Christian O. Bruch
15.11.2010

Es war einmal eine Zeit, da herrschte Frieden zwischen den Besitzern und den Vorständen deutscher Großunternehmen. Wenn die Geschäfte nicht so liefen wie erhofft, mussten die Manager sich und ihre Pläne beim Cognac erklären. Dann hatten die Eigner, meist ein recht überschaubarer Kreis, Geduld mit ihnen. Man war ja kein Unmensch.

Inzwischen haben sich die Verhältnisse gründlich verändert. Neben die Alleininhaber alten Stils und die Besitzer großer Aktienpakete ist eine gesichtslose Masse getreten. Sie besteht aus den Eignern einiger weniger Unternehmenspapiere, die sie entweder selbst halten oder vermittelt durch Fonds. Das Gesicht dieser Namenlosen sind die Analysten.

Analysten durchleuchten Branchen und Unternehmen, meist im Auftrag von Investmentbanken. Sie lesen Geschäftsberichte wie andere Leute Krimis. Sie hungern stets nach neuen Daten. Und sie sind von Berufs wegen extrem misstrauisch. Auf der Grundlage ihrer Einschätzung fällt die Entscheidung: kaufen, halten oder verkaufen.

Selbst Konzernriesen (wie Bertelsmann) können ohne Geld von der Börse künftig nicht mehr bestehen. Deshalb müssen die Vorstände heute mit Analysten reden ­ oft mehr, als ihnen lieb ist. Es kostet Zeit und Kraft, Analysten von der eigenen Strategie zu überzeugen. Die meist jungen, oft nassforschen Beobachter kritteln an jeder Entscheidung herum: Entwicklungskosten, Absatzzahlen, Rückstellungen, Markteinschätzung ­ kein Detail entgeht ihnen. Sie haben eigene Prognosen für Umsatz, Gewinn und Kosten, sie denken in Szenarien. Bilanzlyrik alten Stils entlockt ihnen ein Gähnen.

Auf diese Weise spielen Analysten eine zentrale Rolle im digitalen Kapitalismus. Deshalb bedenken die Medien sie mit schönen Metaphern: Helden, Könige, Gurus, Propheten der Börse. Was sind sie wirklich?

Analysten sind hoch qualifizierte Wachhunde und als solche eine Bereicherung gerade für Deutschland, wo Vorstände lange genug ihre Aufsichtsräte um den Finger wickeln konnten. Sie achten darauf, dass ein Unternehmen möglichst hohe Gewinne auf gesunder Basis macht, und das ist weder verwerflich noch zum Nachteil von Millionen Aktienbesitzern. Sie kümmern sich, wenn sie ihren Job gut machen, sogar um weiche Produktionsfaktoren wie die Mitarbeiterzufriedenheit. Kurz: Ihr kalter Blick sorgt mit für Zukunftsfähigkeit.

Andererseits sind Analysten blind und unersättlich. Sie strafen Unternehmen wie Nokia ab, die ihre Konkurrenz abhängen und Traumzahlen vorlegen (Umsatz: plus 54 Prozent, Nettogewinn: plus 53 Prozent). Warum? Weil es im Augenblick des Erfolgs immer opportun ist, skeptisch auf die Zukunft zu blicken, wenn auch besserwisserisch. Egal, der Nokia-Aktienkurs sackte ab.

Die Analysten murren, wenn Daimler-Chrysler nur 25000 Mitarbeiter in den USA entlässt, weil eine noch radikalere Sanierung vielleicht schneller gelänge. Sie neigen eben zu Extrempositionen, die sie oft genug aus abstrakten Modellrechnungen herleiten. Zu schweigen davon, dass Einzelne die Anleger mit abwegigen Prognosen verschrecken. Und davon, dass echte Anteilseignerschaft Analysten fremd ist: Was es bedeutet, teilzuhaben am Prestige einer Firma, Mitverantwortung zu tragen für die Beschäftigten und ihre Familien, das wissen sie nicht.

Analysten taugen also weder als Bösewichte noch als Helden. Propheten, denen man Kontakt zu höheren Sphären unterstellen darf, sind sie schon gar nicht. Sie beraten. Entscheiden müssen andere.

Im Zeitalter des Massenbesitzes von Anteilen entscheiden letztlich alle, wohin die Shareholder-Gesellschaft steuert. Jeder kann Aktien kaufen, statt sich herauszuhalten. Jeder kann auf langfristigen Wertzuwachs setzen statt auf den schnellen Euro. Jeder kann seinen Bankberater nach den Papieren verantwortlich wirtschaftender Unternehmen fragen. Schließlich, so ist zu hoffen, sind ja auch die Eigner von heute keine Unmenschen.

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