellen. Nein, gedrechselt und gewunden lautet die aus seinem Munde erwartete Formel etwa so: „Schwach und unwürdig, wie ich bin, war ich sehr überrascht, als ich für dieses Amt vorgeschlagen wurde. Nach langem Zögern bin ich aber nun bereit, mich zur Verfügung zu stellen, falls ihr es wirklich wollt und es dem Herrn gefällt.“ Jeder im Saal weiß natürlich, wie die Übersetzung in Nichtevangelisch lautet: „Ich finde es gut, dass ich vorgeschlagen wurde. Ich mache es gern. Und ich glaube, dass ich mit dem, was ich kann, zum Wohle aller wirken kann.“ Man kann das so sagen, das ist nicht überheblich.

Die Anerkennung der eigenen Fähigkeiten bedarf allerdings im christliche Sinne einer Ergänzung: Ich weiß, dass ich mich und meine Begabungen nicht mir selbst verdanke. Aber genau deshalb freue ich mich, wenn sie anderen – und auch mir selbst – zum Segen gereichen.

Wenn man etwas geleistet hat, darf man sich darüber freuen. Das schließt den Dank an Gott und die anderen um einen herum nicht aus. Man darf Lob als Antrieb und Ermutigung registrieren, wie es der an dieser Stelle schon einmal zitierte Robert Gernhardt beschrieb: Der Mensch sei unbegrenzt belobbar und er brauche täglich seine Dosis Frischlob. Ich kann da nur hinzufügen: Meine Eitelkeit ist so maßvoll, dass ich eigentlich schon wieder uneitel bin. Sybille übrigens wollte keine Geschenke, sondern sammelte Spenden für ein Kinderhospiz, das ihr am Herzen liegt.

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