Tim Wegner
20.09.2011

Irgendwelche Überraschungen an diesem Spieltag? Nö: Die Bayern haben ihre Souveränität wiedergefunden. Stuttgart trotzt dem Meister aus Dortmund ein Unentschieden ab. Ansonsten haben die jeweiligen Favoriten gewonnen. Oder die Teams haben sich die Punkte geteilt. Okay, dass Hertha in Wolfsburg reüssiert, überrascht dann doch. Der Aufsteiger spielt eine starke Serie – vor allem, wenn er nicht das Spiel machen muss und kontern kann.

An vermeintlich langweiligen Spieltagen könnten Fans mit ihrer Leidenschaft hadern. Warum Fußball, wenn eh nichts passiert? Hier ein Antwortversuch: Weil dieser Sport das „Was wäre wenn-Dilemma“ versinnbildlicht  und auf 90 Minuten begrenzt.

Zum Beispiel Mainz: Thomas Tuchel, der Mainzer Trainer, ist vermutlich immer noch wütend. Er will vor dem 1:1 der Bremer (die später 3:1 gewonnen haben) ein Foul am Mainzer Choupo-Moting gesehen haben. Hätte der Schiedsrichter das auch so gesehen, wäre Pizarro nicht in Ballbesitz gekommen. Fairerweise sollte Tuchel auch anerkennen. Pizarro hat drei Mainzer stehen lassen und ganz ruhig zum 1:1 vollendet. Das war in erster Linie entscheidend. Aber es ist schon sehr verlockend, mit der vermeintlichen Fehlentscheidung zu hadern.

Die Frage "Was wäre, wenn...?" kennt doch jeder

Mystisch! Was wäre, wenn? Das kennt doch jeder! Was wäre gewesen, hätte ich doch Jura studiert? Dann wäre ich jetzt reich. Gut möglich. Aber vielleicht wäre ich auch über all die Paragraphen langweilig geworden. Wer weiß?

Ein weiteres "Was wäre wenn-Beispiel" von diesem Spieltag: Der HSV spielt 70 Minuten in Unterzahl, weil Schiedsrichter Schmidt den Hamburger Rajkovic vom Platz stellt. Okay, der hat den Ellenbogen angehoben, das war dumm. Aber er hat – das sagt auch der Gefoulte Tiffert fairerweise – nicht geschlagen. Ein harter Platzverweis, und wieder die Frage: Was wäre, wenn der HSV nicht in Unterzahl gespielt hätte? Und was wäre, wenn der HSV schon früher zum Ausgleich gekommen wäre? Ein reguläres Tor wurde Guerrero aberkannt, er soll den Ball mit der Hand mitgenommen haben, wird aber von seinem Gegenspieler auch so bedrängt, dass er selbst ins Straucheln kommt. Und den Ball dann, finde ich, trotzdem klar mit dem Brust-Bauch-Bereich spielt.

Ach, es ist müßig. Wer sagt, dass Mainz die Führung hält, wenn Choupo-Moting „sein Foul“ bekommt? (Choupo-Moting wartete erkennbar auf den Pfiff, der dann nicht kam)? Wer will wissen, ob der frühere Ausgleich den HSV so beflügelt hätte, dass es noch zur Führung gereicht - na, genau: HÄTTE? Wir wissen es nicht.

Einen eindeutig zu beweisenden Nachteil haben Fehlentscheidungen eigentlich nur, wenn sie so kurz vor Schluss fallen, dass sie nicht mehr „einzuspielen“ sind. Dann sind sie Fakt und Wirklichkeit. Und sonst: nur Spekulation.

Im richtigen Leben ist das ganz anders; jeder kennt das Gefühl, dass eine andere Lebensentscheidung besser gewesen wäre. Manchmal ist dieses Gefühl so eindeutig, dass es an Gewissheit grenzt. Irgendwo müssen die vielen Ehescheidungen ja herkommen.

Und mit den Schirientscheidungen ist es so: Wir fühlen uns als Fans falsch behandelt. Das hat man in anderen Lebensbereichen auch, aber man kann den Frust darüber oft nicht herausschreien wie im Stadion. Oder auf dem Sofa.

Unser persönliches Spiel endet nicht nach 90 Minuten

Es gibt viele Menschen, die es nicht schaffen, ihrem Chef ins Gesicht zu sagen, dass sie sich seit Jahren schlecht behandelt fühlen. Oder übergangen. Aber beim Fußball, der auf das eigene Leben erstmal keinen wirklichen Einfluss hat (mancher Fan wird widersprechen), da regt man sich auf, als stehe die eigene Rente auf dem Spiel.

Und das ist gut so. Man muss dem Fußball dankbar sein: Da entscheiden nicht wir, sondern andere. Aufregen ja, aber keine Verantwortung übernehmen müssen, und nach 90 Minuten ist es vorbei – aber unsere Spielzeit, die läuft immer weiter, und das ohne Schiri…

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