Monika Höfler
Da kann man jemanden treffen – aber ihm nicht begegnen. Alles braucht seine Zeit. Auch die Frage, wo die Brille liegt.
23.04.2014

In der oberen Etage unserer Wohnung rumort mein Mann. ­Irgendetwas sagt er, das ich wegen der Entfernung nicht verstehe. Ich brülle: „Was meinst du?“ – und er ruft etwas zurück, was ich wieder nicht richtig hören kann. Kann er nicht runterkommen, wenn er was will? Oder: Man sitzt gerade gemütlich mit Freunden zu Tisch, es klingelt, und die Nachbarin steht vor der Tür. Man dreht sich nur kurz zu den Freunden, ruft: „Das ist Frau Mayer­höfer, sie will ihr Paket holen!“ und wendet sich dann wieder der Dame zu. Sie steht etwas konsterniert an der Tür, weil sie ja nicht weiß, wer da im Raum ist und wem sie da hinterrücks präsentiert wurde. Egal, manchmal soll es einfach schnell gehen!

Noch eine Variante: Morgen-, Abend- und Nachtstunden sind ideal, um Mails zu schreiben an die Menschen, die einen eigentlich sprechen wollten. Man spart sich den Anruf und das per­sönliche Gespräch. Praktisch. Aber was passiert eigentlich in ­solchen Augenblicken?

Man will alles gleichzeitig erledigen, nicht von der Sache ablassen, an der man gerade dran ist, die neue aber auch nicht vernachlässigen. Man möchte alles möglichst zügig vom Halse haben. Das geht – aber nur um den Preis einer leichten bis üblen Rücksichtslosigkeit und eines unbestimmten, unfertigen Gefühls im Bauch. Irgendetwas stimmt nicht, ist nicht richtig ausgeführt und zu Ende gebracht, und man merkt das. Man wird dem anderen und sich selber nicht gerecht – und merkt das.

Nur noch auf Zuruf zu kommunizieren - das bedeutet nur wenig Wertschaetzung fuer den Anderen, meint Susanne Breit-Kessler im Gespraech mit Hans-Gerd Martens. Ihr Rat: Lieber etwas mehr Zeit nehmen und Prioritaeten setzen.


Tatsächlich geht es auch ganz anders. Mein Mann kommt die Treppe herunter, oder ich gehe hinauf. Wir suchen uns einen Platz zum Reden. Völlig überflüssig, wie ein Fußballtrainer über das Spielfeld zu schreien oder mit dem Megaphon die ganze Umgebung zu beschallen.

Der Mensch, um den es mir geht, der braucht meine Präsenz, mein Zuhören und Reden. Es ist schöner, sich auf den Weg zu machen, dem Ehepartner von Angesicht zu Angesicht zu be­gegnen und genau zu hören, was er sagt – seine Mimik und Gestik mitzuerleben, zu spüren, was ihn bewegt. Man kann die Sache mit der Postlieferung dezent und freundlich mit der Nachbarin an der Tür verhandeln, dann brauchen die Freunde gar nicht erst eingebunden oder gestört zu werden, wenn es nicht richtig passt. Oder man bittet sie höflich herein, stellt sie vor, bietet ihr vielleicht etwas an und geleitet sie später wieder nach draußen. Mit einer Mail kann man Fragen ratzfatz gut beantworten – aber stattdessen auch einen günstigen Zeitpunkt für ein echtes Gespräch vorschlagen und vereinbaren, persönlich oder am Telefon. Es muss ja nicht gleich sein.

Mir geht es besser, wenn ich mir Zeit und Raum für andere nehme. Denn man kann einen Menschen zwischen Tür und Angel treffen, aber man kann ihm nicht begegnen. Zeit, hat ein antiker Philosoph gesagt, ist eine kostbare Ausgabe. Umgangssprachlich ist daraus die Redewendung „Zeit ist Geld“ geworden. Der wunderbare Sinn des alten Satzes ist dadurch ganz verloren gegangen. Zeit ist nicht mit materiellen Werten aufzuwiegen. Sie ist kostbar – eine Möglichkeit für die Seele, statt zu schrumpeln, sich auszudehnen. Partner, Freunde, Nachbarn, Kollegen brauchen Zeit, man selbst auch. Alles, was in einem leben möchte, braucht Zeit: Die Frage, wo die Brille liegt, wer das Küchenpapier versteckt hat, was für einen Wein man trinken möchte, welche Ängste man hat, worauf man kaum zu hoffen wagt, was einen  freut... Lassen Sie sich Zeit. Auf jedem Meter.
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Interessant, dass Sie meinen, per E-Mail könne man Fragen ratzfatz beantworten, am Telefon hingegen ein echtes Gespräch führen. Ich erlebe es regelmäßig genau umgekehrt: Am Telefon muss es immer ratzfatz gehen. Man sieht sein Gegenüber nicht und spürt allenfalls, dass sie nebenher etwas anderes macht oder man ihn von etwas wichtigerem abhält. Beim Schreiben einer Mail - ob elektronisch oder auf Papier - habe ich Zeit und Muße, mich auf den Empfänger einzustellen, auf seine letzte Äußerung einzugehen, mir vielleicht auch über meine eigenen Gedanken klar zu werden, und lasse ihm ebenfalls die Freiheit, sich zum Antworten die Zeit zu nehmen, die er oder sie möchte und braucht.

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