Thomas Meyer/Ostkreuz
Wir haben mit unserer christlichen Tradition etwas ungeheuer Starkes anzubieten
Thomas Meyer/Ostkreuz
28.09.2014

Gleich zweimal hat sich die Zeitung „Neues Deutschland“ am 25. August mit Kirchenthemen beschäftigt. Im einen Artikel geht es um das neue automatische Einzugsverfahren für Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Dort lautet der Untertitel: „Kirchenobere vergleichen Austritte mit Tsunami und stehen Entfremdung von Christen ohnmächtig gegenüber.“ Der zweite Artikel hat die Überschrift: „Nichtchristen melden Kinder zur Taufe. Für viele wird die Kirche erst jetzt interessant.“ Selbst Ungläubige – so führt der Autor aus – attestierten den hohen Wert diakonischer Einrichtungen wie Kinder­tagesstätten oder Altenheime für die Ge­samt­gesellschaft. In den letzten 25 Jahren hätten sich gerade in Ostdeutschland Hunderte Fördervereine gegründet, die sich für den Erhalt der eigenen Dorfkirche einsetzten. Und auch wenn für diese engagierten Bürger ein eigener Kircheneintritt oft nicht mehr infrage käme, meldeten sie häufig ihre Kinder zur Taufe an, damit diese in den Glauben der Kirche wieder eingeführt würden.

Dass gerade das „Neue Deutschland“, nicht unbedingt eine kirchennahe Zeitung, auf eine neue Attraktivität der Kirchen hinweist, sollte uns zu denken geben. Wir sind manchmal viel zu kleinmütig. Ja, es ist ganz offensichtlich etwas schiefgelaufen in der Kommunikation, wir haben das neue Einzugsverfahren für die Kirchensteuer auf Kapitalerträge nicht gut genug erklärt. Wir haben nicht deutlich machen können, dass sich nur die Art der Erhebung ändert. Über Schuldzuweisungen an die Kirchen selbst, an die Banken oder gar an die Ausgetretenen sind wir hoffentlich hinweg. Die Gründe müssen und werden nüchtern analysiert werden.

Wie sollen wir auf Austritte reagieren? Vor allem sollten wir einfach wirklich ­Kirche sein. Dann kommt die Ausstrahlungskraft von alleine. Denn es hat ja Gründe, wenn Eltern ohne klassische ­Kirchenmitgliedsbiografie ihre Kinder ­zur Taufe anmelden.

Wir müssen endlich selber merken, wie ungeheuer stark die christliche Tradition ist

Wie könnte man besser lernen, dankbar zu leben, als mit einer Religion, in der das Dankgebet eine zentrale Rolle spielt? „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Wer diese Worte aus dem Psalm 103 in sein Leben und seine Seele hineinlässt, verändert sich. Er sieht sich und seine Mitmenschen in einem ­neuen, hellen Licht.

Die Sprache der christlichen Religion hilft auch, eine Haltung der Selbstdistanz einzuüben, die für unser persönliches
Leben genauso wie für unsere öffentliche Kultur von so zentraler Bedeutung ist. Es mag auf den ersten Blick unmodern wirken, von „Sünde“ zu sprechen oder – wie das in jedem christlichen Gottesdienst der Fall ist – ein Bußbekenntnis mitzusprechen. In Wirklichkeit gibt es – richtig interpretiert – ­Sprache für etwas, was der Einzelne und die Gesellschaft dringend brauchen. Wie viele Ehen bekämen eine neue Chance, wenn wir lernten, in Dis­tanz zu uns selbst zu gehen und die Perspektive des anderen einzunehmen? Wenn wir den Satz „Es tut mir leid“ nicht als beziehungstaktischen Beschwichtigungssatz einsetzen, sondern wirklich tief empfinden würden? Und welche gesellschaftlichen Fehlentwicklungen könnten korrigiert werden, wenn der Blick auf die eigenen Unzulänglichkeiten Teil der politischen Kultur würde?

Wir haben mit der christlichen Tradition etwas ungeheuer Starkes anzubieten. Wir müssen nur endlich selber merken, wie stark es ist. Und gegenüber anderen damit nicht hinter dem Berg halten.

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