Lachen als Widerstand
Ein letzter Ausweg der Mimik
Der Künstler Yue Minjun stritt stets ab, dass dieses Bild die niedergeschlagenen Proteste von 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens zeigt
Das Kunstwerk - 'Die Hinrichtung', Yue Minjun
Das Kunstwerk - 'Die Hinrichtung', Yue Minjun
Courtesy of the Artist and Schoeni Art Gallery Ltd.
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
11.08.2022

Ist Lachen Widerstand? Un­widerstehlich jedenfalls ist das Lachen für den chinesischen Künstler Yue Minjun. Lachende Menschen sind sein künstlerisches Leitmotiv. Das Lachen sei eine, wie er sagt, wichtige zivilisatorische ­Fähigkeit des Menschen. Wer lacht, baut Spannung ab – das ergibt sich schon aus Sigmund Freuds Theorie des Witzes.

Und die Spannung in diesem Bild ist gewaltig. Den Männern sollte eher nach Weinen zumute sein. Die Gewehre aus Luft sind auf sie gerichtet, seltsam bedrohlich wirkt das Ganze trotz oder gerade wegen des grotesken Lachens der Beteilig­ten, es sind übrigens alles kleine Selbstporträts des Künstlers.
"Die Hinrichtung" von Yue Minjun wurde vielfach als künst­lerische Antwort des Malers auf die niedergeschlagenen Studentenproteste 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens gedeutet – auch weil die rote Mauer im Hintergrund verdächtig nach Verbotener Stadt aussieht. Werden hier also Revolutionäre erschossen? Yue Minjun hat dieser Deutung stets widersprochen – vielleicht auch, weil er nach wie vor in Peking lebt und mit offen geäußerter Kritik vorsichtig sein muss.

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Das Bild, schon 1995 entstanden, durfte jedenfalls lange Zeit gar nicht öffentlich ausgestellt werden. Bei seiner Versteigerung 2007 brachte es eine Rekordsumme von vier Millionen Euro ein (heutzutage steigt der künstlerische Wert eines Bildes ja, je tiefer ein Oligarch dafür in die Tasche greift) – und machte Yue Minjun zu einem der wichtigsten chinesischen Gegenwartsmaler.

Das Motiv seiner Hinrichtung hat sich Yue Minjun bei zwei berühmten Vorgängern der Kunstgeschichte abgeschaut: Francisco de Goya malte 1814 mit "Tres de Mayo" die Exekution spanischer Revolutionäre und Édouard ­Manet "Die Erschießung des Kaisers ­Maximilian" 1868 auch vor einer Mauer, aller­dings in Grau und mit echten Gewehren. Während die beiden europäischen Künstler wohl versucht waren, ein jeweils historisch bedeutsames Ereignis festzuhalten, scheint Yue Minjun einer Stimmung Ausdruck zu geben, dem ­Gefühl, dass den Menschen in China angesichts eines total überwachten Alltags nicht mehr viel bleibt außer dem Lachen. Es ist wie ein letzter Ausweg der Mimik und die Möglichkeit, ein bisschen ­Würde zu bewahren, und sei es, wie hier, beim Abgang.

Kein Wunder, dass Yue Minjuns Kunst gern als "zynischer Realismus" bezeichnet wird. Eine Kate­gorie, mit der er nicht viel an­fangen kann. Seine Prägung kommt von den großen Meistern des Surrealismus und von der Arbeit auf ­einer Ölplattform. Wer lange genug dort gewesen sei, sagt Yue Minjun ­sinngemäß, der werde ein bisschen komisch.

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