Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild
15.11.2010

Ob Wahlkämpfe nützen, fragen sich manchmal die Wahlkämpfer selbst. Sicher ist nur: Wer nicht kämpft, verliert. Der Sieg hat viele Väter; der Verlierer steht allein. Ganz gegen diesen Trend gilt mein Respekt allen, die sich auf demokratische Weise um ein Mandat bemühen ­ unabhängig davon, wer am 22. September gewinnt und wer verliert.

Landauf und landab klagt man darüber, in Wahlkämpfen würden vor allem die Personen in den Vordergrund gestellt. Ich finde das nicht so schlimm. Denn um nichts anderes geht es bei Wahlen: Personen wird auf Zeit Verantwortung übertragen. Was das für ein Mensch ist, der da regieren soll, ist wichtiger als das, was er sagt. Denn Versprechungen erweisen sich schnell als hohl; und keiner kennt alle Probleme der nächsten vier Jahre im Voraus. Aber ob ein Mensch die nötige Charakterstärke hat, um für andere Verantwortung wahrzunehmen, ob er die Spannkraft aufbringt, sich neuen Herausforderungen zu stellen, ob er das Maß an Unterstützung mobilisiert, ohne das niemand politisch handeln kann ­ all das sind Persönlichkeitsfragen. Deshalb dürfen Personen des öffentlichen Lebens ein gewisses Maß an öffentlichen Tugenden nicht unterschreiten. Gewiss sollten Wählerinnen und Wähler ihr eigenes moralisches Ungenügen nicht auf die politisch Verantwortlichen abladen; das führt zu einer verlogenen Moralisierung der Politik. Gleichwohl haben Menschen in herausgehobener Verantwortung eine Vorbildfunktion; wer sie nicht wahrnimmt, versagt als Politiker und nicht nur als Privatperson.

Trotzdem: Wenn im Wahlkampf nur von Personen die Rede ist, lässt mich das unbefriedigt. Jedenfalls bis zu dem Sommertag, an dem ich dies schrieb, war von dem Wahlkampfthema, an dem sich für mich alles entscheidet, überhaupt noch nicht die Rede. Es ist die Zukunft dieser Republik.

Wie sieht unsere Gesellschaft in zehn Jahren aus? Über dieses Thema wünschte ich mir große öffentliche Debatten. Besonders verdient würde sich machen, wer in solche Debatten auch unabhängige und unbequeme Geister einbezöge. Sie hätten zu fragen, ob die Erhöhung der Lebenserwartung unausweichlich mit einer Vergreisung der Gesellschaft erkauft werden muss, ob eine Zukunft mit Kindern nicht wieder in ihrer Bedeutung gewürdigt werden kann, ob das Maß der erwünschten Zuwanderung sich eigentlich nur aus Erfordernissen der Rentenversicherung ergibt ­ und so fort.

Wer politisch Erfolg haben will, muss sagen, für welche Wirtschaftspolitik er steht ­ obwohl die Wirtschaft gar nicht von der Politik gemacht wird. Denn ohne funktionierende Wirtschaft funktioniert auch sonst nicht viel. Trotzdem ist Wirtschaft nicht alles. Menschen können sich nur orientieren, wenn sie in ihren Traditionen zu Hause sind und die Welt, in der sie leben, deuten können. Kultur, Bildung, Religion werden zu großen Themen dieses Jahrhunderts. Doch im Wahlkampf war davon keine Rede. Ein Jahr nach dem 11. September wählt Deutschland, als habe es dieses Datum nie gegeben. Hoffentlich wird man nach dem 22. September auch die Probleme ernst nehmen, von denen im Wahlkampf nicht die Rede war.

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