Schwangerschaftsabbruch: EKD-Synode debattiert über Paragraf 218

Hilft die Bibel, § 218 neu zu regeln?
Junge Frauen demonstrierten im Mai 2022 vor dem Brandenburger Tor für das Recht auf Abtreibung

Polaris/laif/Olaf Schuelke

Junge Frauen demonstrierten im Mai 2022 vor dem Brandenburger Tor für das Recht auf Abtreibung

Junge Frauen demonstrierten im Mai 2022 vor dem Brandenburger Tor für das Recht auf Abtreibung

Die Evangelische Kirche will Abtreibung weitgehend entkriminalisieren. Das gefällt konservativen Christen nicht. Im obersten Kirchenparlament wird darüber heftig debattiert.

Die ersten zehn Minuten der Aussprache rieb sich die Zuhörerin verwundert die Augen. Echt jetzt, nur Männer melden sich zu Wort beim kontroversen Thema Schwangerschaftsabbruch? Fünf männliche Kirchenparlamentarier, davon zwei aus der traditionell konservativen württembergischen Landeskirche, äußerten schwere Bedenken gegenüber der Stellungnahme der EKD. Heikelster Punkt: Der Rat der EKD empfiehlt eine Art Fristenregelung mit Beratungspflicht, weitgehend außerhalb des Strafgesetzbuches. Bestraft werden soll künftig nur noch, wer zum Beispiel eine Frau zur Abtreibung zwingt.

Das Papier, um das es am Sonntag auf der EKD-Synode ging, war von der Bundesregierung relativ kurzfristig bei der Kirche angefordert worden. Das war denn auch einer der Kritikpunkte: zu schnell, mit der heißen Nadel gestrickt, "viele Evangelische fühlen sich nicht vertreten", so der Synodale Steffen Kern aus Württemberg. Aber ist es nicht ein Zeichen von Wertschätzung, dass man in Berlin noch nachfragt, was die Kirchen denken?

Denn eines war auf dieser EKD-Synode schon in den ersten fünf Minuten ernüchternd. Die Vertreterin der Bundesregierung, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, stellte sich als "religiös unmusikalisch" vor. Das trifft auch auf die aktuelle Bundesregierung zu, knapp die Hälfte trat ihr Amt 2021 ohne Gottesformel an. Also: Gut, dass die Kirche noch gefragt wird bei bioethischen Themen – und gut, dass sie mit ihrer professionellen Struktur relativ zeitnah ein fundiertes Papier verfasst hat.

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".
Foto: Lena UphoffUrsula Ott, chrismon Chefredakteurin

Der Debatte auf der Synode war schnell die Befürchtung anzumerken: Bloß nicht an den alten, mühsam errungenen Kompromissen rütteln! Bloß keine Polarisierung wie in den USA! Und bitte nicht "getrennt gehen von den katholischen Brüdern und Schwestern", so der CDU-Abgeordnete und Ratsmitglied Thomas Rachel.

Alle drei Punkte sind schwierig. Unbedingt an alten Kompromissen festhalten, das hieße ja auch: sich neuen Erkenntnissen und medizinischen Entwicklungen, etwa der Pränataldiagnostik verschließen. Und auch allen gesellschaftlichen Debatten. Im umstrittenen EKD-Papier wird Bezug genommen auf die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo und die UN-Frauenrechtskonvention – also auf die Erkenntnis: Das ungeborene Leben wird am besten geschützt, indem man die reproduktiven Rechte der Frau stärkt.

Im Klartext: Man schützt das Leben effektiver mit der Frau als gegen die Frau. Dafür sprechen alle internationalen Erfahrungen. Dies, wie in Ulm geschehen, als "Zeitgeist" und "Mode" abzutun, sagt schon viel aus über den Respekt vor internationalen Gremien. Als seien die Vereinten Nationen eine Art Insta-Kanal mit ständig neuen Trends.

Einschränkung des Lebensrechts?

Und so wird sich die Polarisierung wohl nicht vermeiden lassen. Ein paar Redebeiträge in Ulm boten schon reichlich Stoff dafür. Da wurde unterstellt, wer am Anfang des Lebens ein abgestuftes Modell favorisiere – im Papier ist die Rede von den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft –, setze womöglich auch am Ende des Lebens Fristen. Wie soll man das verstehen? Wer für eine vernünftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs eintritt – wie sie übrigens in fast allen unseren Nachbarländern längst Gesetz ist –, tritt auch für Fristen am Ende des Lebens ein? Also dass peu à peu das Lebensrecht eingeschränkt wird? Welch unlautere Unterstellung.

Die dritte Befürchtung ist die größte: Der Konsens mit der katholischen Kirche steht auf dem Spiel, das machten der gastgebende Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und sein katholischer Kollege Gebhard Fürst kurz vor der Synode klar und riefen den Synodalen zu: "Lasst uns noch mal reden!" Reden ist sicher gut. Aber dann auch darüber, ob ausgerechnet bei Fragen der Sexualpolitik der Schulterschluss mit der katholischen Kirche noch zeitgemäß ist. Wem ist die evangelische Kirche näher? Den rund zehn Millionen weiblichen Kirchenmitgliedern? Oder den katholischen Brüdern? Die Antwort sollte sich eine Organisation, die sich als lebensnah und modern versteht, die immerhin drei Frauen als Chefinnen hat, gut überlegen.

