Kirche auf der wackeligen Slackline
Rund 300 Besucher nehmen am Eröffnungsgottesdienst im Dom Magdeburg zur Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teil. Das Kirchenparlament berät bis Mittwoch über den Haushalt, Klimaschutz und zum Thema sexualisierte Gewalt, wie die EKD mitteilte.
Peter Gercke/dpa/picture alliance
Kirche auf der wackeligen Slackline
Auf der diesjährigen EKD-Synode in Magdeburg ringt die Kirche um eine Haltung zum Ukraine-Krieg: Ratsvorsitzende Annette Kurschuss schließt Waffenlieferungen nicht kategorisch aus. Nicht alle wollen da mitgehen.
Tim Wegner
06.11.2022

Kurz nach 9 Uhr füllt sich an diesem Sonntag der Magdeburger Dom, ein mächtiges, 800 Jahre altes Bauwerk, dessen Ursprünge in die Zeit der Ottonen zurückgeht. Über 500 Frauen und Männer strömen herbei, viele in dunklen Anzügen und Kostümen, es duftet nach feinen Parfums und After Shaves. Dieser Gottesdienst eröffnet das diesjährige Treffen der EKD-Synode, des höchsten Kirchenparlaments der Evangelischen Kirche in Deutschland. Und so versammeln sich hier an diesem sonnigen Sonntagmorgen viele Synodale, viele Bischöfinnen und Bischöfe der evangelischen Kirche, leitende Geistliche aus den Kirchenämtern der 20 Landeskirchen, Journalisten und auch etliche Magdeburger und Magdeburgerinnen.

Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller ist Chefredakteurin von chrismon. Davor war sie viele Jahre Redakteurin beim "Tagesspiegel" in Berlin.

"Tut mir auf die schöne Pforte", singen die Versammelten und der Kantatenchor im Wechsel, und viele tun es mit geübter und kräftiger Stimme: eine herrliche Einstimmung in den Gottesdienst. Psalm 111, ein gesungenes Lob von Claudio Monteverdi und das Kyrie erinnern daran, dass alles menschliche Tun aus Sicht der Gläubigen in Gottes Kraft und Erbarmen gründet. Das Tagesgebet führt auf das Thema dieses spezifischen Gottesdienstes hin: Wie kommen wir zu guten Entscheidungen? Eine wichtige Frage für die 128 Synodalen, die bis Mittwoch Beschlüsse fassen wollen zu den ganz großen Themen Krieg und Frieden und Klimaschutz. Auch wollen sie tiefgreifende Reformen in der Kirche vorantreiben. Da tut es gut, vorher einmal darüber nachzudenken, was zu einer guten Entscheidung beiträgt.

Der Landesbischof der mitteldeutschen Kirche
Friedrich Kramer predigt im Eröffnungsgottesdienst.

Friedrich Kramer, der Landesbischof der mitteldeutschen Kirche und Friedensbeauftragte der EKD, forderte in seiner Predigt dazu auf, "offen und transparent" zu streiten, mit "reinem Herzen", besonders wenn es um den Krieg und Frieden und Gerechtigkeit gehe. Die Frage, ob Deutschland Waffen an die Ukraine liefern soll, wird in der evangelischen Kirche sehr kontrovers diskutiert. "Wo ist unser Gehorsam gegenüber Jesus Gewaltlosigkeit? Andererseits: Müssen wir nicht um der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe willen helfen, gerade auch mit Waffen?", fragte Kramer und fügte an: "Ich sage nein zu Waffenlieferungen!"

Friedrich Kramer ist in Wittenberg aufgewachsen und geprägt von der Friedensbewegung in der DDR. Mit seiner pazifistischen Haltung hatte er bereits im Frühjahr viele Protestanten gegen sich aufgebracht.

Ein paar Schritte hinter der Predigtkanzel im Magdeburger Dom steht eine beeindruckende Skulpturengruppe von Ernst Barlach, die an den Horror des Ersten Weltkriegs erinnern soll. Magdeburg wurde im Dreißigjährigen Krieg und dann wieder im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört.

"Könnten wir als Kirche einem ungerechten Frieden zustimmen?", fragt Kramer weiter und sagt: "Wir spüren, dass die Antworten uns zerreißen und unglücklich machen". Am Ende des Gottesdienste singt die versammelte Gemeinde: "Komm, Herr segne uns, dass wir uns nicht trennen".

Wo finden wir Halt?

