Lena Uphoff
20.10.2010

Ein Taxifahrer sitzt in seinem Auto und wartet offenbar auf einen Fahrgast. Sein Mercedes steht quer vor der Einmündung in eine kleine Seitenstraße. Genau in die muss ich links einbiegen. Ich warte ein paar Augenblicke. Dann fordere ich ihn per Handzeichen auf, sein Gefährt doch zwei, drei Meter zu bewegen und Platz zu machen. Er reagiert nicht. Ich tippe kurz die Hupe an und kurble die Seitenscheibe runter. Er auch. Bevor ich etwas sagen kann, brüllt der Mann: "Hupen ist Nötigung!" ­ "Tschuldigung", rufe ich, "ich muss da rein." ­ Er: "Das ist Ihr Problem." Dann ruckelt er einen Meter weiter. Ich, zugegeben mit einer Portion Ironie: "Danke. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!" Er zaubert ein Grinsen in seine Züge: "Und ich wünsche Ihnen einen schönen Unfalltod." Dann fährt er weg.

Ich bin Pendler und als solcher hart im Nehmen. Fahren, wenn alle fahren, ist keine harmonische Veranstaltung. Doch dieser Fluch hat mich getroffen wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte nicht einmal reagieren, keinen draufsetzen. Ich war sprachlos und zitterte noch, als ich am Ziel aus dem Auto stieg. Selbst heute, da ich die Szene zu beschreiben versuche, spüre ich die Wirkung dieses bösen Satzes noch. Warum?

Ich bin ein aufgeklärter Mensch. Und ich bin Christ. Ich glaube nicht an einen Gott, der derart makabre Wünsche erfüllt. Aber ich kann mich der Gewalt dieser ätzenden Worte kaum entziehen. Was macht sie so wirksam?

Wahrscheinlich liegt die zerstörende Kraft in der ganz konkreten, persönlichen Spitze der Verwünschung. Hätte der andere mich einfach mit den üblichen Schimpfritualen überzogen: "Verpiss dich, du Hurensohn! Scher dich zum Teufel! Halt die Klappe, dummer Sack!" ­ ich hätte es locker weggesteckt. Mit der alltäglichen Poesie des Zornes kann man umgehen. Das Gemeine steckt im Genauen, steckt in der Absicht, mehr zu wollen, als seinem Ärger Luft zu verschaffen. Jemandem heute die Pest an den Hals zu wünschen, prallt an der Schutzhaut ab, weil die Pest nur noch sinnbildlich in unserer Alltagswelt vorkommt. Eine solche Tirade ist inzwischen von allgemeiner Hässlichkeit, von geradezu üblicher Geschmacklosigkeit. Das Böse wirkt erst richtig, wenn es auf die Situation gemünzt ist, in der es ausgesprochen wird. Dann erreicht es offenbar eine Zone in unserem alten Stammhirn, wo die ursprüngliche Angst sitzt. Und dort sind wir zunächst fast wehrlos gegen seine Magie. Da hilft alle Selbstbeschwichtigung durch die Vernunft nicht mehr. Sie erreicht uns in dieser Sphäre nicht.

Was hilft dann? Mir hat geholfen, meine Fassungslosigkeit meiner Frau, Kollegen und Freunden anzuvertrauen. Die lapidare Schilderung meines Erlebnisses hat sie in Zorn versetzt. Ihr gerechter Zorn über diesen Fiesling, der die Grenzen der alltäglichen Aggression überschritten hat, tat mir schlicht gut. Ich fühlte mich geschützt, gewärmt, gemocht. "Mich friert es, wenn ich so was nur höre" ­ diese banal klingende, aber spontane Anteilnahme einer Kollegin tröstete mich. Offenbar registrierte ich ihre Mitmenschlichkeit und Wärme in derselben Ecke meiner Seele, in der mich der Fluch getroffen hatte. Zuneigung, Mitleid, Liebe sind der Gegenzauber, der das Böse bannt. Sie sind ein Abglanz des Göttlichen.

Das alles ist nichts Neues und schon gar nichts Besonderes. Die Märchen und Mythen aller Kulturen stecken voller Erfahrungen dieser Art. Die Verwünschung verliert ihren dämonischen Zauber, wenn echte Anteilnahme gegen sie auftritt. Liebe erlöst.

Mir ist ja tatsächlich nichts Schlimmes passiert. Aber das eigene, das erste Erlebnis des Verfluchtseins hat mir diese uralte Menschheitserfahrung des Kampfes zwischen Bösem und Gutem neu bewusst gemacht. Ich bin inzwischen ganz froh, dass ich so sprachlos war und mir im Augenblick nichts einfiel, mit dem ich auf den "schönen Unfalltod" noch einen hätte draufsetzen können. Heilfroh bin ich!

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