Monika Höfler
Jeder sollte eine zweite Chance bekommen. Auch Exknackis. Aber die müssen doch nicht gleich in unsere Nachbarschaft ziehen
17.07.2013

Die Nachbarinnen sitzen nach der Arbeit spätnachmittags noch bei einem schnellen Kaffee. Die Kinder, aus Kita oder Schule geholt, spielen im Garten. Einziges Thema ist der neue Nachbar. Er wohnt in der Mitte der Straße, in einer winzigen Zweizimmerwohnung. „Man sagt, die Wohnung soll das Sozialamt angemietet haben“, meint Isabella. „Anscheinend hat er keine Arbeit“, fügt Britta hinzu. „Er ist offenbar den ganzen Tag zu Hause.“ Keine Schande, finden alle – heutzutage kann Arbeitslosigkeit wirklich jeden treffen. „Trotzdem“, lässt Isabella nicht locker, „ein komischer Vogel ist er schon, findet ihr nicht? Ich hab’ gehört, er soll im Gefängnis gewesen sein.“ Jetzt wird das Gespräch etwas angespannt. „Was? Gefängnis?“ Die Damen spekulieren eine Weile vor sich hin, was der neue Nachbar auf dem Kerbholz haben könnte.

Ein Ex-Knacki in meiner Nachbarschaft? Auf keinen Fall, sagen viele und verbauen damit einem bereits Bestraften die zweite Lebenschance. Susanne Breit-Keßler plädiert für die zweite Chance.


Miriam mahnt: „Moment – das sind alles nur Gerüchte. Macht mal halblang!“ Aber als die Männer dazukommen, um ihre Frauen mitsamt dem Nachwuchs abzuholen, geht es rund. „Wir müssten vielleicht rauskriegen, was der gemacht hat“, ist fast einhelliger Tenor. „Wenn er Kindern oder Frauen etwas getan hat, dann . . .“ Was dann? Dann gnade ihm Gott?

Zuhause gesucht


Der ist tatsächlich oft der einzige Barmherzige im Umgang mit einem Menschen, der aus dem Gefängnis kommt. Viele Exhäftlinge fürchten sich vor dem Tag der Entlassung so sehr, wie sie sich darauf freuen. Wie werden sie „draußen“ empfangen – von ­Familie, Freunden? Kriegen sie Arbeit? Wer soll sie nehmen? Der Gang zur Agentur für Arbeit gleich am ersten Tag der Entlassung fällt schwer. Aber er muss sofort sein, weil sonst kein Geld fließt – rückwirkend gibt es natürlich nichts. Wer kein Einkommen oder Vermögen hat – das sind die meisten –, wer kein Arbeitslosengeld bekommt, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Der nächste Weg führt nicht in die Freiheit, das eigene Leben zu gestalten, sondern zum Sozialamt. Haben einen Ehefrau oder Freundin ausquartiert, will der Mann nichts mehr von einem wissen, geht es zum Wohnungsamt. Den freien Wohnungsmarkt scheuen viele Exknackis: Ihre Antworten auf Fragen nach Her- und Einkommen werden von Vermietern und Maklern wenig begeistert aufgenommen. Manche trauen sich deshalb eher in eine Mitwohnzentrale, wo sie Gemeinschaft finden, oder in eine betreute Wohngruppe, wenn sie intensive Unterstützung wollen. Wenn alles nicht klappt, bleibt für einige Zeit nur das Obdachlosenheim. Auf jeden Fall ist die Suche nach einem Zuhause eine mühsame, oft schmerzliche Angelegenheit.

Miriam beteiligt sich seit vielen Jahren am ehrenamtlichen Besuchsdienst ihrer Kirchengemeinde in der JVA. Sie sagt: „Leute! Ich verstehe eure Panik – es ist echt nicht leicht, mit jemandem zusammenzuleben, von dem man nicht weiß, was er ausgefressen hat. Aber darf ich erinnern: Der Mann hat seine Monate und Jahre abgesessen, die im Namen des Volkes verhängt wurden. Er hat gebüßt – und genug zu tun, sich jetzt in Freiheit zurechtzufinden. Ihr könnt doch nicht willkürlich eine neue Strafe über ihn verhängen!“ Viele offene Ohren findet sie nicht mit ihrem Plädoyer. Zu groß ist die Sorge, wer sich da mitten unter ihnen verbirgt. Miriam schaut ihren Mann an und meint: „Was meinst du? Sollen wir den neuen Nachbarn mal einladen? Nix Großes, Kaffee oder so . . .“ Michael nickt zögernd. „Ich habe ziemlich gemischte Gefühle. Aber gut. Wir machen einen Schritt. Mal sehen, wie er es aufnimmt.“

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.