In den nächsten Tagen werden die EKD-Synodalen nicht nur um eine Haltung zum Krieg in der Ukraine ringen, sondern auch über die menschengemachte Erderwärmung und tiefgreifende Umbrüche in der Kirche diskutieren. Am Dienstag wird unter anderem eine Aktivistin der "Letzten Generation" zu den Synodalen sprechen. Anna-Nicole Heinrich, die 26 Jahre alte Präses des Kirchenparlaments, hat Sympathien auch für radikalere Protestformen, wie sie im chrismon-Doppelinterview mit der Sprecherin von "Ende Gelände" sagte.

Anna-Nicole Heinrich, die Präses der EKD-Synode, liest im Eröffnungsgottesdienst aus der Bibel.

Am Sonntagmittag vergleicht Heinrich im Tagungshotel die Situation, in der sich die Kirche und viele Menschen angesichts der vielen Krisen befinden, mit dem Balancieren auf einer "wackeligen Slackline". "Wo finden wir Halt in aller Unsicherheit? Wo finden wir Beheimatung in aller Ruhelosigkeit? Und Hoffnung in aller Aussichtslosigkeit?" Der Kirche fehlten die Zielvorstellungen, "hier ein Patch, da ein Fix, bringt uns nicht weiter. Es braucht Ideen, wo es insgesamt hingehen soll", so Heinrich. Aber klar sei, dass sich alle gemeinsam auf den Weg machen müssen, und zwar mit dem "Blick fürs Globale": "gemeinsam unterwegs sein zwischen Tradition und Verheißung, in Bewegung. Vielleicht weil Gott selbst nicht statisch ist, seine Schöpfung immer in Bewegung ist. Vielleicht auch weil wir uns selbst verändern. Ein Schritt vor, ein unsicherer zurück, mal tastend, mal selbstsicher. Manchmal auch daneben, neu aufsteigen, kein Problem."

Zwiespälte formulieren

Auch Annette Kurschus betonte in ihrem Ratsbericht am Sonntagmittag das Tastende, Suchende. Auf der EKD-Synode vor einem Jahr wurde die Präses der Westfälischen Kirche zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt. Kurschus ist keine Freundin der (vor)schnellen Antworten und Entscheidungen und wehrt sich gegen "diese unselige binäre Logik", die immer nur nach einem Ja oder Nein frage: Waffenlieferungen, ja oder nein? Pazifismus, ja oder nein? Die Stärke der Kirche sei - im Gegensatz zu Politikerinnen und Politiker, die unmittelbar entscheiden müssten - "die Geschwindigkeit zu drosseln, wo die Ereignisse sich überstürzen" und "Dilemmata zu formulieren, wo es vermeintlich nur richtig oder falsch gibt".

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus spricht im Tagungshotel am Sonntag auf einer Pressekonferenz zu Journalisten.

Anders als Bischof Kramer schließt Kurschus Waffenlieferungen nicht aus, sie unterstreicht aber das Dilemma, das damit verbunden ist: "Waffen, die zur Verteidigung eingesetzt werden, helfen, Leben zu schützen. Zugleich tötet jede Waffe, die eingesetzt wird, und verletzt anderes Leben." Zur Solidarität mit der Ukraine und zu ihrer militärischen Unterstützung müsse zwingend hinzukommen, "in aller Mühsamkeit Wege zu einem Waffenstillstand zu suchen" - selbst wenn dies im Moment unmöglich erscheine.

Am Sonntagnachmittag bekam Kurschus Unterstützung für ihre Haltung. Der
Journalist Arnd Henze, der Mitglied im Kirchenparlament ist, sagte unter Applaus anderer Synodaler: "Wir stehen alle hinter Ihnen." Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), ebenfalls Mitglied im Kirchenparlament, sagte, sie setze sich als evangelische, in der DDR sozialisierte Christin für Waffenlieferungen ein. "Es gibt keinen ungerechten Frieden, dann wäre es kein Frieden", betonte sie.

Es wird für die Frauen und Männer des Kirchenparlaments in den nächsten Tagen nicht einfach werden, Entscheidungen zu treffen. Im Gottesdienst am Sonntag schauten steinerne Frauenfiguren von der Predigtkanzel im Magdeburger Dom auf sie herab. Sie verkörpern die Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe, Umsicht und Mut und Mäßigung. Friedrich Kramer band sie in seine Predigt ein und sagte: "Also mutig dran! Entscheide kräftig, aber glaube noch kräftiger! Und die Liebe nimmt Umsicht und Mäßigung in den Arm, und sie schauen uns aufmunternd an."

Hier können Sie die Tagung der EKD-Synode in Teilen über einen Livestream mitverfolgen.

 

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