Lena Uphoff
15.11.2010

"Lurch, 10.30­-15.30", stand auf der Kreidetafel vor dem Bistro in der Innenstadt. Ich ging rein und bestellte Molch mit Sumpfdottersalat, medium gegart. An Laubfrosch habe ich mich in den letzten Jahren irgendwie übergessen. Der freundliche Kellner bedauerte, mir das Gewünschte nicht servieren zu können. Es gebe überhaupt keine Lurchgerichte. Das Wort auf der Tafel heiße "Lunch", sei lediglich schlampig gekrakelt. Schade.

Molch mit Sumpfdottersalat, medium gegart

Ich ging zum Bahnhof und stieg in den nächstbesten ICE. Ich freute mich, als der Schaffner, der neuerdings Zugchef heißt, mich und meinesgleichen besonders herzlich begrüßte. "Fette Fahrgäste, wir heißen Sie hier an Bord herzlich willkommen." An Bord eines Zuges müsste der Zugchef eigentlich Deckoffizier heißen und das Abteil Kabine. Aber das ist der Bahn wahrscheinlich nicht originell und vor allem nicht "denglisch", sprich: weltläufig genug.

Fortschritt durch Umbenennung ist keine Erfindung unserer Zeit. Die Ideologen und Wichtigtuer aller bekannten Kulturepochen haben versucht, Wandel zu dokumentieren, indem sie Vertrautes fremd und damit neu wirken ließen. Die Jakobiner erfanden eine neue Zeitrechnung und neue Monatsnamen. Die Nazis machten aus Zeitungsredakteuren Schriftleiter. Die Sowjetmenschen warteten im Winter auf Väterchen Frost. Die SED-Sprachgenies verwandelten Weihnachtsengel in "geflügelte Jahresendfiguren" und Weihnachtspyramiden aus dem Erzgebirge in "Kerzendrehtürme".

CEO heißt übrigens "Chief Executive Officer", nicht Chef-Exekutionsoffizier

Warum sollen also die CEOs der Deutschen Bahn das gute alte Bahnhofsklo nicht in ein "Mc und lean"-Center verwandeln? CEO heißt übrigens "Chief Executive Officer", was aber nicht mit Chef-Exekutionsoffizier ­- Leiter eines Erschießungskommandos -­ zu übersetzen wäre, sondern schlicht mit Chef oder Geschäftsführer.

McClean soll nicht nach Alturin und Latrine klingen, sondern frisch und sauber. Welch lyrischer Raubfischschmerz, um nicht zu sagen: welches Haileid den Bahntextern da gelungen ist, wird erst nach der Übersetzung ins Deutsche sichtbar. Man stelle sich vor, über der Toilette am Hauptbahnhof stünde in leuchtenden Buchstaben geschrieben "Sohn der Sauberkeit" ­ Mc ist das Kürzel für "Mac", das gälische Wort für "Sohn". So viel sprachliche Feinheit würde man höchstens im Chinarestaurant erwarten.

Die fremdsprachige Version spricht für die Bescheidenheit und Demut der Erfinder. Wären sie großmannssüchtig, hätten sie den Abtritt am Gleis "Klo-bal Player" nennen können oder "Klo-Betrotter". Ich neige dankbar mein Haupt vor so viel Rücksicht.

Das Englischklingen ist die aktuelle Sprachmode. Moden müssen wechseln, sonst wären sie keine. Aber warum muss es Moden geben? Warum muss sich Unabänderliches und Bewährtes stets neu maskieren, neu verpacken lassen? Philosophisch könnte man vermuten: Stetige Veränderung ist Leben; in seinen endgültigen Zustand eintreten, ankommen ist der Tod. Wir brauchen Impulse, den Eindruck von Bewegung, sonst werden wir krank, sonst kaufen wir nichts mehr. Wohl gemerkt: den Eindruck von Bewegung! Wirklich bewegen muss sich nichts. Ob wir fahren oder ob eine endlose Landschaftstapete am Fenster vorbeizieht, das ist eigentlich wurscht. So wie ein Abort ein Abort bleibt, wie immer man ihn auch gerade nennt.

Die wirklichen Fortschritte sind so selten wie die Erfindung der Wasserspülung oder der Siegeszug der Baumwollunterwäsche. Sie verändern das menschliche Sein von Grund auf. Sie lassen Seuchen verschwinden und dienen dem Wohl der Menschheit. Die Verpackungskunst wirkt höchstens aufs Gemüt: anregend oder ärgernd. Das Design bestimmt das Bewusstsein.

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