Hof Vegan.Bullerbyn schafft Lebensraum für 130 Tiere

Die Sau muss keine Ferkel liefern
Anna Ritzinger mit Sau Nia

Sebastian Lock

Anna Ritzinger, 39: "Nia war total resigniert. Jetzt stupst sie einen an – ‚hej,streichel mich!‘"

Anna Ritzinger, 39: "Nia war total resigniert. Jetzt stupst sie einen an – ‚hej,streichel mich!‘"

Auf Hof Vegan.Bullerbyn können Schweine, Schafe und Ziegen einfach sein. Der Lebenshof schenkt 130 Haus- und Nutztieren ein ruhiges Leben.

Anna Ritzinger, 39:

Als wir mit zwei Kindern an der Hand und einem im Bauch in diesen alten Bauernhof zogen, waren viele in unserem da­maligen Freundeskreis skeptisch: Euch wird die Decke auf den Kopf fallen, da draußen im fränkischen Outback! Weil unsere Freunde dann so oft nachfragten, begannen wir, von unse­rem Leben mit den Tieren auf Instagram zu berichten; ­unser Lebenshof heißt dort Vegan.Bullerbyn, statt Bullerbü, weil es auf Insta kein ü gibt. Es begann damit, dass wir spontan ein paar Hühner aufnahmen und dann, als wir in der Zeitung von einem Osterlamm zur Hofschlachtung lasen, das lebende Lamm mitsamt seiner Mutter.

Aktuell leben hier 130 ehemalige Haus- oder Nutztiere, unter anderem fünf Hunde, viele Schafe und Ziegen, Hühner, Puten, Wachteln aus der Wachteleiproduktion, zwei ehemalige Reitschulponys, auch ein vernachlässigtes Ferien­bauernhofpony. Die Tiere werden nicht genutzt, die Eier nicht gegessen, die Ponys nicht geritten.

Wir brauchen mittlerweile 3000 Euro im Monat für Futter, Streu, Tierarztkosten. Wir kamen an den Punkt, wo wir letztlich nur noch für die Tiere gearbeitet haben. Mein Mann hat nebenan seine Werkstatt als Schreinermeister, ich arbeite als Model für Firmen mit fairen, nachhaltigen Produkten. Wir gründeten einen Verein und finanzieren die Tiere jetzt über die Mitgliedsbeiträge, über Spenden und Patenschaften. Es ist eine Gemeinschaft entstanden. Wir haben viele Helfer und Helferinnen. Und viel Besuch.

Was wir tun, ist ein Stück Wiedergutmachung

Am Anfang war das für mich die Hauptbelastung. Ich wollte Leute auf dem Hof haben, aber nicht in meinem Haus. Ich bin überhaupt kein WG-Mensch. Man könnte mich mit Büchern in einem Turmzimmer einmauern, und ich wäre glücklich. Aber meine mittlerweile vier Kinder profitieren von der Gemeinschaft. Auch ich.

Tierisches Leben auf dem Gnadenhof
 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

Anna Ritzinger kommt auf ihrer Runde mit den Hunden auch am endlich wieder aufgetauten Weiher hinterm Haus vorbei

 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

Jüngst hat der Lebenshof zwei zur Schlachtung vorgesehene Sauen aufgenommen. Auch Nutrias wurden abgegeben

 Lebenshof vegan.bullerbyn

Sebastian Lock

Ob Haus- oder Hängebauchschwein - sie lassen sich gern streicheln. Sogar einige der Puten mögen das

 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

Der Hof ist zu klein geworden - die Gemeinschaft wächst, Helfer wollen einziehen, ein Schulungsraum wäre schön ...

 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

Kein Tier wird hier aufgegessen. Die Kosten für Stroh, Futter, medizinische Versorgung werden über Spenden bezahlt

 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

Wer kann mit wem? Darauf achten sie hier. Manche Tiere haben eigene Pferche. Auf jeden Fall können die Kinder mit den Schweinen. Die Zahl 269 auf dem Tattoo von Anna Ritzinger ist ein Symbol für veganen Aktivismus.

 Lebenshof Vegan.Bullerbyn

Sebastian Lock

1 von 7

Ich habe gelernt, dass es okay ist, wenn Leute merken, dass ich nicht perfekt bin. Die sind auch in Momenten absolut zufrieden, wo es chaotisch zugeht. Sie sagen, der Ort hier bedeute Frieden für sie. Menschen, die sich im Tierschutz engagieren, sind oft verzweifelt, fast ­depressiv – und hier können sie etwas bewirken für Tiere, das ist heilsam. Was wir hier tun, ist ein Stück ­Wiedergutmachung. Ich bin Christin, ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele, und für mich haben auch diese Tiere eine Seele.

Jetzt haben wir zwei Muttersauen aufgenommen, die nach zehn Würfen geschlachtet werden sollten. Es war mein Traum, dass sie wenigstens einmal ihr Muttersein ausleben können! Hedda, im Betrieb hieß sie Nummer 660, galt als bissig: Sie hat nie aufgehört, um ihre Ferkel zu kämpfen, immer hat sie den Landwirt angegriffen, wenn er ihr die Ferkel wegnahm, und sie hat jedes Mal lang getrauert. Auch mein Mann sagte sofort: Das ist das richtige Schwein für uns. Wir bekamen auch noch drei Kümmerlinge mit, also Ferkel, die der Mäster nicht haben wollte.

