Wer hat nicht Angst vor dem Sterben? Und wer möchte nicht am liebsten so sterben, dass er dabei keine Schmerzen hat? Wer hat nicht die Sorgen, wochen- und monatelang voller Schmerzen dahinsiechen zu müssen, ohne sterben zu können? Wie erstaunt war ich, als ich Gian Domenico Borasio, Medizinprofessor in München und einer der Vorkämpfer für die Palliativmedizin, sagen hörte: "Ich erinnere mich mit großer Dankbarkeit an einen Patienten, der mir angesichts schwerster Krankheit und den sicheren Tod vor Augen sagte, dass seine Lebensqualität jetzt besser sei als in seinem ganzen bisherigen Leben - jetzt habe er endlich gelernt, 'einfach da zu sein'."

Einfach da sein

Der Patient war in einer glücklichen Lage: Er hatte mit Ärzten und Betreuern zu tun, die sich vollkommen auf ihn und seine Bedürfnisse einließen. Die ihm medizinisch und menschlich gaben, was er benötigte. So konnte er, ohne in Panik und Verzweiflung zu fallen, trotz seiner schweren Krankheit seinen Lebensweg bewusst zu Ende gehen. Ohne dieses Beispiel zu verallgemeinern: Im Sterben dieses Patienten scheint etwas davon auf, wie wir uns alle unsere letzte Lebensetappe wünschen.

Ein sorgfältiger Umgang mit dem Sterben, die intensive Vorbereitung auf den eigenen Tod und die gewissenhafte Begleitung anderer in ihrer letzten Phase des Lebens ist darum heute dringender denn je. Wir sollten uns mit ganzer Kraft für eine gute Sterbekultur einsetzen, die Lebensqualität vermittelt. Ja, die Sterbekultur ist ein Spiegel unserer Lebenskultur.

Wo sterben heute Menschen? Oft in Krankenhäusern, nicht selten einsam, meistens mit höchstem medizintechnischem Aufwand. Zu einer guten Sterbekultur gehört aber mehr. Sie stellt dem Sterbenden Menschen an die Seite, die ihn auf diesem Weg begleiten. Zu einer guten Sterbekultur gehört es, Schmerzen zu lindern und den Sterbenden intensiv zuzuhören, mit ihnen gemeinsam zu Ende zu bringen, was noch offen ist.

Bewusst bis hin zum Tod begleiten

Bei all diesem spielen die Ärzte eine besondere Rolle. Besonders wichtig ist es, dass Ärzte über diese letzte Lebensphase mit ihren Bedürfnissen gut informiert sind, besonders auch über die medizinischen Möglichkeiten, einen Sterbenden zu begleiten. Ich kenne nicht wenige Ärzte, die dem Tod ausweichen, denn er scheint den Misserfolg ihrer ärztlichen Bemühungen zu dokumentieren. Die Palliativmedizin will dagegen den Sterbenden bewusst bis hin zum Tod begleiten.

Ich freue mich, dass im Juli die Ausbildung aller Mediziner in Palliativmedizin inzwischen durch Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde. Damit wird eine langjährige kirchliche Forderung erfüllt, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Denn nur wenn Ärztinnen und Ärzte palliativmedizinisch ausgebildet sind, können sie Schwerstkranken und Sterbenden die nötige Hilfe anbieten.

Die gesetzliche Festlegung dieser medizinischen Qualifikation war deshalb dringend geboten. Sie bringt auch noch einen weiteren Nutzen: Eine gute ärztliche Versorgung begegnet den in der Bevölkerung weit verbreiteten Ängsten vor mangelhafter medizinischer Betreuung.

Ich bin überzeugt, dass dies der beste Weg ist, um auch Scharlatanen das Handwerk zu legen, die die Beihilfe zur Selbsttötung oder die Tötung auf Verlangen als angeblich einzige Lösung im Leiden verkaufen. Was Schwerstkranke und Sterbende brauchen, ist bestmögliche medizinische und menschliche Hilfe - und nicht ihre Tötung. Dann müssen wir alle keine Angst mehr vor dem Tod haben.

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Dieser Artikel wurde 2009 geschrieben. Anfang dieses Jahres, 2014, ist meine Mutter im Krankenhaus an Krebs gestorben. Wir hatten leider mit Krankenhauspersonal zu tun (ÄrztInnen, Krankenschwestern/Pfleger), die offensichtlich keinerlei Ausbildung in palliativer Begleitung erfahren haben. Der Tod meiner Mutter ist für uns zu einem Trauma geworden: Nicht nur, weil er überraschend und entgegen allen ärztlichen Prognosen gekommen ist, sondern überwiegend aufgrund des vollkommen unmenschlichen, respektlosen Verhaltens von seiten des Krankenhauspersonals. Ehrlich gesagt bin ich auch nicht sicher, ob man menschliches Verhalten "antrainieren" kann. Der Umgang mit den Schwächsten unserer Gesellschaft (alte/kranke/sterbende Menschen, Kinder) scheint mir symptomatisch zu sein, für die sich ändernde Welt, die nur noch auf Leistung, Kapitalansammlung für wenige und Kostenreduzierung in allen sozialen Bereichen ausgerichtet ist. Für "Menschlichkeit" ist da schlicht kein Platz mehr.

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