Lena Uphoff
15.11.2010

Als wir gestern beim Frühstück saßen, die Radionachrichten verdaut und die erste Meldung von der Titelseite der Zeitung genascht hatten, sahen wir uns tief in die Augen, meine Frau und ich, und sagten: So kann es nicht weitergehen! Während die Großen aus Politik und Wirtschaft pausen- und atemlos an Reformen für dieses Land arbeiten, epochale Vorschläge formulieren, zukunftsweisende Konzepte entwickeln und tragfähige Kompromisse schmieden, sitzen wir in unserem gewärmten Heim, mümmeln am Frühstücksbrötchen, trinken Kaffee und pressen Saft aus Orangen. Was ist daran schlimm?, werden Sie fragen. Das tun doch fast alle. So ist es Brauch in Deutschland, schon ewig, schon immer, schon lange. Jaaa, bestätigen wir ­ und Sie hören natürlich die Ironie heraus. Und so wissen Sie auch, dass wir jetzt die Katze aus dem Sack lassen: Genau das ist das Problem! Wir haben es uns alle auch ganz privat in der Hängematte des "Immer so weiter" bequem gemacht. Wir haben aufgehört, den Sinn unseres Tuns zu hinterfragen, handeln gedankenlos und sind bräsig geworden. Schluss damit! Alles muss auf den Prüfstand. Wir brauchen den Wechsel, ein Klima der Erneuerung, eine Innovationskultur, um den Reformstau in den eigenen vier Wänden aufzulösen. Höchste Zeit, umzusteuern!

Beschließen wir eine Innovationsinitiative

Beschließen wir eine Innovationsinitiative, schlug meine Frau vor, eine Expertenkommission. Gut, und wer sollte ihr angehören? Experten eben, meinte sie. Also wir beide. Das traf sich gut, denn es ließ sich mit meinem Vorschlag eines Bürgerkonventes verbinden. Aufgrund identischer Besetzung konnten beide Gremien gleichzeitig tagen.

Als erster Schritt zur Erneuerung unserer Essgewohnheiten erschien mir ein Perspektivwechsel unerlässlich. Meine Frau stimmte sofort zu, ja, wir konnten sogar unseren Sohn dazu gewinnen, der bisher ­ typisch für die Jugend ­ teilnahmslos in einem seiner Comics geschmökert hatte, während wir die Jahrhundertreform in Angriff nahmen.

Wir haben dann unsere Sitzplätze am Esstisch getauscht, sag ich mal so. Hört sich so einfach an. Und dennoch ist es vom Grundsatz her ein spannendes Experiment, das uns gleichsam die Augen öffnete für allerhand soziale Schieflagen in unserem Frühstückssystem. Aus dieser Perspektive betrachtete mich also meine Frau, während ich den Sportteil der Morgengazette analysierte.

BPM: Breakfast Preparation Mismanagement

Als Nächstes wandten wir uns dem BPM zu (Breakfast Preparation Mismanagement) ­ Fehler bei der Vorbereitung des Frühstücks sind nämlich aufs Jahr gerechnet eine immense Verschleuderung von Ressourcen. Jeden Tag lässt meine Frau eine halbe Tasse Tee übrig, jeden zweiten unser Sohn ein halbes Brötchen mit Aufstrich und Marmelade. Rechnen Sie selbst aus, was das kostet. Denn auch in dieser Kolumne gilt nun für solche Berechnungen die Selbstbeteiligung der eigenverantwortlichen Leser.

Wir waren auf gutem Wege. Eine Beschränkung für das Kind, eine für meine Frau, nun musste noch ein Einschnitt für mich gefunden werden, um ein Paket zu schnüren, dem alle zustimmen konnten. Ich bot an, statt dem Sesambrötchen eine nackte Schrippe zu verzehren, was aber von meiner Frau als reine Reformkosmetik abgelehnt wurde, da beide Brötchen dasselbe kosteten. Auch mein Verzicht auf ein eigenes Messer und die Einführung des Besteck-Sharings ("zwei für drei"), da wir nicht alle gleichzeitig Butter auftrugen, prallte trotz möglicher Spülmittel-Einsparung ab: "Gut gemeint, also das Gegenteil von gut." Die Zeit lief uns davon.

Da meine Frau zu einer Sitzung musste, der Junge zur Schule und ich ins Büro, erklärten wir den Reformgipfel für gescheitert. Ich sah schon die Schlagzeile vor mir: Familie gespalten! Brummer lässt Frühstücksreform platzen. Dabei hatten wir die schwierigen Fragen wie "weiche oder harte Eier" noch gar nicht angesprochen.

 

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