Lena Uphoff
15.11.2010

Brummer, Arnd

Veteranentreffen. Ferdi, unser früherer Chef, feierte den Eintritt ins Rentenalter und hatte seine alte Truppe zum Ausstand eingeladen. Fast alle waren gekommen. Nur Rüdiger, vor 25 Jahren der Starreporter, hatte abgesagt. Als Geschäftsführer der psychosomatischen Privatklinik seiner Frau, so teilte er per E-Mail mit, reise er auf der Suche nach Investoren durch die USA.

"Der Rüdiger als Geschäftsführer auf Investorensuche", brummte Sportfotograf Luggi, "da könnte ich mir noch eher Kardinal Ratzinger als Trickskiläufer vorstellen." In der Tat waren uns irgendwelche unternehmerischen Neigungen bei Rüdi nie aufgefallen. "Der konnte ja noch nicht einmal unfallfrei seine Spesenabrechnung notieren. Und da war er auch noch stolz drauf", erinnerte sich Biggi, einst Ferdis Sekretärin. "Ausgerechnet der maulfaule Rüdi! Den Mund hat der nur aufgemacht, wenn er sich ein Bier bestellte", ergänzte Nicola aus der Wirtschaftsredaktion.

"Karrieren", sinnierte Luggi, "verlaufen meistens überraschend." Obwohl das für ihn selbst am wenigsten galt. Noch immer reist Luggi am Wochenende von Sporthalle zu Sporthalle und liefert seine berühmten "Kampfbilder" ab, die alle Sportredakteure hassen, weil sie nur Rücken zeigen. Ineinander verhakelte Ringer, köpfende Fußballer, einen Knäuel Handballer in der Abwehr am Kreis.

Aber auf uns andere traf Luggis biographische Analyse im Großen und Ganzen zu. Thomas, der sensible Musikkritiker, erzählte, dass er seit fünf Jahren die Öffentlichkeitsarbeit der örtlichen Sparkasse betreue. Biggis Visitenkarte wies aus, dass sie ihr Hobby zum Beruf gemacht hatte: Biggi Steyer, Dogtrainer. Eine Welpenschule am Stadtrand.

Nicola, die studierte Volkswirtin, hatte mehrere Jahre als Hausfrau und Mutter hinter sich und wirkt heute als Diätberaterin für einen esoterischen Schlankheitsmittelhersteller. "Ich hatte nach den Kindern zehn Kilo zugenommen, mit dem Mittel habe ich sie in einem Jahr verloren." Luggi: "Was ich aber eher darauf zurückführe, dass du 20 Stunden Sport in der Woche treibst."

Dass ausgerechnet Jimmy, unser Benjamin, in die Chefetage eines großen Boulevardblattes aufgestiegen war, bescherte ihm Respekt und Anerkennung ­ solange er mit uns am Tisch saß. Als er mal rausmusste, zischte Nicola: "Der schrieb doch immer so langatmig. Kein Satz unter drei Zeilen. Und Humor hatte er auch nie."

"Und du? Warst du nicht Korrespondent in Bonn?" Jetzt kam ich an die Reihe. Ich erzählte von dem evangelischen Magazin, für das ich arbeite. "Also nix Bundestag, nix Politik? Bist fromm geworden, was?" Luggis Äuglein blinzelten spöttisch. "War er doch schon immer!", rief Biggi dazwischen. "Hat mir mal nachts im Auto eine Vorlesung über Luther gehalten. Schätze mal: zwei Promille. Aber ich fand's spannend. Und heute bin ich im Kirchenvorstand." Irgendwie war mir das ziemlich peinlich.

Dann schlug Ferdi seine Gabel ans Glas, alles räusperte sich und wurde still. "Liebe Freunde", begann unser alter Leitwolf, "ihr seid alle gekommen. Das ist das größte Geschenk für mich." Ferdi redete über alte Zeiten. Nicht zu lang und nicht zu kurz. Drückte eine Träne weg oder zwei. Wir auch.

Und als wir uns die Hände rot geklatscht hatten, fühlten wir uns wieder als Familie. Ferdis Truppe eben. Sturmerprobt, optimistisch, zupackend. Die alten Geschichten tauchten wieder auf, aus der Tiefe unseres Gedächtnisses. "Luggi, wie war das noch, als du bei der WM in Argentinien das Endspiel verschlafen hast?" Und wir wurden, was wir sind: forever young ­ für immer jung. Zurück im Damals, als unser Leben noch aus Chancen bestand. Die Erinnerung ist kein Ort. Aber wenn sie schön ist und mehrere gemeinsam zu ihr reisen, ist sie ein Stückchen Paradies.

"Der Fluch des Taxifahrers" heißt das Buch mit Arnd Brummers Kolumnen. Für 10 Euro ist es direkt beim Verlag zu beziehen (chrismon Service-Hotline: 0800/247 47 66).

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