Florence Brokowski-Shekete über Alltagsrassismus

"Nein, ich singe keinen Jazz"
"Als Frau als ,exotisch' gelabelt zu werden, fühlt sich für mich so an, als würde ich nicht ernst genommen", sagt Schulamtsdirektorin und Buchautorin Florence Brokowski-Shekete

Tanja Valérien

"Als Frau als ,exotisch' gelabelt zu werden, fühlt sich für mich so an, als würde ich nicht ernst genommen", sagt Schulamtsdirektorin und Buchautorin Florence Brokowski-Shekete

"Als Frau als ,exotisch' gelabelt zu werden, fühlt sich für mich so an, als würde ich nicht ernst genommen", sagt Schulamtsdirektorin und Buchautorin Florence Brokowski-Shekete

Florence Brokowski-Shekete hat Schwarze Deutsche mit ganz normalen Berufen ­getroffen: Sekretärinnen, Metzger, Sachbearbeiter. Sie hat viel gelernt über doofe Klischees – und was dagegen hilft.

chrismon: Neulich hielt Sie jemand für eine Sängerin. Was hat Sie daran gestört?

Florence Brokowski-Shekete: Das ist so eine Schublade! Als ob alle Schwarzen Menschen exotische Berufe haben müssten. Dabei wurde mir die Frage bei einer Veranstaltung zum Thema "Gesellschaftliche Eingliederung von jungen Menschen mit und ohne Migrations­hintergrund" gestellt.

Also hätte man erwarten können: schlaues Publikum. Sie mögen ja diesen Begriff "exotisch" ohnehin nicht gern . . .

Als Frau als "exotisch" gelabelt zu werden, fühlt sich für mich so an, als würde ich nicht ernst genommen.

Sie sind Schulamtsdirektorin. Und Sie haben für Ihr Buch also keine Sängerinnen, Comedians und Fußballer gesucht . . .

. . . sondern einen Metzger, eine Ärztin, Sekretärinnen und Sach­bearbeiter. Ich wollte zeigen: Es gibt ­Schwarze Deutsche, die nicht in Klischee­berufen ­arbeiten.

Florence Brokowski-Shekete

Florence Brokowski-Shekete, Jahrgang 1967, ist Schulamtsdirektorin in Mannheim. 2020 erschien ihr Buch "Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen" und 2022 "Raus aus den Schubladen!: Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen" (beide im Orlanda Verlag).
Tanja Valérien

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".
Foto: Lena UphoffUrsula Ott, chrismon Chefredakteurin

Und dennoch sind Sie in diesen ganz normalen Berufen vielen Klischees über Schwarze Menschen begegnet. Welchen?

Zum Beispiel, dass Schwarze arm und bedürftig sind. Ich denke an Isaac ­Boateng, der im Hamburger Fach­amt für Grundsicherung, Sach­gebiet Wohngeld, arbeitet. Ihm ­passiert ­immer wieder, dass er in seinem Büro sitzt und die Kunden kommen nicht in sein Zimmer. Die machen die Tür auf – und klick: Sie denken, der kann nur ein Antragsteller sein, und sie machen die Tür wieder zu. Dass er derjenige ist, der über ihren Antrag verfügt, ist denen nicht bewusst. Er muss dann aufstehen und sagen: Der Nächste, bitte. Mich hat das sehr ­berührt.

 Kantor Gerald Ssebudde strengt sich doppelt anTanja Valérien / Rebecca Racine Ramershoven

Ähnlich ging es der Ärztin Stephania Papdo . . .

Sie zog in ein Dorf und bekam von allen Seiten Kleider und Möbel geschenkt, das war ihr ganz peinlich. Sie wusste nicht, wie sie sagen sollte, ich brauche das alles gar nicht. Ihr gings wie manchen Leuten mit der Vase von Oma Inge. Sie wurde dann von Nachbarn eingeladen, die ihr auch einiges schenken wollten, und die da erst fragten: Was machen Sie denn beruflich? Die Nachbarin war selber Reinigungskraft. Als sie hörte, Stephania ist Ärztin, war der Kaffeeplausch ganz schnell vorbei und der Kontakt brach ab.

Vielleicht war das der Nachbarin einfach peinlich?

Ja, schon. Aber es gab auch diese Komponente: Ich brauche immer jemanden, der sozial unter mir steht. Umgekehrt passierte nämlich Folgen­des: Es sprach sich dann rum, dass sie Ärztin ist, und es wurden im Ort die Kinder von anderen Akademikern geschickt: Spiel mal mit den Kindern der Ärztin.

