Robert Geisendörfer Preis
Robert Geisendörfer Preis
Broadview Pictures
"Die Profis sind kosmopolitischer als die Gesellschaft"
Die Idee entstand im Supermarkt: Wie geht es Schwarzen Nationalspielern in betont weißen Trikots? Darüber machte Torsten Körner den Film "Schwarze Adler", für den er den Robert Geisendörfer Preis 2022 erhält.
Tim Wegner
20.09.2022

chrismon: Wissen Sie noch, wann Sie zum ­ers­ten Mal ein Fußballspiel in einem Stadion gesehen haben?

Torsten Körner: Es müsste 1977 gewesen sein, im alten Gelsenkirchener Parkstadion, einer zugigen Betonschüssel. Deutschland spielte gegen die Türkei, ein Länderspiel.

War damals im Parkstadion ein Schwarzer Spieler für die deutsche Nationalelf dabei?

Nein, 1974 war Erwin Kostedde der erste. Aber bei diesem Spiel stand kein Schwarzer Spieler im Kader.

Torsten Körner

Torsten Körner, Jahrgang 1965, ist Autor, Publizist und Dokumentarfilmer. Sein Film "Schwarze Adler" erschien voriges Jahr und ist noch bis 31. Mai 2023 in der ­ZDF-Media­thek und bei ­vielen Strea­ming­diensten abrufbar.
Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

War die Hautfarbe der Spieler für Sie als jugendlicher Fan ein Thema?

Nein. In späteren Jahren habe ich natürlich registriert, dass es rassistische Vorfälle in der Bundesliga gab, aber mir kam nicht der Gedanke, darüber einen Film zu machen. Während der Recherchen und der Dreharbeiten zu "Schwarze Adler" ist mir klar geworden, dass ich den Fußball als Kind und Jugendlicher als weiß gedacht und erlebt habe. Die ersten ­Schwarzen Spieler habe ich als exotisch wahrgenommen. Im besten Falle habe ich das nicht als Problem, sondern als Bereicherung empfunden. Die ini­tiale Zündung für den Film kam viel später, erst vor wenigen Jahren, als ich eine Waschmittelpackung im Supermarkt betrachtet habe.

Was ging Ihnen durch den Kopf?

Ich habe einen großen Hünen auf der Packung gesehen. Ich spitze es sicher zu, wenn ich sage: Der hat ein typisch deutsches, nahezu "arisches" Aus­sehen, eine Mischung aus Per Mertesacker und Manuel Neuer, im Hintergrund nur weiße Spieler. Ich fragte mich: Wo ist hier Diversität abgebildet? Warum können keine Schwarzen Spieler auf dem Karton auftauchen, obwohl der Hersteller doch damit wirbt, das Waschmittel der Nationalmannschaft zu sein? Der Bundesadler auf dem Karton war schwarz – aber Schwarze Spieler sollten offenbar nicht auftauchen. Dieses Weißversprechen wird als Glücksversprechen inszeniert. Die Wäsche wird weiß. Das Trikot der Nationalmannschaft war und ist auch weiß. Und weiß war lange auch ein Identitätsversprechen für die Fans. Der Waschmittelhersteller verspricht Reinheit, Sauberkeit für das weiße Trikot. Das waren meine Gedanken.

Und daraus wurde ein Film?

Ich dachte damals: Erzähl doch mal die Geschichte der Schwarzen deutschen Spielerinnen und Spieler. Denn wenn es dieses weiße Glücksversprechen gibt, muss es für Schwarze Fußballerinnen und Fußballer sehr schwierig sein, einen Platz in unserer Heldengalerie zu finden. Die ­Kamera fährt vor Länderspielen während der Hymnen immer an den Spielern vorbei, und wenn man sich die Welt­meistermannschaften von 1954, 1974 und 1990 vor Augen hält, dann sind das alles weiße Helden. Von heute aus betrachtet sind das richtig seltsame Homogenitäten. Heute sind die Teams divers, nicht nur weiß.

