Khola Maryam Hübsch
Für Khola Maryam Hübsch ist das Kopftuch Zeichen ihrer Spiritualität
Lea Weber
Hidschab im Islam
"Ich habe das als Befreiung erlebt"
Khola Maryam Hübsch unterstützt den Kampf der iranischen Frauen für mehr Rechte - und trägt Kopftuch. Ein Widerspruch?
Tim Wegner
25.10.2022
6Min

chrismon: Frau Hübsch, warum tragen Sie Kopftuch?

Khola Maryam Hübsch: Es ist Ausdruck meiner Spiritualität und meiner Liebe zu Gott. Ausschlaggebend ist für mich, dass das Kopftuch als Gebot im Koran verankert ist.

Wo im Koran?

Es gibt mehrere Stellen in Sure 24 und 33. Zuerst werden da aber die Männer angesprochen, ermahnt, dass sie ihre Blicke zu Boden richten und Frauen respektvoll behandeln sollen, unabhängig davon, wie sie sich kleiden. Frauen sollen sich bedecken, damit sie als Muslime erkannt werden, und auch, um sich zu schützen – ­ ohne Männer aus der Verantwortung zu nehmen. Frauen haben im vor­islamischen Arabien im 7. Jahrhundert eine Kopfbedeckung getragen, die an der Schulter nach hinten fiel, der Brustbereich blieb oft frei. Im Koran wurde dann darauf hingewiesen, dass auch der Brustbereich bedeckt werden soll. Dass das auch für die Haare gilt, versteht sich von selbst. Der Hidschab ist auch ein Signal nach außen: Diese Frau hat kein Interesse an einem Flirt und möchte ernst genommen werden.

Khola Maryam Hübsch

Khola Maryam Hübsch, geboren 1980, ist Journalistin, Publizistin, Spoken-Word-Künstlerin und Aktivistin. Sie studierte Publizistik, Psychologie und Germanistik an der Universität Mainz. Sie gehört der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft an und war etliche Jahre Beauftragte für den interreligiösen Dialog der Ahmadiyya-Frauenorganisation. 2018 ist ihr Buch "Rebellion der Sehnsucht - Warum ich mir den Glauben nicht nehmen lasse" im Herder-Verlag erschienen. Khola Maryam Hübsch lebt mit ihrer Familie in Frankfurt am Main.

Wirkt das?

Es wirkt wie eine optische Bremse und unterstreicht eine innere Einstellung, die natürlich entscheidend ist. Das Sig­nal kommt schon an. Ich merke, dass ich mit dem Kopftuch unsichtbarer bin und nicht so abgecheckt werde, wie attraktiv ich bin. Früher in der Uni ist mir sehr stark aufgefallen, dass ich sozusagen "out of the game" war.

Seit wann tragen Sie Kopftuch?

Ungefähr seitdem ich 14 bin. Da fängt es ja an, zwischen Jungs und Mädchen interessanter zu werden.

Es war Ihnen schon mit 14 klar, dass Sie diesen Weg gehen wollen?

Ich habe in der Familie mitbekommen, wie schön es ist, wahre Liebe zu erleben. Natürlich gibt es auch bei uns Scheidungen, aber viele Ehen in unserer Gemeinde halten ein Leben lang und sind von einer Tiefe, die ich bewundernswert finde. Bei Freundinnen habe ich dagegen mitbekommen, wie schmerzhaft es ist, wenn man sich verliebt und enttäuscht wird und sich wieder entlieben muss. Ich bekam auch mit, wie leichtfertig viele Beziehungen eingehen und das "erste Mal" gar nicht als schön empfinden. Oder benutzt werden von Typen. Auch meine Töchter – die sind gerade in der Pubertät – verstehen, dass die Ehe eine besondere Sache ist. Wir unterhalten uns auch viel darüber. Heute läuft ja sehr vieles zwischen Jungs und Mädchen über das Optische, durch Insta­gram ist das noch mal viel stärker geworden. Ich bin froh, dass meine Töchter aus diesem Spiel raus sind.

"Liebe ist eine Entscheidung, die man nicht ohne Gebet treffen sollte"

Tragen Ihre Töchter Kopftuch?

Ja – und natürlich orientieren sie sich auch an der Mode. Aber das Aus­sehen, der Körper, wie dick, wie dünn jemand ist, das ist nicht so wichtig. Weil es ihnen auch nicht so wichtig ist, einen Freund zu haben. So war das bei mir auch. Ich habe das als Befreiung erlebt.

Haben Sie sich nie verliebt?

Doch, natürlich.

War es schmerzhaft, diesem Gefühl nicht nachgehen zu können?