Ist das positive Diskriminierung?

Ich mag das Wort nicht, weil Dis­kriminierung immer etwas Negatives ist. Aber stimmt schon in dem Fall: Man wird hochgehoben, weil man einen besseren Studienabschluss hat. Ich kenne übrigens beides. Mein Sohn wurde anfangs bedauert, oh je, wer hilft dir denn bei den Hausaufgaben? Und als die Leute hörten, dass ich ausgebildete Lehrerin bin, sagten sie, oh, du hast es aber gut, deine Mutter ist Lehrerin, da wurden sie so richtig devot. Hui, Lehrerin, die weiß ja alles. Beides sind Schubladen. Beides mag ich nicht.

Das kommt ja auch in Ihren Gesprächen vor – das Klischee, Schwarze sprächen nicht richtig Deutsch.

Ganz schlimm erging es Chantale ­Bierou, einer sehr lebensfrohen Person, der aber echt der Atem stockte, als sie mir diese Szene erzählte. Sie hatte bereits eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin und zwei Kinder, jobbte am Band in einer Fabrik, als ihr ein Vorarbeiter den Vier-Wort-Satz sagte: "Du Teile da reinmachen." Das hat sie so erschüttert, das war auch so dumm von diesem Mann – sie hat diesen Job beendet. Obwohl er gut bezahlt war. Sie sagte sich: "Du Teile da reinmachen", das kann es nicht gewesen sein mit meinem Leben.

 Chantale Bierou hasst Vier-Wort-SätzeTanja Valérien / Rebecca Racine Ramershoven

Sind Sie auch offenem Rassismus begegnet?

Am krassesten erging es Victor, dem Metzger in Speyer. Auf Facebook schrieb jemand: Ich gehe nicht zu diesem schwarzen Metzger. Aber ­diese Geschichte hat ein Happy End – es gab, ebenfalls auf Facebook, so viele Solidaritätsbekundungen, dass der Rassist wohl sogar Hausverbot bei anderen Läden bekam. Mir zeigt das Beispiel, dass man nicht auf die lauten Pöbler hören darf, die leisen Anständigen sind zahlreicher.

Viele Ihrer Gesprächspartner betonen, wie wichtig ihnen Höflichkeit und Gelassenheit sind. Wie reagiert man auf Rassismus und Vorurteile?

Man hat doppelte Ansprüche an sich selber. Einerseits will man sich wehren. Andererseits will man nicht schon wieder ein Stereotyp bedienen. Wenn ich glaube, ich gehe gleich an die ­Decke, und mir fallen Aus­drücke ein, die meine Mami noch nicht mal auf die Müllschaufel genommen ­hätte – dann denke ich sofort: Nein, das darfst du nicht sagen. Sonst denken die Leute, ach, ordinär ist sie auch noch, die Schwarze. Man möchte sich verteidigen, aber man möchte nicht laut sein und ordinär. Man möchte schon auch mal brüllen, aber man kontrolliert sich ständig. Das ist anstrengend.

Anstrengend klingt auch das Leben von Gerald Ssebudde, dem evangelischen Kantor aus Frankfurt am Main. Er sagt, er musste immer der Beste sein.

Seine Mama sagte ihm: Du musst besser sein als die Weißen, um als genauso gut angesehen zu werden. Also hatte er immer sehr gute Noten, und vor allem achtete er darauf, dass er perfekter als perfekt Hochdeutsch sprach. Bis heute fragt er sich, hast du genug geübt, bist du gut genug? Er setzt sich unter einen enormen Druck. Und er hat sich auf Mozart und Beethoven spezialisiert, damit er nicht dem Klischee entspricht, nur schwarzen Jazz zu spielen. Ihm hat übrigens die Arbeit an diesem Buch sehr gutgetan, wie er mir sagte.

Wie erlebt der Kantor seine evangelische Kirche?

Er erzählte von einer wirklich schlimmen Szene. Er ist ja ein sehr ange­sehener und talentierter Musiker, und er sollte an einem Abend ein Konzert geben, Musik von Max Reger. Als er zur Orgelempore hochsteigen wollte, stellte sich die Küsterin in den Weg und sagte: "Moment, Sie können jetzt hier nicht hoch, hier findet gleich ein Konzert statt." Als er sagte, ich bin aber doch der Organist, glaubte sie ihm nicht. Sie hat ihn nicht hoch gelassen. Erst als der Pfarrer ihn legitimierte, durfte er zur Orgel hoch. Das ist wieder so eine Situa­tion, in der man seine Emotionen unter­drücken muss, um zu funktionieren. Als er diese Geschichte neulich auf einer Lesung in der Kirche erzählte, sagte er, er habe 25 Minuten Max Reger gespielt und sich dabei Tränen verkniffen.

