Cornelia Coenen-MarxPrivat
20.10.2010

"Die Reformation hat nicht im 16. Jahrhundert stattgefunden, sondern sie liegt als Aufgabe vor uns", schreibt der evangelische Pfarrer Klaus Douglass in seinem Buch "Die neue Reformation. 96 Thesen zur Zukunft der Kirche". "Reform ist nötig ­ Reform ist möglich", meint auch Eckart von Vietinghoff, der Präsident des hannoverschen Kirchenamtes, der kürzlich Vorschläge zu einer besseren Kooperation der evangelischen Landeskirchen in Deutschland gemacht hat. Die Kirchen stünden bei deutlich weniger Mitgliedern, nachlassender Finanzkraft und einem kritisch-distanzierten Klima in der Gesellschaft wachsenden ökumenischen und missionarischen Herausforderungen gegenüber. Und in der Tat: Für die meisten Menschen, denen ich begegne, ist es schwer zu begreifen, dass sich die evangelischen Landeskirchen in Deutschland noch immer von den Territorien und Bekenntnisgrenzen des 16. und 17. Jahrhunderts her definieren, obwohl sie seit dreißig Jahren volle Abendmahlsgemeinschaft haben. Wer weiß aber überhaupt noch, dass es verschiedene protestantische Konfessionen gibt oder dass man mit einem Umzug von München nach Berlin fast automatisch konvertiert und vom Lutheraner zum Unierten wird?

Wir leben in einer mobilen Welt. Veränderungen kennzeichnen vermehrt das Berufs- und Familienleben. Nur unsere Kirchenzugehörigkeit wird noch immer von überkommenen, von provinziellen Strukturen bestimmt. Kein Wunder: Familienfeste und Bräuche, Hochzeitskirchen und Heiligenfeste geben uns das Gefühl von Heimat. Aber unser Glaube ist mehr als der Stoff, aus dem unsere kulturelle Identität gewoben ist. Gott ist nicht nur ein anderer Name für die Werte, die uns verbinden. Dass Gott uns anspricht und uns herausfordert, ist eine Erfahrung, die alles in Frage stellen kann, was uns heilig ist, und die unsere Identität verändert. Die Geschichten von Paulus oder auch von Luther, die Geschichte der Mission und der ökumenischen Bewegung zeigen: Der Glaube an Jesus Christus hat Menschen aller Völkern zusammengeführt und aus Feinden Freunde gemacht. Dafür haben viele alte Sicherheiten riskiert und sind zu neuen Ufern aufgebrochen. Sie gewannen Stärke und Überzeugungskraft.

Als Bischöfin Margot Käßmann vor kurzem ihre Mitarbeit im Weltkirchenrat niederlegte, konnte man lesen: "Mrs. Ökumene verlässt den Ökumenischen Rat." Hat sich die Hoffnung auf Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen totgelaufen? Zurzeit ringt der Weltkirchenrat tatsächlich mit den Gegensätzen zwischen Ost- und Westkirchen, zwischen orthodoxen und protestantischen Christen: vom gemeinsamen Gebet bis zur Frage der Frauenordination. Sind also auch die Kirchen von kulturellen Konflikten zerrissen, erleben wir den "clash of cultures"? Sagen wir so: Für uns Evangelische ist ein unmittelbarer und aufgeklärter Umgang mit heiligen Texten und Traditionen wichtig. Evangelische Freiheit lässt Kontroversen zu, wenn es darum geht, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Darin sind sich die Kirchen der Reformation sehr nah. Und sie rücken näher zusammen, nicht nur in Deutschland. Mit unserer Verschiedenheit haben wir einander lange genug das Leben schwer gemacht. Offene Auseinandersetzungen helfen zu verstehen, woher wir kommen und wohin wir gehen wollen ­ wohin und mit wem. Cornelia Coenen-Marx

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