Arnd Brummer, was ich notiert habe
Arnd Brummer ist Chefredakteur von chrismon
Foto: Sven Paustian
"Weichfeig", gib nicht auf! Du bist nicht allein!
An Ostern, an Pfingsten, auf dem Polterabend: Überall begegnet man dieser Tage Fremdenfeindlichkeit. Auch Arnd Brummer kennt das
Lena Uphoff
22.05.2016

„Wir mögen einander“, murmelt Hartmut, „ja doch: Wir haben uns wirklich gern. Und gerade deshalb bin ich so entsetzt darüber, wie es in unserer Familie am Geburtstag meiner Patentante zuging.“ Der Student mit dem schmalen Gesicht zählt zu den höflichen Zeitgenossen. „Aber nach drei Stunden absoluter Quatschdebatte mit meiner Schwester, ihrem Freund, den beiden Cousins und deren Mädels musste ich vom Tisch aufstehen und sie alle wissen lassen: Mit Fanatikern kann man nicht diskutieren!“

Doch nicht genug damit. Hartmut: „Dann hat sich vom Neben­tisch noch Großonkel Manfred eingeschaltet und mir vorge­worfen, ich sei genau von der Sorte blöder Hin-und-her-Denker wie unsere Kanzlerin.“ Hin-und-her-Denker? „Ja“, erzählt der sonst fröhliche Kerl mit ernster Stimme, „ich habe den Begriff Ambivalenz in die Runde geworfen, als Jonas zum dritten Mal schrie, er erwarte von der Politik eindeutige Rezepte im Umgang mit Flüchtlingen und den Interessen der Deutschen.“

Im Himmel sind die Allerletzten

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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.

Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

Immer würden die Bürger betrogen und benachteiligt, nie ihre Wünsche und Sorgen ernst genommen. Die da oben seien doch völlig abgehoben. Und deshalb müsse man nun einfach AfD wählen. Hartmut nimmt einen gro­ßen Schluck Schorle. „Ambivalenz! Onkel Manfred erklärte bei der Feier, mit diesem Unsinn müsse ich gar nicht anfangen. Meinen Hinweis, damit sei gemeint, dass in jeder Stärke eine Schwäche stecke und umgekehrt, übertönte er mit grölendem Gelächter. Ich wolle wohl bestreiten, dass es Richtig und Falsch oder Gut und Böse gebe! Der Glaube an das Absolute sei in der westlichen Welt doch völlig verschwunden. Das überlasse man jetzt den Islamisten und ihrem Terror.“

Ich habe in einer Runde mit Freunden und Kollegen von Hartmuts Erlebnissen in seiner Familie berichtet. Damit löste ich allseitiges Kopfnicken aus: Kennen wir, haben wir an Ostern, an Pfingsten, an einem Polterabend im Mai ganz ähnlich erlebt.

„Ich war die blöde Sowohl-als-auch-Tusse“

Rechtsanwältin Brigitte sagt: „Ich habe nach einer Stunde Geschimpfe der anständigen Deutschen nur darum gebeten, dass wir im weiteren Gespräch mal auf die Worte ,immer‘, ,nie‘, ,nur‘ und ,absolut‘ verzichten sollten. Die Reaktion von Vetter, Base und Neffen: Das sei wieder einer der blöden Juristentricks, um die Wahrheit zu relativieren.“ Brigittes Reaktion: Sie bat darum, dass ihre Nächsten „einfach mal erzählen sollten, was sie ängstigt, was ihnen Sorgen macht.“ Das sorgte für die nächste Retourkutsche: „Nun also werde von Anwaltsmist auf Psycho­logen- und Therapeutenarroganz umgeschaltet.“ Vetter Ingo, dem sie sich seit Kindertagen sehr verbunden fühlt, wütete: „Es geht hier nicht um die Sorgen und Ängste Einzelner! Es geht um die Ehre und das Recht der deutschen Nation. Der Staat tut nichts, um uns zu verteidigen.“ Es gehe um die Wahrheit, um nichts anderes!

Irgendwie erinnert mich das alles an frühere Zeiten, als sich Anti-Atom-Leute, Friedensbewegte und andere Besitzer der Wahrheit mit dem „Establishment“ fetzten. Die Knechte des Kapitalismus, die Lakaien des US-Imperialismus, die Ewiggestrigen revanchierten sich auf dieselbe Weise: Der linke Pöbel verrate das Vaterland, zerstöre Tugend und Moral. Wer auf ähnliche Weise wie Hartmut oder Brigitte einen Austausch auf sachlicher Basis vorschlug, war auf beiden Seiten unten durch: Scheißliberaler, Wischiwaschi-Schwätzer!

Brigittes Kollegin Nathalie bekennt: „Ich war die blöde Sowohl-als-auch-Tusse.“ Da sie sich in der evangelischen Jugendarbeit engagierte, fühlte sie sich zwischen sturen Konservativen im Kirchenvorstand und den Sachwaltern des Fortschritts in ihrer Umgebung ziemlich einsam. Bis der neue Pastor kam. „Es tat mir richtig wohl, als er anlässlich einer Konfirmation, so Mitte /Ende der 70er Jahre, von Immanuel Kants Ethik der Vernunft redete und von der Menschlichkeit als Verzicht auf maßlose Forderungen und Behauptungen. Da er mit Vornamen Gustav hieß, nannten ihn weite Teile der Gemeinde von da an nur noch den Mittelmaß-Gustel.“

Als ich dies dem lieben Hartmut später beim Kaffee erzählte, erhellte ein Lächeln sein Gesicht: „Ich bin also nicht der Einzige. Das tröstet mich. Auf Jonas‘ Vorschlag hin nennt man mich in familiären Kreisen seit Tante Inges Geburtstag ,Weichfeig‘.“  

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