Hätte ich ja können, ich hatte kein strenges Elternhaus. Ich habe von meinen Eltern gehört: Verlieben passiert. Aber es ist eine Entscheidung, ob man daraus mehr macht. Liebe ist eine Entscheidung. Und die sollte man nicht ohne Gebet treffen. Als ich mich mal heftig verliebt hatte, habe ich gebetet: Allah, wenn diese Person gut ist für mich, dann ermögliche es mir, mit ihr zusammenzukommen. Und wenn sie nicht gut für mich ist, dann ändere mein Gefühl. Das waren schmerzhafte Gebete. Nach einer gewissen Zeit habe ich dann Aspekte an der Person gesehen, die ich nicht so toll fand. Ich bin überzeugt davon, dass Allah die Macht und das Wissen hat über alle Dinge. Dieser Allmacht vertraue ich mich an.

"Im Kern geht es immer darum, Frauen das Selbstbestimmungsrecht zu nehmen"

Sie sagen, der Hidschab ist für Sie ein Symbol der Freiheit. Für viele Frauen im Iran steht der Hidschab für Unterdrückung . . .

Man muss die historische Entwicklung sehen. In der Monarchie, unter dem Schah, war es im Iran verboten, die Haare zu bedecken. Damals kämpften viele Frauen dafür, Hidschab tragen zu dürfen. Jetzt kämpfen Frauen mit und ohne Hidschab gemeinsam gegen Unterdrückung. Weil es nicht primär um das Kopftuch geht, sondern um das Selbstbestimmungsrecht, auch der Männer, um die Forderung nach demokratischen Prozessen. Um eine strikte Trennung von Staat und Religion.

Instrumentalisieren die Mullahs den Islam oder ist die Art, wie sie den ­Islam auslegen, das Problem?

Sie sind Extremisten und vertreten eine ganz bestimmte Lesart des schiitischen Islams, die sie für allgemeingültig erklären. Und gerade das Kopftuch wird von Herrschenden ja gern instrumentalisiert, um klarzumachen, wer das Sagen hat und auch, um Klientelpolitik zu betreiben. Nicht nur im Iran.

Wo noch?

Zum Beispiel in Indien. Da dürfen muslimische Frauen nicht mit Kopftuch in die Schule, weil die Hindu-­Nationalisten Muslime ausgrenzen – im Namen der Gleichheit. In Frankreich ist das Kopftuch in den Schulen verboten – im Namen der Neutralität und des Feminismus. Im Kern geht es immer darum, Frauen das Selbstbestimmungsrecht zu nehmen und Macht zu demonstrieren.

Haben Sie drüber nachgedacht, das Kopftuch abzunehmen aus Solidarität mit den iranischen Frauen?

Nein. Ich solidarisiere mich, ohne es abzusetzen. Die Kirche distanziert sich ja auch nicht vom Kreuz, nur weil der Ku-Klux-Klan mit Kreuz demonstriert. Weil es den Missbrauch gibt, muss man nicht den Gebrauch verbieten. Ich denke eher, wir muslimische Frauen müssen uns das Kopftuch wieder zurückerobern und klarmachen, wofür es für uns steht. Wenn wir es jetzt alle abnehmen, bestätigen wir ja nur, dass es scheinbar ein Symbol der Unterdrückung ist.

Ayla Işik hat das Kopftuch abgelegt. Wie Sie ihre Entscheidung begründet, lesen Sie hier

Viele Frauen legen den Islam anders aus als Sie und entscheiden sich ­gegen das Kopftuch. Handeln die un­islamisch?

Nur Gott kann in die Herzen sehen, nur Gott kann das beurteilen. Wir haben kein Recht dazu. Dass das iranische Regime Frauen bestraft, wenn sie kein Kopftuch tragen, ist schlimmes Unrecht.

Ist das unislamisch?

Ja! Meine Gemeinde hat in einer Presse­erklärung sogar geschrieben: Die Mullahs verstoßen gegen ein Sakri­leg, indem sie Frauen bestrafen, weil sie angeblich das Kopftuch nicht richtig tragen, denn es widerspricht dem Koran. Jeder hat das Recht, sich für seinen Glauben zu entscheiden und niemand darf bestraft werden, wenn er nicht mehr glaubt.

Dürften Ihre Töchter das Kopftuch abziehen?

Ja, sicher. Mit 14 ist man religionsmündig und muss selbst seine Entscheidung treffen. Ich beobachte eher, dass viele Eltern nicht wollen, dass ­ihre Töchter die Haare bedecken, weil sie Angst haben, dass sie sich die Karriere verbauen.

Teilen Sie die Sorge?

Ich denke eher, dass ich sie stark ­machen muss, damit sie sich gegen Rassismus und Diskriminierung wehren können. Wenn wir der Gesellschaft nicht zumuten, dass Frauen Kopftuch tragen, bewegt sich ja nichts in Richtung Vielfalt. Aber es tut sich ja ein bisschen was, in der Werbung sieht man nun auch manchmal ­Hidschabis. Oder an der Supermarkt­kasse. Für die jüngere Generation sind Kopftuch tragende Frauen selbstverständlicher, weil sie mit Jugendlichen aufgewachsen sind, die Hidschab tragen. Anders als für die Generation Alice Schwarzer, die – natürlich auch geprägt durch die Erfahrung der iranischen Revolution – im Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung sah.

