Eine Straßenkreuzung an der Poonamallee und Taylors Road in Chennai
Strassenkreuzung an der Poonamallee und Taylors Road in Chennai in der Abenddaemmerung. 31.01.2019 Asien, Indien, Tamil Nadu, Chennai, Kilpauk. Christian O. Bruch / LAIF
Christian O. Bruch/laif
Weniger Hektik dank Indian Stretchable Time
Ein Auffahrunfall, eine Beule und ein Kratzer in der Karosserie? Keine Katastrophe im indischen Verkehr – genau wie Zuspätkommen. Pfarrer Christoph Wildfang über Gelassenheit.
Nicole Kohlhepp
22.12.2022

Der Verkehr in Delhi läuft. Geschmeidig, lässig, laut. Jeder hupt. Dauernd. Das muss keinen besonderen Grund haben. Dann kracht es von hinten in das in die Jahre gekommene Taxi, in dem ich sitze. Irgendetwas splittert und fällt ab. Ich drehe mich gar nicht mehr um. Der uns hintendrauf gefahren ist, schiebt sich nun zwei Zentimeter neben das Taxi - und fasst sich am Steuer an beide Ohren.

Sorry, heißt diese Geste in der indischen Kultur. Mein Taxifahrer wiegt den Kopf hin und her, aber es geht einfach weiter voran. Eine Beule, ein Kratzer sind hier in Indien nicht weiter wichtig. Auf jeden Fall nicht dramatisch. Keiner flippt aus.

"Aaraam se!", sagen sie: Entspann dich! Oder "Shanti", das heißt Frieden. So läuft es. Auf den ersten Blick erscheint das Leben in Indien hektisch und stressig. Die indische Interpretation der Standardzeit "IST" steuert dagegen. Eigentlich heißt die Abkürzung natürlich "Indian Standard Time", aber die Menschen sagen grinsend "Indian Stretchable Time", Indiens dehnbare, ausdehnbare Zeit. So klappt es hier einfach immer. Pünktlich zu sein ist schräg, unhöflich, nervig.

Nicole Kohlhepp

Christoph Wildfang

Christoph Wildfang ist Pfarrer der evangelischen deutschsprachigen Gemeinde Nordindien, Nepal und Bangladesch. In Neu-Delhi wird in der "Wohnzimmerkirche" Gottesdienst gefeiert.

Unser Gottesdienst in "F-7/2 Vasant Vihar" in Delhis Südwesten beginnt um 10.30 Uhr. Wir fangen mit Kaffeetrinken an, stimmen uns fröhlich ein, bis die Wohnzimmerkirche ganz gut gefüllt ist. Normalerweise sollte das gemütliche Zusammensein erst nach dem Gottesdienst starten.

Aber: Da gibt es eben noch mal Kaffeetrinken. Jemand kommt beim Schlusssegen in die Tür und fragt überrascht: "Habt ihr etwa früher angefangen?" Den persönlichen Segen teile ich dann einfach noch mal später aus.

Entspann dich. Aaraam se. Mich entspannt die dehnbare Zeit tatsächlich. Es ist viel lockerer, als ich es in Deutschland gewohnt war. Mit einem Augenzwinkern und einem liebevollen Blick klappt es. Wozu diese Hektik, auch noch am Sonntag?

Ich freue mich über jede Person, die es überhaupt schafft, in den Gottesdienst zu kommen. In dieser Stadt mit über 32 Millionen Einwohnern. Manche Ampelphase dauert schon mal 30 Minuten.

Aaraam se. Krieg dich ein. Reg dich ab. Lass deine hektische, stressige Ader los. Es läuft doch – wie der indische Verkehr. Auch unser Vormittag am Sonntag läuft. "Mein Sektglas hat aber viel Luft", ruft eine Besucherin. Aus einer anderen Ecke kommt auch prompt die Antwort: "Hol mal einer den Wein! Rot oder weiß?" Aaraam se. Das wird ein schöner langer, entspannter Sonntag.

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Gut diese Perspektive. Aber Gift für all die, die mit ihren eigenen Schuldkomplexen und denen, die sie allen anderen aufladen, die Last stellvertretend bei uns für die Welt tragen. Den Indern sind unsere Probleme egal, solange nicht der Verkehr zum Stillstand kommt. Zum verzweifeln für alle Aktivisten, die uns die "Kronen" (v. Tannen) abschneiden.

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