Sie haben in Archiven jahrzehntealte Aufnahmen gesichtet. Man sieht ­einen Reporter, der eine Frau interviewt. Sie hält ihr Kind im Arm, der Vater war ein Schwarzer US-Soldat. Und der Reporter fragt: "Wollen Sie das Kind nicht weggeben?" Warum haben Sie solche Szenen eingebaut?

Aus früheren Filmen wusste ich, dass Archive Geschichten erzählen, ohne dass ich sie erzählen muss. Das Material bietet mir die Chance, über etwas zu berichten, ohne die Bilder zu kommentieren. Ich kann es dem Publikum überlassen, selbst zu beurteilen und einzuordnen. Man kann sich darauf verlassen, dass diese Archivaufnahmen Empörung auslösen, weil die Differenz zur heutigen Gesellschaft klar ist. Wer das sieht, erkennt, wie rassistisch es damals zuging.

"Wo sind rassistische Strukturen, in denen wir uns bewegen?"

Zu Beginn des Films gibt es einen Warnhinweis, weil Rassismus Menschen verletzen kann. Haben die ­Archivfunde Sie auch verstört?

Als Mensch bin ich wütend und entsetzt. Als Erzähler weiß ich, dass diese historischen Dokumente der ­Erzählung dienen und dass ich die Verantwortung habe, sie dosiert und im Kontext einzusetzen, damit das Publikum sie kritisch einordnen kann. Die Leute sind mündig, sie ­sollen ihn selbst einordnen, diesen Rassismus, der sich tarnt als Humanität. Einer Mutter zu raten: Geben Sie Ihr Kind doch weg, was soll denn aus dem Kind werden, außer dass es im Zirkus auftreten kann – das sind Restbestände "arischen" Denkens. Das ist erschreckend. Ich frage mich: Wo sind wir heute? Sind wir aufgeklärt oder haben wir immer noch die weiße Brille auf? Wo sind rassistische Strukturen, in denen wir uns bewegen?

Wie haben die Spielerinnen und Spieler reagiert?

Sehr interessiert, offen, zustimmend. Absagen gab es nur bei aktiven Nationalspielern, das hatte Termingründe. Ihre Vereine waren im Spielbetrieb, die Spieler sind heutzutage ­medial sehr eingehegt. Aber wir wollten ­keinen Starfilm machen, es war für uns kein Problem, keinen aktuellen Nationalspieler dabei zu haben.

Der erste Schwarze Nationalspieler Erwin Kostedde wirkt desillusioniert, er debütierte 1974 in der Natio­nalmannschaft, machte drei Spiele.

Bei Erwin Kostedde waren wir zwei Tage, in denen das Zutrauen wuchs. Er ist ein introvertierter Mensch, der sich erst selbst überzeugen muss zu sprechen. Auf der anderen Seite ist Jimmy Hartwig, auch er Sohn eines US-Soldaten, ein extrovertierter Mensch. Beide sind sehr unterschiedlich umgegangen mit den Diskriminierungen, die sie erfahren haben. Hartwig hat immer ausgeteilt und schon als Spieler offensiv infrage gestellt, warum er nicht früher in die Nationalmannschaft berufen wurde.

Anthony Baffoe war in den Achtzigern Gast im Aktuellen Sportstudio, der Moderator fragte: "Wo kommen Sie her?" Und Baffoe antwortete: "Aus Bad Godesberg, weil meine Eltern mich da gemacht haben." Das Publikum lachte. Aber ich dachte: Der Moderator war wirklich interessiert an der Lebensgeschichte von Anthony Baffoe. Heute gilt die Frage nach der Herkunft eines Menschen als sehr schwierig, weil sie Menschen auf die Farbe ihrer Haut reduziert.

Ich glaube nicht, dass diese ­Frage grundsätzlich rassistisch ist. Es geht um den Kontext, wer wen wie anspricht. Man sollte sich selbst und den eigenen Fragen gegenüber miss­trauisch sein. Manchmal enthalten sie eine Wertung und unreflektierte Ablehnung.