Nia, die zweite Sau, war im Betrieb das genaue Gegenteil von Hedda: total resigniert. Als sei kein Leben mehr in diesem Tier. Aber kaum war sie hier, hat sie erst mal ­unsere Terrasse umgestaltet, ist mit dem Tisch auf dem Rücken rumgerannt. Richtig lebensfroh. Und vertrauensvoll: Sie lässt uns zu ihren Ferkeln, stupst einen an: Hej, streichel mich! Hedda dagegen ist noch ängstlich, man darf nicht laut sprechen. Aber sie ist überhaupt nicht aggressiv. Sie scheint nur noch nicht glauben zu können, dass das jetzt ihr Leben ist. Und auch sie mag Regen, beide stellen sich raus, wenn es nieselt.

Man darf hier sein, wie man ist

Wir sind schon relativ exotisch hier auf dem Land, ­allein schon durch das Vegansein. Aber man kann uns ­jederzeit alles fragen. Zu unseren Veranstaltungen kommen ­immer auch Leute aus dem Dorf. Wir arbeiten immer mehr mit Schulen, Kindergärten, ­Behinderteneinrichtungen ­zusammen. Wir sprechen dann über die Tiere als individuelle Persönlichkeiten. Wir sind dabei nicht verurteilend. Man darf hier einfach herkommen und sein, wie man ist. Man kann auch am Familientisch mitessen. Wir freuen uns immer über eine Spende, aber das ist kein Muss. Es soll ein Angebot für alle sein, wir haben auch viele geflüchtete Menschen zu Besuch.

Uns ist noch nie die Decke auf den Kopf gefallen, uns ist nie langweilig oder einsam. Es ist so lebendig hier. Wir brauchen die Stadt nicht, die Stadt kommt zu uns.

Protokoll: Christine Holch

Neue Lesermeinung schreiben

Wir freuen uns über einen anregenden Meinungsaustausch. Wir begrüßen mutige Meinungen. Bitte stützen Sie sie mit Argumenten und belegen Sie sie nachvollziehbar. Vielen Dank! Damit der Austausch für alle ein Gewinn ist, haben wir Regeln:

  • keine werblichen Inhalte
  • keine Obszönitäten, Pornografie und Hasspropaganda
  • wir beleidigen oder diskriminieren niemanden
  • keine nicht nachprüfbaren Tatsachenbehauptungen
  • Links zu externen Webseiten müssen zu seriösen journalistischen Quellen führen oder im Zweifel mit einem vertretbaren Prüfaufwand für die Redaktion verbunden sein.

Die Redaktion behält sich das Recht vor, Beiträge zu bearbeiten, macht dies aber stets kenntlich. Wir zensieren nicht, wir moderieren.
Wir prüfen alle Beiträge vor Veröffentlichung. Es besteht kein Recht auf Publikation eines Kommentars.

Lesermeinungen

Hallo Chrismon-Team!

Wegen mir muss kein Schwein sein Leben lassen und auch keine Sau muss Ferkel liefern!
Ich bin seit Jahrzehnten Vegetarier und ich habe längst vergessen, wie ein Schnitzel, wie der Schweinebraten, wie ein Schäuferla oder auch 6 auf Kraut schmecken!
Ich vermisse all das nicht und dashalb gefällt mir diese Idee mit dem Lebenshof für Tiere besonders gut.

Dazu noch ein Zitat vom britischen Schriftsteller, Essayisten und Journalisten George Orwell (1903-1950):

"Die Kreaturen draußen sahen von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein und wieder von Schwein zu Mensch; aber es war schon unmöglich zu sagen, welches was war."

Ihr Klaus P. Jaworek

Liebes Chrismon-Team,
hier mein Leserbrief zum obigen Artikel:
Der Artikel hat mich sehr berührt und bewegt, weil ich meine berufliche Zukunft auch gerade ausrichte auf die Arbeit mit Tieren. Auch ich bin davon überzeugt, dass Tiere eine Seele haben und ihre eigene Persönlichkeit. Ich habe mich vor kurzem entschieden, nun vegan zu leben, weil ich es nicht mehr aushalte, wie Tiere für unseren grenzenlosen Hunger auf Fleisch, Milchprodukte und Eier gequält und geschunden werden. Ich möchte nicht mehr Teil dieses grausamen Systems sein. Ich halte es nicht mehr aus. Im Mai letzten Jahres hatte ich die große Ehre, in meinem Urlaub auf der Nordseeinsel Pellworm einem kleinen Seehundheuler das Leben zu retten. Das kleine Tier, das wahrscheinlich noch nie vorher einen Menschen gesehen hatte, sah mir für ein paar Sekunden direkt in die Augen. Dieser kurze Moment berührte mich so tief und nachhaltig, dass ich allen Tieren nun mit Achtung und Respekt begegne und sehe, was sie sind: lebendige Wesen mit einem schlagenden Herzen. Wir sollten sie dementsprechend behandeln.
Steffie Haddenga, Hamburg

Wunderschön !
Ich habe eine ähnliche Geschichte erlebt.
Ich sah, wie eine Entenmutter mit drei Kücken über eine Strasse eilte, und es gerade noch schaffte in der Böschung auf der anderen Strassenseite vor einem Riesenlaster zu fliehen. Zwei ihrer Kücken schafften es auch, das dritte nicht mehr. Es lag noch zitternd auf der Fahrbahn als ich es aufhob und ins Gras legte. Es bebte schwach in meinen Händen, leicht wie eine Feder, zart und zerbrechlich.
Ich habe es nie verstanden, wie man allen Ernstes den Tieren eine Seele absprechen könnte.
Deshalb sind mir die endlosen Diskussionen um die Frage, ob denn ein Tier eine Seele habe oder nicht, ein Gräuel.

" Ich möchte nicht mehr Teil dieses grausamen Systems sein."
Nur mit Liebe kann man dauerhaft etwas ändern.
Gehirnwäsche allein verändert nichts.

Es gibt ja auch glückliche Hühner, die nicht " gequält und geschunden " werden...