Geht für Sie Feminismus mit Hidschab zusammen?

Natürlich. Ich mache mich vom Schönheitswahn frei, ich entscheide, wem ich was zeige. Dass man selbst bestimmt, was man tut oder lässt, das macht den Feminismus im Kern aus.

Was können wir hier tun, um mit iranischen Frauen solidarisch zu sein?

Glaubwürdig ist eine "feministische Außenpolitik" erst, wenn sie mit ­allen Frauen Solidarität zeigt, die unter­drückt werden. Dazu gehört auch, Frauen zu unterstützen, die sich gegen Kopftuchverbote wehren. Indische und französische Musliminnen haben unsere Unterstützung ebenso verdient wie die Frauen im Iran. Deswegen müssen wir auch dagegen­halten, wenn Anhänger der Rechten den Freiheitskampf der iranischen Frauen gegen muslimische Frauen hier instrumentalisieren und ihnen hier das Kopftuchtragen verbieten wollen.

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Fällt Chrismon den iranischen Frauen in den Rücken, indem man Khola Maryam Hübsch unter dieser Titelzeile zum Kopftuch und dem "Konflikt" im Iran befragt? Ich finde schon. Alleine den Aufstand und das brutale Zurückschlagen mit Hunderten Toten lediglich als Konflikt zu titulieren ist bezeichnend. Frau Hübsch wird dann zum Tragen des Kofptuchs zitiert: " ich habe das als Freiheit erlebt". Gleichzeitig ist für Frau Hübsch aber klar, dass das Tragen des Kopftuchs ein Gebot im Koran ist und "wir muslimische Frauen müssen das Kopftuch zurückerobern und klarmachen wofür es steht". So kann man gut in einem freien Land wie Deutschland argumentieren und leben, aber im Iran, auf den Malediven in Afghanistan usw.?

Ich verstehe Frau Hübsch so, dass ihr sehr wohl bewusst ist, dass sie aus einer komfortablen Position heraus spricht. Sie setzt ihren eigenen Standpunkt nicht absolut. Und sie macht deutlich, dass neben dem Iran, den Malediven und Afghanistan eben auch die Situation der muslimischen Frauen in Indien oder Frankreich ernst zu nehmen ist. Das "Zurückerobern" geht tatsächlich das eigentliche Problem an: Die Machtstrukturen. Und eben nicht die Kleidungsstücke.

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Sehr geehrte Redaktion von chrismon,
seit ungefähr einem Jahr bin ich jetzt Leserin ihrer Zeitschrift und mag die Themenvielfalt und ihre differenzierte Art sich mit aktuellen und geistlichen Themen zu beschäftigen sehr.
Umso mehr musste ich stutzen als ich oben genanntes Interview aus der Ausgabe 12/22 las. Auf den ersten Blick liest es sich, wie eine Verteidiung und ein Manifest für das Kopftuch! Diese Signale finde ich in der aktuellen Situation und der weltweiten Solidarisierung mit den Protesten im Iran falsch.
Dass sie mit Frau Hübsch eine Frau darstellen wollen, die sich auch mit Kopftuch für die Protestbewegung solidarisiert und dies kein Gegensatz sein muss, kommt verständlich rüber. Allerdings stören mich auch andere Eckpunkte des Interviews. Vor allem der Vergleich von Frauen mit und ohne Kopftuch:
"Diese Frau hat kein Interesse an einem Flirt und möchte ernstgenommen werde" --> Bedeutet das im Umkehrschluß, das Frauen ohne Kopftuch Freiwild sind und nicht ernstgenommen werden wollen (oder können?)
"...wie schön es ist, wahre Liebe zu erleben..." --> Ist wahre Liebe nur möglich, wenn man in der Ehe ist und sich vor anderen Männern versteckt?
Mich stören dabei nicht nur die Aussagen von Frau Hübsch, sondern ihre Sicht auf die Männer. Sollten wir Männern in unserem Zeitalter nicht zutrauen, dass sie eine Frau auch ohne Kopftuch ernstnehmen?
Mir fällt dazu abschließend aus christlicher Sicht nur das Folgende ein:
Die Gnade steht über dem Gesetz. Kleidervorschriften und etliche andere Gesetzmäßigkeiten konnten durch unseren Herrn Jesus Christus ja Gott sei Dank überwunden werden!!!
Nicht, dass es falsch verstanden wird: ich habe in meinem beruflichen Kontext u.a. Elternarbeit mit geflüchteten Familien, viel Kontakt zu muslimischen Frauen und akzeptiere deren Entscheidung für das Kopftuch.
Gerade, wenn man miterlebt, wie oft diese Frauen unter Gesetzlichkeiten ihrer Religion "leiden", wächst daraus der Wunsch, dass sie aus der Gesetzlichkeit ins Licht, in die Gnade kommen!
Mit herzlichen Grüßen aus Freiburg,
Laura Wössner

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