Melina Waliczek / Imago Images
Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch der Bundeswehr im niedersächsischen Bergen.
Mehr Demut, bitte!
Ich bin kein Experte für Militär und Panzer und möchte es in diesem Leben auch nicht mehr werden. Ich blicke so wütend auf Putins Regime in Moskau und den russischen Angriffskrieg wie wohl die allermeisten anderen Menschen auch. Und ich sehe die Verzweiflung der Ukrainerinnen und Ukrainer, ihr Leiden und Sterben. Mir tun auch die Eltern russischer Wehrpflichtiger leid, die ihre Kinder beerdigen müssen für nichts und wieder nichts. Es ist ein einziges Dilemma, in dem wir stecken.
Nils Husmann
Einfach zusehen, wie Putin sich die Ukraine mit Gewalt einverleibt? Der Ukraine das Recht absprechen, sich verteidigen zu dürfen? Ich weiß, das kann es nicht sein. Ich weiß aber auch, dass Russland eine Nuklearmacht ist und dass Putin mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hat. Man kann diesem Mann nicht trauen, muss ihm aber leider vieles zutrauen. Expertinnen und Experten erklären, Putins Drohungen seien nur Taktik, man dürfe darauf nicht hereinfallen. Wie können sie das mit Gewissheit wissen? In Dilemmasituationen gibt es keine richtigen Antworten. Erst im Nachhinein weiß man, was richtig war oder gewesen wäre. Noch weniger helfen in dieser Situation schnelle und einfache Antworten.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat nun beschlossen, Kampfpanzer des Typs Leopard an die Ukraine zu liefern. Weil diese Panzer in Deutschland gebaut werden, möchte die Bundesregierung verbündete Nationen ermächtigen, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Ich kann den Wunsch der Ukraine nach dieser Waffe nachvollziehen, weiß aber trotzdem nicht, ob diese Entscheidung richtig ist. Ich kann in dieser Situation nur darauf vertrauen, dass Olaf Scholz eine kluge, reflektierte und international abgestimmte Entscheidung getroffen hat. Diese Ohnmacht ist schwer auszuhalten.
Deswegen halte ich den Ton in dieser Debatte für gefährlich. Es ist offenkundig, dass der Bundeskanzler nicht nur "gezaudert" hat, wie ihm vielfach vorgeworfen wurde. Sondern sich mit anderen Regierungen abgestimmt hat. Zum Glück! Man muss kein Scholz-Fan sein, um anzuerkennen, dass es eine Tugend ist, in einer Dilemmasituation die Argumente gründlich abzuwägen. Diese Eigenschaft zu diskreditieren und stattdessen immer wieder Schnelligkeit anzumahnen, hilft nicht weiter und führt schlimmstenfalls zum Vertrauensverlust in die Demokratie und zu Politikverdrossenheit.
Meine Kritik richtet sich auch an die eigene Branche. Ich habe gute Analysen gelesen und gehört, die das Dilemma aufgezeigt haben, die erklärt haben, warum sich der Bundeskanzler Zeit gelassen hat. Aus denen ich erfahren habe, dass auch der französische Präsident Macron vorsichtig agiert. Doch diese Analysen kamen viel zu kurz. Etliche Beobachterinnen und Beobachter verlieren sich stattdessen in einer merkwürdigen Kriegsrhetorik, feiern und preisen ihn, den "Leo", der nun endlich befreit worden sei.
Mehr Demut, bitte! Wir verlieren sonst das Wichtigste, das wir haben – das Vertrauen der Menschen, dass dort oben an der Staatsspitze jemand entscheidet, der Für und Wider gründlich abwägt.
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Lesermeinungen
Horst O. | vor 2 Tagen 4 Stunden Permanenter Link
"... der Für und Wider gründlich abwägt."
Ein "Experte" sagte vor Tagen im TV, daß Deutschland/Europa den Amerikanern hätte sagen müssen, dass sie ihre Einmischung seit Anfang der 2000er Jahre unterlassen sollen, weil Russland vor allem eine europäische Angelegenheit ist, doch leider war dazu nur Schweigen im Wald, bis Olaf Scholz überraschend die "Zeitenwende" propagierte, nachdem man ihm in den USA wohl "gut zuredete"!?