Foto: Monika Höfler
Work-Life-Balance muss man sich erst mal leisten können. Aber gut ist es doch, wenn Zeit bleibt für einen selber – und die alten Eltern
20.08.2013

Yvonne hat ein Angebot ihrer Computerfirma bekommen: ein Jahr im kalifornischen Stammhaus des Unternehmens – mit der Möglichkeit der Verlängerung. Ihre Aufstiegschancen sind bestens, weil sie unglaublich viel Fachwissen hat und besonders kommunikativ ist. Yvonnes Freunde sind begeistert. Alles schwelgt in Bildern vom sonnigen Westküstenstaat, träumt von Meer und flotten Surfern, von Pinot Noir aus dem Nappa Valley, Fisch-Tacos und Dattelshakes. Yvonne hört sich das alles an und sagt: „Tja. Aber ich geh’ da nicht hin.“ Die Freunde sind fassungslos. Das gibt’s doch nicht. So eine Chance kann man sich einfach nicht entgehen lassen!

Dem Chef sagen: Ich will weniger arbeiten! Dazu gehört viel Mut, sagt Susanne Breit-Keßler. Aber das ist für uns wichtig.

Yvonne lächelt fein. „Ich habe mich verliebt“, sagt sie. „Er heißt Hannes und kann nicht weg aus Deutschland. Und dann will ich noch Zeit für meine Eltern haben. Sie werden nicht jünger.“ Es gibt doch Skype, entgegnen die Freunde, Entfernung ist für die Liebe wie Wind für das Feuer – das starke Feuer facht er an, und so eine Karrierechance tut sich nicht so schnell wieder auf. Aber Yvonne wehrt ab. „Ich möchte nicht nur arbeiten, ich will leben.“ Mick nickt. Er hat erst neulich einen Posten ausgeschlagen, weil der ihn unter der Woche zu oft von seiner jungen Familie getrennt hätte. Lieber nimmt er Elternzeit.

Carola gießt ein bisschen Wasser in den Wein der gepflegten Work-Life-Balance: „Ihr könnt euch das leisten“, sagt sie. „Aber denkt mal an Ruth – Kunsthistorikerin, 40 Jahre und keinen Job. Oder Detlev, der als Drucker keine Arbeit findet. Die leben zwar noch ganz vergnügt von ihrer Unterstützung und von Gelegenheitsjobs, können aber nicht richtig voll arbeiten. Wer zahlt denen später mal im Alter die Miete? Wie sollen die auf Dauer über die Runden kommen?“ Es stimmt schon – das gesunde Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit kann nicht jeder kultivieren. Wer überhaupt nach Arbeit sucht, hat andere Sorgen als die Ausge­staltung seiner Freizeit.

Wer gesund bleiben will muss spüren: Mein Leben ist sinnvoll

Trotzdem ist es richtig, wenn junge Menschen nicht um jeden Preis ihre Fähigkeiten nutzen, um voranzukommen. Es soll ­etwas übrig bleiben an Zeit und Raum für sie selber. Der ­Urlaub ist wichtig, der gemeinsame Sonntag, weil es keinen Sinn ­ergibt, wenn jeder an einem anderen Tag freihat. Menschen ­wollen ­verstehen, was um sie herum geschieht, bewältigen, was sie ­erleben. Erfolge und Niederlagen, Konflikte und Krisen, Selbstzweifel und Höhenflüge müssen ins Leben integriert werden, das verlangt Gefühl, Überlegung, Kraft – und Zeit.

Wer körperlich und seelisch gesund bleiben möchte, muss spüren: Mein Leben ist sinnvoll. Es stimmt mit mir und dem, was ich möchte, überein – und das, was nicht hinhaut, kann ich mal leichter, mal schwerer in den Griff kriegen. Deshalb ist es auch notwendig, dass Menschen wie Ruth und Detlev neue Aufgaben finden. Dabei wiegen Geld und Karriere im Ausland oder in schicken Metropolen nicht auf, dass man woanders glücklicher ist. Hauptsache, man kann dort, wo man lebt, seine Arbeit ohne allzu großen Druck und mit Lust machen – und zugleich das Privatleben in gehörigem Abstand zur Arbeit genießen.

Zu so einem Leben gehört es, sich ausführlich zu freuen: An Essen und Trinken, an der Natur, an kleinen Dingen. Gut möglich, dass Kalifornien genau der Ort ist, an dem ein Mensch ganz bei sich sein kann. Vielleicht ist es aber auch Hengersberg, Bremen oder Ilmenau.

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"Und wer zahlt denen die Miete ? " Der Unterschied zwischen Kalifornien und Hengersberg, oder Ilmenau, oder ..., liegt in der eigenen Betrachtungsweise, und diese hängt von gewissen Faktoren ab, die sehr persönlicher Natur sein können. Die Einsicht ist nicht leicht möglich. Leben und Karriere sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich, und während sich der eine für den Job entscheidet, sucht der andere nach der persönlichen Erfüllung im privaten Leben, eine uralte Binsenweisheit. Thematisch entstehen wohl daraus Schicksalsgeschichten , aber im Grunde, vom Standpunkt des Glaubens, ist es unerheblich, weil immergleich. Die Gründe der Vernunft sind immer die falschen , weil sie die Langeweile "kultivieren" . Jesus rät zur radikalen Trennung, ich ebenfalls, selbst, wenn unsere Gesellschaft dies nicht so sieht. Noch 2000 Jahre danach, ist die Freiheit eines Jesus revolutionär und entsprechend mit Samthandschuhen anzufassen !

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Mit Interesse habe ich die September-Kolumne von Susanne Breit-Kessler gelesen.
Der Begriff Work-Life-Balance allerdings wurde vor kurzem in "brandeins"
hinterfragt: Leben wir nicht auch, wenn wir arbeiten? Die Gegensätzlichkeit in diesem Begriff scheint mir also fragwürdig und konstruiert. Er vermittelt ein falsches Bild von Arbeit, die nun mal elementar zum Leben dazugehört.

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