Cornelia Coenen-MarxPrivat
15.11.2010

In der Kaiserswerther Diakonie gibt es eine Wohngemeinschaft junger Frauen, die in einem freiwilligen sozialen Jahr diakonische Arbeitsfelder kennen lernen ­ Altenarbeit, Pflege oder Erziehung. Seit einigen Jahren ist sie offen für internationale Gäste. Eine Spanierin, eine Indonesierin, eine junge Frau aus Michigan lebten hier, und seit einigen Monaten auch eine Palästinenserin aus Beit Jala.

Nennen wir sie Nadja. Nadja ist hier, weil sie Absolventin von Talitha Kumi ist, einer Schule in der Nähe von Beit Jala, die einst von Kaiserswerther Diakonissen gegründet wurde. Am 12. September, einen Tag nach den Terroranschlägen in New York und Washington, saß sie verwirrt und verzweifelt bei uns. Gemeinsam mit den anderen Frauen in der Wohngemeinschaft hatte sie die Nachrichtensendungen gesehen, in denen tanzende Kinder aus Palästina gezeigt wurden. Scheinbar einleuchtende Bilder ­ schließlich sind Israel und Amerika Feinde Palästinas, oder?

Den Beschuldigungen, die darauf folgten, hatte Nadja kaum standhalten können. Es genügte offenbar, Palästinenserin zu sein, um identifiziert zu werden. Mit diesem Anschlag, mit der falschen Freude und natürlich mit dem Islam.

Dabei liegen die Dinge differenzierter: Nadja ist Christin und gehört zur Evangelisch-lutherischen Gemeinde in Beit Jala. Und auch die Bilder zeigten keinesfalls die ganze Wirklichkeit. Aber darüber zu sprechen und Differenzierungen wahrzunehmen, ist unendlich mühsam, zumal für Nadja.

"Seit ich dich kenne, habe ich Probleme, von denen ich vorher nicht mal wusste, dass es sie gab", hat eine deutsche Mitbewohnerin zu Nadja gesagt. Die fühlt sich zerrissen zwischen den Kulturen, denkt an ihre Schwester in New York, an ihre Eltern in Beit Jala. Und sie fühlt sich schlecht, wenn sie hier Unbeschwertheit und Lebensfreude tankt, fühlt sich schuldig, wenn sie andere mit ihren Sorgen belastet. Kann unter diesen Bedingungen Freundschaft, das ökumenische Zusammenleben gelingen?

In diesen Wochen wird zum Thema, was unter diesen jungen Leuten lange keine Rolle spielte: die Zugehörigkeit zu einem Volk, einer Religion. Zum ersten Mal schäme ich mich fast, Palästinenserin zu sein, sagt Nadja unter dem Eindruck unserer Medienberichte. Wenn man erlebt hat, wie die eigene Familie mit aufrechtem Gang politische Unterdrückung, Gefängnis und Arbeitslosigkeit überstanden hat, tut es weh, so etwas zu sagen. Aber was passiert mit einer jungen Frau, die gezwungen ist, sich auf diese Weise mit ihrem Volk auseinander zu setzen, zu identifizieren?

Falsche Scham, falscher Trotz und Vereinfachungen verschärfen die Fronten. Hinsehen und Lebensgeschichten erzählen, das würde helfen zu verstehen: Ein Pass sagt wenig über einen Menschen. Volk und Religion sind nicht identisch: Es gibt Familien, die auf vielen Kontinenten leben. Es gibt christliche Palästinenser, Syrer, Ägypter, es gibt deutsche und amerikanische Muslime.

In den dunkelsten Tagen Deutschlands war es wichtig, dass Freundschaften und ökumenische Kontakte quer über die Kriegsfronten hielten und dass es Menschen gab, die dem Schwarz- Weiß-Denken nicht verfielen. Mag sein, dass in der Nacht der Angriffe alle Katzen grau sind. Aber der Morgen beginnt, wenn wir das Gesicht eines Menschen erkennen können, sagte ein chassidischer Rabbi. Cornelia Coenen-Marx

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