Schon wieder Krach an Heiligabend?
Nichts gegen das Streiten. Aber wenn, dann richtig!
15.11.2010

Weihnachten ist ideal zum Streiten. Bei manchen gibt es am Vormittag des Heiligen Abends in schöner Regelmäßigkeit Ärger. Die Hausfrau besorgt einen Christbaum, der nicht so ausfällt, wie festliches Grün auszusehen hat. Der Gatte, Herrscher über Silberkugeln, Lichterketten und Lametta, ist empört, eine solch ungeratene Fichte schmücken zu müssen. "Ach, das drehst du einfach nach hinten, da sieht man's nicht", sagt die Frau. Die Tochter mault im Hintergrund über beide Eltern ­ ihr schwebt eine Tanne vor mit Holz- und Zinnfiguren, echten Wachskerzen und leuchtend roten Kugeln.

Weihnachten ist ideal zum Streiten

Andere Familien streiten sich übers Essen: Würstchen mit Kartoffelsalat, Fondue oder Karpfen? An den Feiertagen, wenn alle bis zur Bewegungslosigkeit abgefüllt sind mit Gans, Punsch und dem Mehrteiler aus dem Fernsehen, wenn keiner mehr Stollen sehen kann und jedem das anhaltende besinnliche Gedudel an den Nerven zerrt, geht es los. Hochgespannte Erwartungen werden enttäuscht, die eigene Sehnsucht stößt bei anderen auf Unverständnis. An Tagen, für die sogar in Kriegsgebieten Waffenstillstände vereinbart werden, knallt es im trauten Heim. Gerade an Weihnachten, dem Fest der Liebe und des Zanks, wird kaum jemand ernstlich behaupten wollen, dass wir zu wenig streiten.

Aber streiten wir deswegen schon richtig? Inzwischen gibt es Institute für Streitkultur und internationale "Streit-Events", bei denen nach strengen Regeln debattiert wird, bis nach Vorrunden, Halbfinale und Finale die Sieger feststehen ­ gekürt von Preisrichtern, die etwas vom Fach verstehen. Das lässt darauf schließen, dass richtiges Streiten nicht Schreierei, Heulanfälle, Türenknallen und wüste Drohungen bedeutet. In alten Filmen ist es zwar wunderbar anzuschauen, wenn aus Sophia Lorens Augen Blitze schießen und sie so aussieht, als würde sie gleich das Küchenmesser holen. Wer aber bei Freunden oder in der eigenen Familie miterlebt, wie sich solche Situationen "in Echt" anfühlen, dem vergeht schnell das faszinierte Amusement.

Wilde Emotionen tragen nämlich dazu bei, dass ein Streit sich zuspitzt. Innere Ursache und äußerer Anlass der Differenzen geraten dabei aus dem Blick; es wird nur noch nach Möglichkeiten gesucht, den anderen zu treffen. Vielleicht, weil man selbst irgendwann getroffen wurde. Manch einer hält seine Wut, seine Kränkungen lange, viel zu lange zurück ­ bis er explodiert, an Weihnachten etwa. Hat jemand zu wenig für sich gestritten, für das, was ihm wesentlich ist, dann wirkt das wie eine Zeitbombe. Partner, Familie, sie reiben sich verwundert die Augen, woher diese geballte Ladung an Aggression auf einmal kommt. Hat sie doch offenbar nichts mit dem momentanen Konflikt zu tun. Es fällt schwer, zu reagieren, weil man keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht.

Wir streiten viel, aber nicht richtig

Wir streiten insgesamt viel, aber nicht richtig. Oft wird ein anderes als das tatsächliche Thema verhandelt. Der Ärger über die unansehnliche Fichte kann Ausdruck dafür sein, dass die Sparsamkeit der Ehefrau dem Mann regelmäßig zu schaffen macht. Sie dagegen ist beleidigt, weil es ihre Aufgabe ist, mit seiner geringen Rente auszukommen und auch am Monatsende noch eine kleine Reserve zu haben. Der kindliche Wunsch nach dem ganz anderen Baum, den die Tochter bei gut betuchten Bekannten gesehen hat, spiegelt die Sehnsucht danach wider, nicht immer verzichten zu müssen, es auch einmal so üppig haben zu dürfen wie andere. Über all das muss man reden, um sich zu verstehen.

Von Jesus wird erzählt, dass er oft in Auseinandersetzungen geriet und sie keinesfalls scheute. Ging es in Begegnungen mit Freunden oder Feinden darum, Grundsätzliches zu klären, auch einmal Enttäuschung, Wehmut oder Zorn zu artikulieren, war er deutlich. Wer sich mit ihm angelegt hat, ist deswegen nicht immer zufrieden oder in Übereinstimmung mit Jesus davongezogen. Aber derjenige konnte, wenn er wollte, genau wissen, worum es geht. Genau daran mangelt es heute oft, und das ist das Problem. Um konstruktiv zu streiten, braucht man einen guten Kontakt zu sich selbst: Man muss spüren, was man will, was einem wehtut und was wohl. Bedürfnisse und Ängste muss man sich zuerst selbst eingestehen, bevor man andere damit konfrontieren kann.

Dann bedarf es noch eines zweiten Schrittes: die erkannten eigenen Grenzen und ersehnten Horizonte beim Namen zu nennen. Wem fällt es schon leicht, zuzugeben, dass er Angst hat, allein zu sein? Wem fällt es umgekehrt leicht, das Bedürfnis anzumelden, einmal etwas nur für sich tun zu können? Wer informiert die Chefin gerne darüber, dass er mehr freie Zeit braucht oder sich ungerecht behandelt fühlt? Man will sich keine Blöße geben, will nicht falsch verstanden werden. Aber ohne Mut zur eigenen Position und Kraft zur Distanz gibt es keinen vernünftigen Streit. Zum Streiten gehört obendrein die Fähigkeit, genau zuzuhören und den anderen ausreden zu lassen ­ einander also ernst zu nehmen und die Meinung des anderen wenigstens zu achten, auch wenn's schwer fällt.

Zwischen Tür und Angel geht das alles nicht. Schon Bert Brecht meinte im Kaukasischen Kreidekreis: "Für ein gutes Streiten ist Zeit nötig." Wenn man bedenkt, dass bei Jesu Geburt kein oberflächliches Eiapopeia verkündet, sondern der Friede auf Erden besungen und den Menschen ein Wohlgefallen gewünscht wurde, dann könnte man ja freie Tage dafür nutzen, um miteinander richtig und wirklich ins Gespräch zu kommen. Gesegnete Weihnachten!

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