In identitätspolitischen Debatten hört man: Wer über Rassismus berichtet, ohne ihn durchlitten zu haben, erzählt aus der Sicht der privilegierten Mehrheit. Was meinen Sie?

Als Kritik am Film hat das niemand geäußert, aber wir haben viel über diese Frage nachgedacht.

Und welche Antwort gefunden?

Identitätspolitik sollte nicht darum ringen, dass nur Gleiche über Gleiches sprechen dürfen. Unsere Demokratie lebt von Differenzen und Multikulturalität. Sie wird zusammengehalten, indem wir versuchen, uns in unsere Gegenüber hineinzuversetzen – und zugeben können, dass es Erfahrungen gibt, die wir nicht einholen können und auch nicht als unsere ­eigenen Erfahrungen ausgeben ­dürfen. Aber: Nur Ostdeutsche können über Ostdeutsche berichten? Oder: Nur 30-Jährige dürfen über das Leben von 30-Jährigen schreiben? Nein, das ­sehe ich nicht so. Riesen sollten Zwerge spielen können. Und ja, Weiße auch Schwarze und umgekehrt. Es hängt vom Kontext ab. Kunst und Kultur ­leben von Ausflügen ins Unbekannte. Identitätspolitik ist hilfreich, wo sie Brücken schlägt und gleichzeitig auf erlittenes Leid und Diskriminierung hinweist. Aber sie ist keine Hilfe, wenn sie Sprecherpositionen absolut und ausschließend setzt.

"Für die Spieler spielt die Hautfarbe keine Rolle mehr. Das Können zählt"

Wenn Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft ist – haben wir dazugelernt beim Thema Rassismus?

Wir müssen nur den Weg von Erwin Kostedde mit dem des heutigen ­Jugendnationalspielers Jean-­Manuel Mbom vergleichen, um sagen zu können: Klar gibt es Fortschritte! Profifußballclubs sind multikulturelle Unternehmungen, in denen man fast schon ein utopisches Moment finden kann. Für die Spieler spielt die Hautfarbe keine Rolle. Das Können zählt. Auch der ­offen ausgelebte Rassismus auf den Tribünen in der Bundesliga oder bei Spielen der Nationalmannschaft ist nur noch selten zu finden im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. Wenn es derartige Vorfälle gibt, wird das medial sofort problematisiert. Das war in den 80er und 90er Jahren ganz anders, als Schwarze Spieler mit Affen- lauten beschimpft wurden. Aber im Amateurfußball gibt es weiter große Probleme, da, wo die Kameras selten sind. Und wenn Shary Reeves . . .

. . . die TV-Moderatorin und frühere Jugendnationalspielerin . . .

. . . vor unserer Kamera in Tränen ausbricht, weil die Verletzungen, die sie spürt oder immer noch erlebt, so groß sind – dann sind wir offenbar immer noch nicht weit genug gekommen. Fußball ist nur bedingt ein Spiegelbild der Gesellschaft, denn die Profis sind in ihrem Arbeitsumfeld kosmopolitischer als die Durchschnitts­gesellschaft.

Infobox

Der Robert Geisendörfer Preis ist der Medienpreis der evangelischen Kirche für Hörfunk und Fernsehen. In diesem Jahr werden insgesamt acht Produktionen prämiert; die Preisverleihung findet am Dienstag, 20 September in Leipzig statt. Alle Informationen zum Preis und zu weiteren ausgezeichneten Produktionen in den Bereichen Hörfunk, Fernsehen, Online Kindermedien sowie zum Sonderpreis der Jury 2022 unter www.geisendoerferpreis.de

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Was für eine fundamentale Erkenntnis. Nur noch vergleichbar mit: "Wer nur auf dem Dorf lebt, hat die Welt noch nicht gesehen",

Falsch lieber Mitschreiber!
Es geht um Profisportler, die häufig auch eine "übergeordnete Sicht" haben sollten. Sind sie doch auf Team und Gegner angewiesen. Ihr Zitat bedarf einer Ergänzung:
"Wer nur sich sieht, hat Andere noch nicht gesehen". Zwar auch banal, aber deswegen nicht falscher.

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