Segen aussprechen
". . . und schenke dir Frieden"
Jeder Gottesdienst endet damit. Was ist das eigentlich: ein Segen? Und wer darf ihn sprechen?
Hände mit bunten Stoffhandschuhen, die die Geste des Segnes zeigen
Religion für Neugierige - ". . . und schenke dir Frieden"
Lisa Rienermann
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
12.05.2023
3Min

Über vieles aus der Welt der Religion kann man sich streiten. Mit einem allgemeinen Wohlwollen aber kann man rechnen, wenn das Gespräch auf den Segen kommt. Selbst diejenigen, die ihn für wirkungslos halten, sehen nichts Schädliches in ihm. Anderen ist er das Liebste am Glauben. Es soll Menschen geben, die nur seinetwegen einen Gottesdienst besuchen. In der Tat, ein christlicher Gottesdienst ohne den Segen zum Ende ist nicht denkbar.

Lesen Sie hier die Kolumne Kulturbeutel von Johann Hinrich Claussen

Diese Worte zeigen am eindrücklichsten, was der Segen in christlichem und jüdischem Verständnis bedeutet. Sie werden in der Bibel Aaron, Moses Bruder, zugeschrieben, dürften aber uraltes Traditionsgut sein. Sie lauten: "Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; Der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden" (4. Mose 6,24–26).

Lesen Sie hier: Johann Hinrich Claussen bei chrismon

Im Segen geht es zunächst um Schutz und Bewahrung vor konkreten Unglücksfällen, dann aber in einem viel umfassenderen Sinne um ein Leben im Frieden. Solch ein geheiltes Leben ist untrennbar verbunden mit einer heilen Gottesbe­ziehung – im Erleben der Gläubigen: Gesegnet sein heißt, von Gott gesehen zu werden. Kürzer, umfassender und poetischer als mit Aarons Worten kann man es nicht sagen.

Dass in der klassischen deutschen Übersetzung vom "HERRN" die Rede ist, sollte man nicht als patriarchale Sprache abtun. Im hebräischen Ori­ginal steht der Gottesname "JHWH". Da schon im Alten Israel die Scheu groß war, diesen Gottesnamen aus­zu­sprechen, las man "Adonai" – auf Deutsch: "HERR". Dies ist ein Ausdruck der Ehrfurcht vor Gott. Heute aber verbinden nicht wenige mit diesem Wort ein einseitig männliches Gottesbild, deshalb sagen viele Pfarrerinnen und Pfarrer schlicht: "Gott segne dich . . .", was natürlich angemessen ist.

(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen

Die Bibel erzählt, dass Aaron ein Priester gewesen ist. In seiner Nachfolge sprechen heute in evangelischen Gottesdiensten hauptsächlich Pastorinnen und Pastoren den Segen.

Das Segnen ist aber keine heilige Handlung, die nur von sogenannten Geistlichen vollzogen werden dürfte. Es ist nach evangelischem Verständnis kein Sakrament, für das man "geweiht" sein müsste. Es ist schlicht eine besondere Form des Gebets. Deshalb ist es falsch zu sagen, eine Amtsperson würde den Segen "spenden". Vielmehr bittet sie Gott darum, dass er seinen Segen spende. Dies können im Prinzip alle tun.

So wie jeder Christenmensch selbst beten kann, kann auch jeder Christenmensch andere segnen und Gott darum bitten, dass er sie ansehe: Kinder vor dem Einschlafen, Angehörige vor einer Operation, Freunde vor einer weiten Reise, Demente zum Abschluss eines Besuchs, Verstorbene auf dem Totenbett. Mit Aarons oder ­eigenen Worten, mit gefalteten Händen oder einer Geste: zum Beispiel, indem man eine Hand auflegt oder mit dem Finger ein Kreuz auf die Stirn zeichnet.

