Susanne Breit-Keßler über den schwierigen Umgang mit Geld - wenn man es nicht hat
15.11.2010

Ein Trenchcoat ist im Frühjahr ein Must-have, liest Jessica. Sie braucht überdies ein Paillettentop, ein Etuikleid in Beerentönen, möglichst mit schmalem Gürtel. Dazu die neue Lidschattenfarbpalette einer berühmten französischen Marke plus der Haarfarbe, die die Schauspielerin Scarlett Johansson trägt. Das Problem ist nur, dass Jessica als Programmiererin nicht genügend verdient, um sich leisten zu können, was andere empfehlen. Aber zunächst gibt es die Kreditkarte her: Jessica kauft nach Herzenslust ein, füllt ihre Schränke und übersieht geflissentlich, dass das Minus auf ihrem Konto monatlich mehr wird. Ihre Bank scheint es auch nicht weiter zu kümmern.

An einem Freitagmittag behält der Bankautomat ihre Karte. Zum Glück erwischt sie noch einen Angestellten. Er windet sich etwas, bevor er ihr mitteilt, dass sie inzwischen mit 20 000 Euro im Minus ist. So viel Schulden - das kann sie bei ihrem Gehalt nie zurückzahlen! Heulend flüchtet sich Jessica zu ihrer Freundin Ina, die völlig perplex ist: Nie hätte sie gedacht, dass Jessica sich in eine solche Situation manövriert - sie hat sie immer nur wegen ihrer modischen Erscheinung bewundert. Und jetzt droht der Offenbarungseid! Da bleibt nur, alle Freunde anzurufen und nach Möglichkeit die Summe zusammenzutragen, um Jessica aus der Patsche zu helfen.

Wer so viel unerhörtes Glück und gute Freunde hat, die Bares opfern, damit er aus den Miesen kommt, muss anschließend schleunigst sein Verhalten ändern. Ein zweites Mal wird niemand hilfsbereit seinen Geldbeutel öffnen. Was also tun, wenn Verlockungen groß und Kontostände klein sind? Wenn Kreditinstitute, Versand- und Kaufhäuser mit schnellen Krediten werben und vielgelesene Zeitschriften einem nachdrücklich mitteilen, was angesagt ist? Wer wenig Geld auszugeben hat, muss sich überlegen: Was brauche ich wirklich? Was kann ich mir zusätzlich leisten, wenn ich allen Verpflichtungen nachgekommen bin?

Ein sorgfältig geführtes Haushaltsbuch ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um den Überblick über die eigenen Finanzen zu behalten. Wer es nicht schafft, alles genau aufzulisten, oder wer schludrig den Hauptteil der Ausgaben unter "Sonstiges" verbucht, sollte sich Rat holen: bei verlässlichen Freunden, die mit Geld umgehen können, oder bei einer Schuldnerberatung, etwa in der Diakonie. Was am wichtigsten ist: Man muss sich überlegen, warum man überhaupt all das haben möchte, was andere einem anbieten. Fühlt man sich erst dann als Mensch wertvoll und dazugehörig, wenn man hat, was andere haben?

Und zu wem gehört man dann? Sind das die Leute, die man bei sich haben möchte, wenn man zerfließt vor Tränen oder einen Lippenherpes plagt? Eher nicht. Es braucht Haltung, um den Sirenenrufen zu widerstehen - vom Blush-on-Rouge über schicke Telefone bis zum neuesten Auto. Vivienne Westwood, die Königin der Punkmode, hat auf ihrer letzten Fashion-Show dazu aufgefordert, dem Konsumismus abzuschwören und alte Kleider, extravagant kombiniert, aufzutragen. Jessica könnte auf diese Weise vielleicht noch schicker sein als bisher - für weniger Geld.

Wer sich gern etwas gönnt - und die Wirtschaft muss ja auch angekurbelt werden -, der sollte sorgfältig auswählen, manchmal auch etwas weglassen. Für Jessica hieße das, mal eine Modesaison zu übergehen, vielleicht bei einer Auktion mitzusteigern oder in einen Secondhandshop zu gehen. Insgesamt braucht es ein geradezu biblisches Selbstbewusstsein, mit dem man sich vor dem Spiegel anschaut und sagt: "Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin" (Psalm 139,14) - ich muss nicht erst für viel Geld etwas aus mir machen. Ich bin schon jemand. Ein echtes Must-have, solch innere Freiheit.

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