Ja. In jedem von uns. Und dort müssen wir es bekämpfen
15.11.2010

Die Kleinen spielen im Sandkasten. Ein Bild der Harmonie ­ wie im Garten Eden! Auf einmal zieht Max seiner Cousine Lilly mit der Plastikschaufel eins über den Kopf. Die weint laut los und langt ihm dann mit den kleinen Fingern in die Augen. Das Geschrei nimmt noch erheblich zu, die Eltern eilen herbei und trösten die Kinder. Irgendwann sitzen sie erneut vereint beim Sandkuchenbacken. Bis es wieder von vorn losgeht. Später dann, Jahre später, tratscht Lilly mit Freuden alles weiter, was ihre Klassenkameradin Natalie angeht -­ denn die kann sie echt nicht leiden. Max prügelt sich dafür gern vor Zuschauern mit Alexander, weil er sicher sein kann, den Kleineren und Schwächeren regelmäßig zu besiegen. Wer glaubt, es gebe eine paradiesische Zeit im Leben, fernab von großen oder kleinen Bosheiten, von gemeinen Attacken und tiefem Schmerz, der irrt.

Die nüchterne Einsicht, dass menschliche Wesen sich selbst und anderen Übles zuzufügen

Lapidar hält die Bibel fest: "Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf" (1. Buch Mose 8,21). Das ist die nüchterne Einsicht in das menschliche Wesen, zu dem von Anfang an die Möglichkeit gehört, sich selbst und anderen Übles zuzufügen. Die biblische Urgeschichte zeigt, topaktuell, Adam und Eva, die beiden Selbstherrlichen, die sich nach dem Sündenfall gegenseitig beschuldigen ­- wie ein Ehepaar, das bei einer Scheidung, statt Verantwortung für das gemeinsame Scheitern zu übernehmen, keine Gemeinheit auslässt, um sich gegenseitig zu schikanieren. Da sind Kain und Abel, Konkurrenten um die Liebe Gottes, deren moderne Abbilder alles tun, um Rivalen aus dem Weg zu räumen und sich selbst eine Spitzenposition zu verschaffen: vom Verschwindenlassen wichtiger Akten bis zu übler Nachrede im Büro -­ viele haben das schon am eigenen Leib erlitten.

Das sprichwörtliche "Über Leichen gehen" ist alltäglich, tatsächlicher Mord kommt ebenfalls vor. Und die größenwahnsinnigen Turmbauer von Babel sind auch immer wieder an der Arbeit. In unschöner Regelmäßigkeit leben Menschen an dem vorbei, was ihnen selber und anderen guttun würde. "Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut", hat der Komiker Karl Valentin gesagt ­ in humoriger Verkehrung der Worte des Apostels Paulus: "Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht" (Römer 7,18). Wer sich selber wirklich kennt, weiß, dass es so ist ­ man müsste sich zum Beispiel schonen und ackert doch wieder, bis man richtig krank wird. Man wäre gerne geduldig und fährt den Partner trotzdem harsch an.

Manchmal fühlt man sich dem Bösen wie einer fremden Macht ausgesetzt ­ wenn andere einem körperlich oder seelisch Gewalt antun: eine Gewalt, die lebenslang unauslöschliche Spuren hinterlässt. Da spürt man es dann furchtbar und hautnah, dass es bei der Frage nach dem Bösen um mehr geht als ein paar üble Taten und schlechte Erfahrungen. Wenn wir vom Teufel, vom Satan, vom "Fürsten der Welt" sprechen, dann zeigt das: Wir wissen, dass wir nicht im Paradies leben.

Man muss immer wieder neu mit den zerstörerischen Mächten in einem selbst und in anderen kämpfen. Oft sind die ziemlich erschreckend. Gelegentlich können sie aber durchaus ein faszinierendes Gesicht haben ­ angefangen beim Teufelchen auf der Schulter, das zum Naschen und Dickerwerden verführt. Eine ganz andere Dimension hat die lockende Lust, über andere Macht auszuüben, sie zu unterwerfen und ihnen ihre Seele, ihren Lebensmut zu nehmen.

"Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten!"

Mephisto sagt bei Goethe zum eingenickten Faust: "Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten!" Für ausgeschlafene Zeitgenossen muss das nicht gelten. Mit gesundem Gottvertrauen und einem klaren Verstand ausgestattet, sollte man sich zumindest vom Bösen in einem selbst nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Die biblischen Geschichten schärfen auch hier den Blick für die Realität: "Die Sünde lauert vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie", spricht Gott vor der Tat warnend zu Kain. Die besten Voraussetzungen dafür, dem Bösen in sich die Tür vor der Nase zuzuschlagen, sind ein stabiles seelisches Gleichgewicht, fester geistiger Halt und die Anerkennung der Nächsten als Ebenbilder Gottes. So kann man zerstörerische Tendenzen in einem selbst vertreiben.

Es gibt, auch wenn man scheitert, immer wieder die Möglichkeit der Wahl, der nachdenklichen Konfrontation mit sich selbst und anderen. Adam und Eva sind aus dem Paradies vertrieben, aber es bleibt ihnen ein ganzes Leben, um es zu gestalten. An Kain, den Brudermörder, darf niemand Hand anlegen ­ unter dem Schutz Gottes gründet er seine Familie. Die Turmbauer sind verwirrt, aber nicht sprachlos. Kommunikation bleibt möglich.

Im Neuen Testament heißt es schließlich in den Abschiedsreden Jesu an seine Jünger: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben" (Johannes 14,19). Das ist so ziemlich das Schönste, was einem gesagt werden kann: Du sollst leben und dieses Leben realistisch, mit Selbsterkenntnis und zugleich hoffnungsvoll anpacken.

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