In Deutschland ist man so etwas nicht mehr gewohnt. Deshalb muss man dazu ein bisschen Mut aufbringen und es einüben. ­Natürlich sollte es nur im Einvernehmen geschehen. Dann aber kann es sehr schön, tröstlich und ermutigend sein – für die, die gesegnet werden, und für die, die segnen. Diejenigen, die den Segen sprechen, können sich übrigens selbst in die Bitte aufnehmen und sagen: "Gott segne uns." Aber es hat eine eigene Kraft, wenn man es wirklich anderen zuspricht.

Besonders in den ersten Kapiteln des Alten Testaments finden sich Geschichten, die ein vertieftes Verständnis des Segens eröffnen. Zum Beispiel diese über Abraham: Er war 75 Jahre alt, als plötzlich Gott zu ihm sprach. Er solle seine Heimat verlassen und fortziehen in ein Land, das er nicht kannte, das Gott aber für ihn und ­seine Nachfahren ausersehen hatte. Dabei hatten Abraham und seine Frau Sarah gar keine Kinder. Gott rief ihn auf, gegen alle Vernunft in eine offene Zukunft zu gehen – und gab ihm ­diesen ­Segen mit auf den Weg: "Ich will dich ­segnen, und du sollst ein Segen sein" (1. Mose 12,2).

Einen Segen behält man also nicht für sich, sondern gibt ihn weiter. Abraham und Sarah wurden die Stammeltern des Judentums, des Christentums und des Islams.

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Was für eine Begriffs- und Wortwahl!
"Deutse sprak, swere sprak". Ein Gläubiger hat in einer Insolvenz berechtigte Forderungen. Im Sinn der angeblichen Erbsünde sind wir dagegen alle gläubige Schuldner, aber nicht immer mit Schulden gegenüber anderen. Die "Gläubigen" hingegen sind nicht eine Gruppe von Gläubigern mit Forderungen, sondern eine Gruppe mit einer Erbsündenschuld. So mein Verständnis. So wird aus PLUS ein MINUS. Die "Gläubigen" glauben, das alles gut werden könnte. Die anderen haben fälschlich geglaubt und die Erfahrung gemacht, das sie dem Teufel des Betruges zum Opfer fielen und so zu Gläubigern wurden. Noch problematischer wird es, wenn man das Attribut "Gläubige" auf alle Religionen ausdehnt. Die Kanzel ist nicht so einfach.

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Sehr geehrter Herr Claussen,

vielen Dank für den schönen Text über den Segen im neuen Chrismon-Heft. Allein der letzte Satz fordert meinen Widerspruch heraus. Abraham und Sarah sind die Stammeltern des Judentums und des Christentums, aber doch nicht des Islams. Abraham wird als Stammvater betrachtet, die Stammmutter wäre aber Hagar.

Überhaupt fremdele ich etwas mit diesem letzten Satz, die Muslime berufen sich auf Abraham, aber den Islam gibt es ja erst mit Beginn des 7. Jahrhunderts. Und mit dem Lesen des Korans drängt sich (zumindest mir) der Verdacht auf, dass hier jemand über die Bibel Bescheid wusste und diese dann so ungefähr kopiert hat. Schon allein, dass der Koran als Schrift Gottes auf die Erde kommt, da ist ja kaum die Parallele zum Johanneswort vom "Wort das Fleisch wurde" zu übersehen.

Auch zu sehen, wie der Islam alle frühen Stätten des Christentums ausgelöscht bzw. übernommen hat, schmerzt mich sehr. Allerdings sieht Gott die Herzen an und dennoch wünsche ich mir mehr Eintreten für den Glauben, der mit der Botschaft von Jesus Christus zu uns gekommen ist, sein Tod und seine Auferstehung bringen Versöhnung mit Gott. Wir können nun Abba lieber Vater rufen, wir sind seine Kinder, das war für meinen muslimischen Freund völlig unvorstellbar, Gott als Vater, wir seine Kinder - niemals.

Dies sind meine etwas weitergehenden Gedanken dazu.

Herzliche Grüße

Birgit Siller

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