Und so war die Zuhörerin am Sonntag erleichtert, als unter Beifall endlich eine Frau ans Mikro ging, Regionalbischöfin Friederike Spengler von der Mitteldeutschen Kirche. Sie berichtete, wie schwer es ungewollt schwangeren Frauen falle, in eine evangelische Kirchengemeinde zu kommen, wo sie von Fotos freudestrahlender Familien "überschüttet" werde. Solche Stimmen aus der kirchlichen Praxis tun gut in der Debatte und sind auch eine Erweiterung.

Denn die Stellungnahme geht weit über die Frage nach dem Strafrecht hinaus: Es geht um kostenlose Verhütungsmittel, um Wohnraum, um ganz praktische Hilfe für Frauen in Not – und da ist die evangelische Kirche doch hervorragend aufgestellt. Evangelische Pfarrer haben Töchter, die ungewollt schwanger werden. Evangelische Beratungsstellen stellen – im Gegensatz zu katholischen – Beratungsscheine aus, kennen echte Not. Und evangelische Pfarrerinnen kennen das Leben.

Wo denn, bitte schön, die "theologische Grundierung" des Papiers sei, fragten gleich mehrere Kritiker. Die Antwort gab die Juristin Anna von Notz, Mitglied im Rat der EKD. Sie bezweifle, dass man im Evangelium eine Antwort auf die Frage finde, ob Abtreibung in oder außerhalb des Strafrechts geregelt werden soll. Dass Leben geschützt werden muss, darüber sind sich alle in diesem Parlament einig, denn sie alle sind dem Evangelium verpflichtet. Wie man es praktisch angeht und möglichst viele Schwangere ermutigt und unterstützt – da hilft weniger die Bibel. Sondern das Gespräch mit den erfahrenen Frauen und Männern in Gemeinden und in der Diakonie.

Leseempfehlung

Kippt das Oberste Gericht der USA ein Grundsatzurteil zu Schwangerschaftsabbrüchen von 1973? Und was bedeutete eine erneute Kriminalisierung der Abtreibung für die USA von heute? Ein Kommentar von Lotta Suter

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Lesermeinungen

Ja ich bin ein Mann und ich bin katholisch. Darf ich weiter schreiben? Angesichts des Themas „Leben“ wurden im Artikel zumindest redlich die Argumente aufgeführt, die zum Auftakt der Synode in Ulm genannt wurden. Danach aber nur Polemik. Hier geht es um das ganz große Rad für die deutsche Gesellschaft, auch für die Kinder, auch für die Männer, liebe Autorin. Des Weiteren das übliche Katholik:innenbashing. Und der internationale Bezug darf doch in Frage gestellt werden. Dass der UNO-Maßstab angeführt wird, ist einfach hochgradig eine Nebelkerze. Kurz: Sie führen Emotionen statt Argumente ins Feld. Und Sie spielen gegeneinander aus. Im Industrieland Deutschland kommen im Jahr 700.000 Kinder zur Welt. 100.000 werden abgetrieben. Nur der geringste Teil der Mütter ist minderjährig. Darf man hier Fragen stellen? Die Kirchen werden nur gehört, wenn sie in den großen Fragen eine klare Meinung eindeutig formulieren. Es geht inzwischen in D um die Verteidigung des christlichen Menschenbildes. Die Tonalität dieses Beitrags ist mir in ihrer Oberflächlichkeit und boulevardhaften Leichtigkeit kaum erträglich.

Meine Frau und ist ein wunderbarer Mensch. Sie ist liebevolle Mutter, Ehefrau, und Tochter. Sie ist Chefin Ihres eigenen Betriebes, Sie ist Blumenliebhaberin, Freundin, kurz gesagt eine starke und freundliche Person. Bald aber jährt sich zum 23 Mal ein Ereignis das Sie für einige Tage still werden lässt, Ihr Lachen dämpft, Ihre Gedanken einnimmt. Denn Anfang Dezember diesen Jahres währe unsere Tochter 23 Jahre alt geworden, wenn Sie nicht bereits im Mutterleib gestorben wäre. Oft schon haben wir, und oft noch werden wir dann über das Wesen reden dem das Leben verwehrt geblieben ist. Ein Leben das wir vermissen, jedes Jahr aufs neue.

Ich lese von dem Stolz über die Bedeutung die der Kirche zugemessen wird. Den Wunsch schnell und passend zu antworten. Was ich nicht lese sind die Antworten auf die Frage warum. Warum wird die Kirche gefragt, was ist das Feld der Erkenntnis für das Sie stehen soll. Und wie so frage wiederum ich mich, geht man mit der Verantwortung für eine Antwort um. Ich lese hier nichts von Jesus, irgendwie Sonderbar, ist er doch der Herr der Gemeinde. Ja, was hat er eigentlich über Kinder gesagt, und Was hat er damit gemeint?

Lutherbibel 2017: Mt. 19,14; Mk. 10,14; Lk. 18,16.

Ich bin dankbar der Seele meiner Tochter eines Tages begegnen zu können. Denn ich liebe Jesus, und ich bekenne mich zu Ihm. Und eines Tages, wenn er alle Tränen abwischen wird, werde ich mein Mädchen sehen. Das ist mir Trost.

Was für eine Volte - aus Abtreiben wird Lebensschutz und statt der Bibel verlässt man sich auf menschliche Erfahrung. Eine täuschende Sinnentleerung, die aus Worten und möglichen Bedeutungen hohlen Klingelkram macht. Wie verdreht muss es in den Gedanken und Empfindungen der Autorin zugehen… Im Unterton ist das so aggressiv und frustriert, dass die Lektüre richtig peinlich ist.