 Victor Nettey, Metzgermeister in Speyer, erlebte offenen Rassismus – aber noch viel mehr Unterstützung seiner treuen KundenTanja Valérien / Rebecca Racine Ramershoven

Wenn Sie die Lebensgeschichten Revue passieren lassen – was hilft gegen das Gefühl von Ausgrenzung, gegen die "Schubladen"?

Meist hilft eine Person, die an dich glaubt. Jemand, der dich versteht und dich unterstützt. Oft ist es eine Lehrerin, mal war es aber auch die Mutter oder der Stiefvater. Eine Person, die dich "spürt", im Englischen sagt man "I can feel you". Eine Person, der ich nichts erklären muss und vor der ich mich nicht rechtfertigen muss. Und sei es nur ­eine Person, der ich nicht er­klären muss, warum man mir nicht in die Haare ­fassen soll.

Passiert das wirklich immer noch, dass man Schwarzen Menschen in die Haare fasst?

Ja! Wildfremde Menschen machen das. Aber ich bin doch kein Ausstellungsstück, das ist eine Grenzüberschreitung. Ich möchte das nicht. Das Thema Haare kam immer wieder zur Sprache in meinen Interviews, manche Frauen hören jetzt auch auf, ihre Haare zu bleichen und zu glätten und stehen zu ihrer Natur­krause. Ein großes Thema. ­Michelle Obama hat ja gerade in einem Interview gesagt, das amerikanische Volk sei noch nicht bereit gewesen für ihre Naturkrause. Das Ursprüngliche ist für viele weiße Menschen fremd. Und viele Schwarze wollen dazugehören und machen sich die Haare glatt.

 Isaac Boateng ist Sachbearbeiter, nicht arm und bedürftig.Tanja Valérien / Rebecca Racine Ramershoven

Sie schreiben, Schwarze Menschen brauchen eine klare kulturelle Identität – wie meinen Sie das?

Ich habe als Kind das Schwarzsein ­ignoriert, aber damit habe ich einen Teil von mir ignoriert. Ich beobachte das auch bei Menschen mit türkischen ­Wurzeln in der dritten, vierten Genera­tion. Nur wenn man Frieden schließt mit ­seinen Wurzeln, kann man für sich ein­stehen und gut nach außen gehen. Ich hatte früher immer den Harry-Potter-­Unsichtbarkeitsmantel über mir. Bin mit angezogener Hand­bremse durchs Leben. Gut, ich bin immer noch über­trieben höflich. Aber seit ich durch ­meine Autobiografie so sichtbar bin, ist die Handbremse nur noch halb an­gezogen. Man muss wissen, wo die ­Wurzeln sind und zu ihnen stehen.

Aber wir weißen Deutschen dürfen das ja gar nicht fragen . . .

Ich persönlich finde, das dürfen sie ­fragen. Nicht: Wo kommst du her? Aber sehr wohl: Wo sind deine ethnischen Wurzeln? Ob und wie die Person darauf antworten möchte, kann sie dann immer noch selber entscheiden.

Wird die Hautfarbe irgendwann mal kein Thema mehr sein?

Das wird in Deutschland dauern, wir haben einfach nicht so viele Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund wie England, Frankreich oder die USA. Wir haben 27 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, und ich meine, gelesen zu haben, nur bei acht Prozent von denen sieht man es auch. Also müssen wir gnädig sein mit der Gesellschaft. Aber was wir schon erwarten können: dass diese Gesellschaft kapiert, dass es uns gibt.

Hat es die nächste Generation denn leichter?

Ein Teil unterwirft sich dem Stress, immer besser zu sein als die weißen Deutschen, aber ein Teil lehnt sich ein bisschen dagegen auf. Mein Sohn zum Beispiel ist da megacool und hat den Druck für sich nicht übernommen. ­Darüber bin ich sehr froh.

 Florence Brokowski Shekete: Raus aus den Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen. Orlanda. 192 Seiten, 22 EuroTanja Valérien / Rebecca Racine Ramershoven

Florence Brokowski-­Shekete: Raus aus den ­Schubladen! Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen. Orlanda. 192 Seiten, 22 Euro.

Ein Porträt über die Autorin und ihre ­Autobiografie "Mist, die versteht mich ja!" erschien in chrismon plus 12/2020.

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