Geflüchtete - Ein Fest
Geflüchtete - Ein Fest
Minii
Ein Fest
Menschen auf der Flucht, da kommen Erinnerungen hoch. Anfang der 90er Jahre kamen sie vom Balkan, 2015 aus Syrien, jetzt aus der Ukraine. In Beate Blahas Garten picknicken sie friedlich zusammen.
Privat
06.07.2022

Hochparterre, darüber erster Stock, der Blick ­hinunter vom Balkon. Genügend Abstand für eine Übersicht, früher Nachmittag. Quirlig geht es zu, da unten in dem parkähnlichen Garten, Tische und Bänke sind zusammengestellt, Kinder toben, Geschirr und Kannen mit Wasser werden aufgedeckt. Hussam kümmert sich um den Grill, der Rauch beginnt zu wabern, Sara ruft mir zu, dass sie einen kleinen Spaziergang mit Anna und deren Tochter Kseniia macht. Sie wollen die Umgebung ihres neuen Zuhauses ein wenig besser kennenlernen.

Das Achtfamilienhaus in einem südlichen Vorort ­Münchens ist auch mein Zuhause, seit rund 35 Jahren, mein Sohn Ben ist hier groß geworden, Menschen sind aus-, andere eingezogen. Dreieinhalb Jahrzehnte, das sind auch viele Feste. Von hier oben schaut es ein wenig aus wie immer, und doch ist es anders – ein kleiner ­Spiegel jahrzehntelanger Geschehnisse. Der Garten, ein Ort, der Schutz bietet, Zuflucht, das wissen auch Anna und ­Kseniia, Mutter und ihre 23-jährige Tochter – theoretisch. Sie sind am 11. März hier angekommen nach schrecklicher Flucht aus dem umkämpften, schon früh zerbombten Charkiv. Das Gefühl von Sicherheit ist ihnen erst einmal abhandengekommen.

So viel berührt ­dieser Tage. Auch die Fröhlichkeit da unten

Ich möchte meinen Beobachtungsposten noch nicht verlassen. Bilder ziehen durch meinen Kopf, mir fehlen Antworten auf Fragen, die sich so sehr aufdrängen. Da taucht zum Beispiel der ältere Mann auf, der bei uns im Ort lebt, Musiker, seit Ende Februar ist es still geworden rund um sein Haus. Seine Musik ist verstummt. So etwas Schönes bei so viel menschlichem Leid dürfe jetzt doch gar nicht mehr sein – verständliches Ohnmachtsgefühl. Wieder einmal kommen mir Tränen, so viel berührt ­dieser Tage. Auch die Fröhlichkeit da unten. Das Schöne darf sein, sonst hat die Seele doch so gar keine Chance, einiger­maßen stark zu bleiben. Jetzt kann ich hinuntergehen.

Die Spaziergängerinnen sind zurückgekehrt, es wird gelacht und geredet, Hussams Frau Raeda hat Kebab vor­bereitet, Hummus und eine Auberginenpaste, Bens ­Lebensgefährtin einen Linsensalat. Lauter duftende Köstlichkeiten, Anna und Kseniia genießen das ­Zusammensein mit den anderen, die unbekannten ­Speisen, das schaffen sie.

Kseniia konnte kaum aufhören zu schreien

Nächte-, zum Teil tagelang mussten sie ausharren im Keller ihres Hauses in Charkiv, auf Knien unter irgendwelchen Rohren kauernd, oft ohne Wasser, ohne Essen. Draußen donnerten die Panzer vorbei, schlugen Raketen ein, stürzten Wohnhäuser in sich zusammen. Panik, vor allem Kseniia konnte kaum aufhören zu schreien.

Gerade zieht ein Hubschrauber über unseren Garten, zwei Augenpaare gehen nach oben, folgen dem Flug. Am Morgen hat Kseniia gefragt, ob ich sie nicht gehört hätte, diese nächtlichen Zisch- und Einschlaggeräusche draußen, wie Raketeneinschläge. Nein, hier gibt es keine ­Bomben, kann ich nur antworten, hier seid ihr sicher. Als die ­beiden nach einer achttägigen Flucht hier ankamen, waren sie kaum erreichbar, irgendwo in sich selbst erstarrt, wie ­eingefroren. Die einfachsten Dinge waren ihnen fremd geworden. Ein Herd zum Beispiel, von dem sie nicht ­wussten, wie er anzuschalten ist, eine Schranktür, die sie kaum aufschließen konnten.

Trauma macht auch empathisch

Sara ist hungrig, nach den guten Dingen auf dem Tisch und vor allem nach dem Leben. Ihr Deutsch ist quasi ­perfekt, sie fragt mich, ob sie mit Anna und Kseniia über die Flucht und die Restfamilie in Charkiv reden dürfe. Trauma macht auch empathisch, lässt mitfühlen.

Hussam, Raeda und ihre beiden Kinder, Sara (19) und Abdul (14), sind dem Krieg in Syrien entflohen, ihre Wohnung in Damaskus war 2012 ausgebombt worden. Sara beschreibt: "Wir flohen auf die Straße, mein Bruder war erst drei Jahre alt. Manchmal schliefen wir auf der Straße, manchmal im Auto, das hatten wir noch, an Schule war kaum zu denken. Ich habe mich monatelang um meinen Bruder gekümmert, weil meine Eltern versucht hatten, irgend­wie Geld zu verdienen. Ich war ja schon acht Jahre alt. Mein Bruder hat viel geweint, ich habe damals aufgehört zu weinen. Ich hatte immer mehr das Gefühl, gar nichts wert zu sein. 2016 sind wir dann geflohen, da war ich gerade 13 geworden. Mein Papa hat versucht, mir die Augen zuzuhalten, aber ich habe die Leichen gesehen. Bald wurden wir von unserem Vater getrennt, auf dem Schlauchboot habe ich mich auf meinen kleinen Bruder gelegt, es waren so viele Menschen dort. Ich wollte nicht, dass Abdul totgetrampelt wird."

Den Vater fand man im Massengrab

Unser Fest, 14, 15 Leute sind wir inzwischen, auch ­Katja, eine Freundin von uns, ist gekommen, ihr Bananen​creme­kuchen ist legendär. Sara und Kseniia unterhalten sich angeregt, die gemeinsame Sprache ist Englisch. Auch hier unten, mittendrin, kommen Bilder hoch. Da taucht etwa Marina auf, Katjas Tochter, auch sie Opfer eines Krieges. Viel geweint haben wir damals, aber eben auch gefeiert. Heute kann sie nicht dabei sein. Auch sie hat sich um ihren jüngeren Bruder gekümmert, nachdem sie nach der Flucht vom Balkan 1991 in Bayern angekommen waren. Da war sie zehn Jahre alt. Der Vater blieb zurück. Er wurde später offiziell als Held in Zagreb gemeinsam mit vielen anderen beerdigt. Im Massengrab hatte man ihn gefunden, verscharrt. Als Katja sich in München in ein vorbeifahrendes Auto stürzen wollte, hält Marina sie ganz fest, passt noch mehr auf ihre Familie auf.

Kurz wieder in meiner Wohnung, nehme ich erneut meinen Beobachtungsposten ein. Schon wieder ziehen Bilder durch meinen Kopf. Auch die von den drei jungen Frauen aus unterschiedlichen Ländern, von Sara, Kseniia und Marina, geflohen, traumatisiert, überfordert von einer Verantwortung, für die sie viel zu jung waren. Gibt es Antworten? Unten wird gelacht.

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