Tillmann Franzen
Ökumene: Manchmal kann man sie spüren
Gelegentlich kann man sie ganz deutlich spüren, die Einheit der getrennten Kirchen. Zum Beispiel in Taizé
Foto: Tillmann Franzen
24.09.2012

Martin Luther bediente sich einer klaren, kraftvollen Sprache. Angesichts des verbreiteten Irrglaubens, man könne und müsse sich Gottes Vergebung erkaufen oder durch eigene Leistungen verdienen, haben er und die reformatorische Theologie nach ihm die Botschaft des Evangeliums zu vier Einsichten verdichtet: Gottes Vergebung geschehe allein durch Gnade, allein im Glauben, allein durch die Schrift und allein in Christus. Dieses vierfache, knappe „allein“ entfaltete eine ungemein befreiende Wirkung. Der Glaube und nicht eine noch so bemerkenswerte Leistung des Menschen stand wieder im Zentrum des Lebens.

Am Ende dieses Monats feiern evangelische Christen das Reformationsfest. Sie erinnern sich daran, wie Martin Luther dazu ermutigt hat, selbst dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift nachzuspüren und sich direkt der Gnade Gottes anzuvertrauen. Das stärkt die Freiheit der Einzelnen, hat jedoch auch eine Kehrseite. Wer die Freiheit großschreibt, darf sich über Vielfalt und Separatismus nicht wundern. Dass man Kirche nur in Gemeinschaft leben kann, gerät manchmal aus dem Blick. Ab und zu spiele ich mit dem Gedanken, wie es wäre, den vier Kernsätzen der Refor­mation einen fünften hinzuzufügen: allein in der Gemeinschaft.

Den inneren Weg zu Gott mit einem äußeren verbinden

Ich habe vor einigen Wochen die ökumenische Gemeinschaft von Taizé in Burgund besucht. Dorthin pilgern Menschen aus ganz Europa. Das Evangelium hat sie aufgerufen, ihren inneren Weg zu Gott mit einem äußeren zu verbinden – auf ihre Mitmenschen zu, in eine Gemeinschaft, die ihnen Heimat gibt, über konfessionelle und sprachliche Grenzen hinweg.

Ich habe in Taizé eine Ökumene der ­Gaben erlebt. Es hat sich mir nämlich die Einsicht von Frère Roger, dem Gründer der Gemeinschaft von Taizé, erneut erschlossen: Die angestrebte Einheit unserer getrennten christlichen Kirchen kann sich nicht allein auf der Basis theologischer Vereinbarungen bilden – so wichtig diese auch sind. Die Einheit, allen Christinnen und Christen ja schon mit ihrer Taufe geschenkt, aber im Kirchenalltag noch nicht verwirklicht, lässt sich schon heute in ­einer spirituellen Gemeinschaft wie jener in Taizé erleben. Von dort strahlt sie in die Gemeinden aus, wo immer in Europa. Das  hat, wie die Geschichte von Taizé seit ihren Anfängen 1940 zeigt, auch Folgen für die praktische Solidarität mit Menschen, die Opfer ungerechter Gesellschaftsstrukturen wurden. Damals waren es Kriegsflüchtlinge.

Konfessionelle Bindung? Spielt für die Jugendlichen in Taizé keine Rolle

Bei den vielen Jugendlichen, die in Taizé in der Stille meditieren, die begeistert in die Lieder von Taizé einstimmen und die in den Bibelarbeiten nach der Bedeutung eines Gotteswortes für ihr Leben fragen, spielt ihre konfessionelle Bindung keine besondere Rolle. Das wurde mir in Gesprächen mit ihnen sehr deutlich.

Gerade darum bleibt es ein wichtiges Ziel der Gemeinschaft von Taizé, dass die Jugendlichen sich nicht zu einer neuen ­Alternativkirche organisieren, sondern dass sie ihre Anregungen in die Heimat­gemeinden mitnehmen. Dieser Ausgleich ist wichtig: in ihrem Glauben verwurzelt zu bleiben und trotzdem offen zu sein für neue Eindrücke und für die Menschen um sie herum. Wenn sie das hinbekommen, können sie mit ihrem Glauben selbst zu einem Zeichen werden und Zeichen setzen für die Aussöhnung unserer Kirchen.

Schön, wenn der Geist von Taizé und seine an der Bibel orientierte Ökumene auch bei unseren Feiern des Reformati­onsfestes spürbar wird. Gerade diese vier „allein“ – und das fünfte nicht minder – sind unser evangelischer Beitrag zur Einheit der christlichen Kirchen.

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Sehr geehrte Redaktion,

herzlichen Dank für Ihren interessanten Artikel "Ökumene: Manchmal kann man sie spüren"!
Als katholische Christin habe ich mich gerade auf Ihre Seiten "verirrt" und die Ausführungen von Herrn Präses Schneider in diesem Artikel haben mich nicht nur überzeugt, sondern mir auch sehr imponiert. Besonders die Betonung der Gemeinschaft als fünften Punkt im evangelischen Kirchenverständnisverständnis hat mich sehr angesprochen und war für mich in der Form bisher absolut neu. Ich möchte gern recht bald in die evangelische Kirche übertreten und stoße mit meiner Überzeugung leider noch immer auf zahlreiche hartnäckige Vorurteile, zumal das Prädikat der Gemeinschaft ja gern vor allem von der katholischen Kirche betont wird, denn innerhalb der evangelischen Kirche war dies offiziell bis vor einiger Zeit eben noch keine Selbstverständlichkeit. Meiner Ansicht nach muß wahre Gemeinschaft aber immer über sich selbst hinaus weisen und das Verbindene mit den Schwestern und Brüdern suchen, wobei es sich nicht zuletzt durch die Taufe ja längst um eine einzige kirchliche Gemeinschaft beider Kirchen handelt. Andernfalls hätte sich die Bedeutung der einen christlichen Taufe doch längst selbst ad absurdum geführt...
Mich hat dieser Artikel deshalb sehr dazu ermutigt, Ihrer Kirche endlich und endgültig persönlich beizutreten.

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