Foto: Elias Hassos
Das kann gar nicht sein, der räumt doch sonst nie auf! - Echte Festnagler halten keinen Wandel für möglich
15.06.2011

Karola seufzt. Auf der Heimfahrt von einem längeren Diensttermin denkt sie an das Chaos, das sie zu Hause erwarten wird. Alexander, ihr Mann, hat garantiert wieder vergessen, den Biomüll wegzubringen – der Gedanke daran und an den muffigen Geruch in der Küche lässt sie ihre Nase krausziehen. Ziemlich ­sicher ist auch die Spülmaschine voll und das Altpapier stapelt sich auf einem Stuhl. Gereizt schließt Karola die Wohnungstür auf. Alexander nimmt sie strahlend und voller Wiedersehens­freude in den Arm. Karola entwindet sich ihm und macht einen Kontrollgang: Nanu, alles erledigt? Es duftet sauber und frisch, nichts liegt herum.

Doch, hier, natürlich: Ein paar Teile des gespülten Geschirrs sind noch nicht weggeräumt. Alexander zuckt fröhlich-schuldbewusst mit den Achseln: „Ich wusste nicht, wohin damit...“ Karola faucht ihn an: „Mein Gott, nach fünf Jahren in dieser Wohnung kennst du dich immer noch nicht aus!“ Alexander ist stocksauer. Er hat sich Mühe gegeben, endlich einmal alles für die Heimkehr von Karola schön herzurichten, ihr mit seinen Aufräumarbeiten richtig Freude zu machen. Wie kann man wegen eines Schnee­besens und ein paar Plastikdosen so ein Theater machen! Mann, auch Frau kann – und das ist jammerschade.

"Siehe, ich mache alles neu"

Es ist einfach schade, wenn jemand nicht (mehr) bereit ist, sich von seinem Partner, der Partnerin positiv überraschen zu lassen. Denn dann bleiben die festgelegt, festgenagelt auf das, was sie jahrelang vielleicht negativ „ausgezeichnet“ hat. Und sie bekommen nie eine Chance, zu beweisen, was alles an Möglichkeiten in ihnen steckt: Häufig ungeschickt angestellt bei handwerklichen Herausforderungen – immer ein Trampel. Es kann gar nicht sein, dass die Schranktür wieder fest in ihren Angeln hängt. Die meisten familiären Gedenktage vergessen – da weckt ein unerwarteter Blumenstrauß sofort schlimmen Verdacht. „Was hast du denn ausgefressen?“

Wer dem himmlischen Motto „Siehe, ich mache alles neu“ nichts zutraut, der nimmt sich und dem anderen eine Menge ­Lebensfreude. Der, der auf seine üblichen Verhaltensweisen festgelegt wird, kann sich auf den Kopf stellen, kann all seine Liebe und Fantasie spielen lassen, an sich arbeiten wie ein Weltmeister – es nützt doch nichts. Im besten Fall pfeift er oder sie dann ­irgendwann auf die Anstrengungen und fällt tatsächlich wieder zurück in die alten Muster. Wenn die Enttäuschung darüber, als veränderter, gewandelter Mensch nicht anzukommen, zu groß wird, kann so jemand auch ganz neue eigene Wege gehen.

Und was ist mit denen, die zu den Festnaglern gehören? Die verpassen das Leben. Ihnen entgehen die verblüffenden positiven Wendungen, zu denen die Menschen fähig sind, gerade weil sie einen lieben. Wie beflügelnd ist es, sich von den manchmal ­winzigen, den kleinen Auferstehungen mitten im Leben be­geistern zu lassen – und sei es ein überraschend frisch bezogenes Bett samt erfolgreicher großer Wäsche, das unerwartete Lieblingsessen nach einem langen Arbeitstag oder der Ausflug, der unverhofft fix und fertig geplant ist. Leben, Lebendigkeit steckt im Detail, in den kleinen Gesten.

Karola sagt auf einmal nachdenklich: „Pass auf, die ganze Szene von vorn. Ich komme noch mal rein...“ Sie sieht die Blumen auf dem Tisch, schließt Alexander in die Arme, atmet tief ein, lässt ihre Tasche fallen, tanzt mit ihm durchs Wohnzimmer, beide ­holen sich ein Glas Wein aus der Küche. Und sie sagt: „Wunderbar hast du alles gemacht! Danke!“ Kleinkram kann man später oder morgen aufräumen – jetzt ist Zeit für etwas ganz anderes.

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