Einfach mal abtauchen
Kurz vor der Jungfernfahrt: Elias Macke steigt ein
Selene Magnolia
Selbstgebautes U-Boot
Einfach mal abtauchen
Wegen Corona gab es wenig zu tun. Also erfüllte sich Theateringenieur Elias Macke einen Traum: Er baute aus Industrieschrott ein voll funktionsfähiges U-Boot. Protokoll einer waghalsigen Jungfernfahrt
Ivo Corrà
09.06.2022
8Min

In kurzen Abständen meldet sich ­Elias Macke per Funk, die Verbindung knistert und rauscht. Dann bricht sie mitten im Satz ab und es wird still auf dem See. Zehn Minuten lang hört man nur das rhythmische Plätschern des Begleitboots, das im Wasser schaukelt. Später wird Macke erzählen: "Es ist schön da ­unten, überall grün und Schlodder." Er wird ­schwärmen, von der Kälteschicht im See, wo das warme Wasser der Oberfläche sich wie ­eine Decke auf das kalte Wasser der Tiefe legt: "Man kann die zwei Wasserschichten wirklich sehen. Das flimmert so wie im Sommer die Luft über dem heißen Asphalt."

Zwanzig Meter vom Begleitboot entfernt formt sich plötzlich ein Kreis aus Blasen, der aussieht wie ein brodelnder Vulkankrater. In seiner Mitte schimmert das Wasser orange, ein Griff taucht auf, dann ein kuppelförmiger Lukendeckel und schließlich erkennt man die Umrisse eines U-Boots. Macke öffnet die ­Luke, blinzelt in die Sonne und atmet tief durch. Mit feierlicher Miene klettert er aufs Heck und hält einen Moment inne, als wolle er in sich horchen. Dann wirft er sich wie befreit mit einem Freudenschrei rückwärts ins Wasser.

Macke schraubt und schweißt, seitdem er 14 Jahre alt ist

Theateringenieur Elias Macke, 36, hat sich im Lockdown ein voll funktionsfähiges U-Boot aus Industrieschrott gebaut.
Die Idee dazu hatte er in einer ­Sinnkrise vor neun Jahren. Ganz bewusst suchte er sich damals eine der größten technischen Herausforderungen, die es im Maschinenbau gibt. Jahrelang sammelte er für sein Projekt ­passende Schrottteile, aber er schob das Bauen immer wieder auf.

Das U-Boot sieht aus wie ein riesiger Goldfisch

Der Tod eines guten Freundes veränderte alles. Ab da schraubte und schweißte Macke Tag und Nacht an seinem U-Boot. Anderthalb Jahre lang. Er hat jeden Moment seines eigenwilligen Projekts zelebriert und ­genossen. Das U-Boot ist der schwimmende Beweis dafür, wie kostbar "unnütze" Zeit sein kann. Denn für Elias Macke ist es eine Hommage an ­seinen verstorbenen Freund und ein Aus­kosten der eigenen Lebenszeit.

Elias Macke im Arbeitsoverall mit Nasa-Aufnäher

Leipzig, im Herbst 2021. Am Tag vor der Jungfernfahrt liegt das U-Boot auf einem Anhänger im Hof vor Mackes Werkstatt. Es ist so lang wie ein Golf, so schwer wie ein Klein­las­ter und sieht aus wie ein riesiger Goldfisch: knallorange, eine runde Nase mit freundlichen Bullaugen, am dicken Bauch vier Tauchtanks als Seitenflossen, die Schwanzflosse ist ein schmales Heck mit Propeller.
"Und, sollen wir mal reinschauen?", fragt Macke, groß, breite Schultern. Er grinst wie ein Bengel, dem ein Streich gelungen ist, und springt auf den Anhänger.

Das Innere des U-Boots riecht nach neuem Auto und ist geräumig: Man kann aufrecht ­sitzen und die Arme von sich strecken. An der Decke laufen gebündelt Rohre und ­Kabel entlang. Sie enden in runden Zählern mit roten Zeigern, wie die von Heizkesseln oder ­Wasserleitungen. Auf der hellgrauen Lackierung der Kabine spiegelt sich die rote Innenbeleuchtung. "Wir brauchen hier ­drinnen rotes Licht, wie nachts auf einer ­Schiffsbrücke, ­damit die Augen sich an die Dunkelheit unter Wasser anpassen", erklärt Macke. Das kantige Armaturenbrett erinnert an eine Raumkapsel aus den Sechzigerjahren. In der Mitte ist ein schwarzer Kreiselkompass mit kyrillischen Buchstaben. "Der ist aus einem russischen Flugzeug, hab ich auf E-Bay gekauft", sagt Macke.

"Ich mag es, etwas zu bauen, das die Menschen bewegt"

Er war schon als Kind ein Tüftler. "Es gibt ein Foto von mir mit fünf ­Jahren, wo ich glücklich vor den Teilen einer Waschmaschine stehe, die ich mit meinem Opa auseinandergebaut hab", erzählt Macke. Sein erstes Schweißgerät kaufte er sich mit 14. Seinen Eltern grauste es stets vor dem Sperrmülltag in ihrer Straße, weil er alles Mögliche nach Hause schleppte und im Keller zusammenschweißte.

Die Armaturen im Cockpit hat Macke auf eBay ersteigert

Über seinen Beruf als Theateringenieur sagt er: "Ich mag es, etwas zu bauen, das die Menschen bewegt, wenn sie dann klatschen und sich freuen oder nachdenklich werden. Auf der Bühne wird das Unmögliche möglich. Die Leute können dann für zwei Stunden träumen und kommen auf Dinge, über die sie noch nie nachgedacht haben. Das ist wichtig für die Gesellschaft."

Als Macke die Idee zu seinem U-Boot hatte, wohnte er in ­Berlin. "Ich hatte das Gefühl, nur noch der Miete ­hinterher zu arbeiten", erzählt er. ­Macke spricht über das Bauen wie andere über Meditation. Je größer die technische Herausforderung, ­des­to mehr scheint er sich zu spüren. "Bauen ist für mich Entspannung und hat was Kontemplatives. Ich wollte bewusst etwas Komplexes bauen, das ich mir erst erschließen muss. Der Weg als Ziel."

Die Frage, die er am häufigsten gestellt bekomme, sei die nach dem Sinn des U-Boot- Projekts. "Es muss gar keinen Sinn ergeben. Wir leben in einer Gesellschaft der Verwertungslogik: Alles, was man tut, muss einen konkreten Nutzen haben oder Geld bringen. Sich aus Freude am Bauen ein U-Boot zu bauen ist das Gegenteil davon, aber es erfüllt mich", antwortet Macke.

Noch so eine Tüftler-Geschichte: Lesen Sie hier, warum Fahrräder die falsche Form haben könnten

Er beginnt sein Projekt, doch dann kommt ihm der Alltag dazwischen. Lange Zeit bleibt das "U-Boot" kaum mehr als ein alter Propantank mit einem Loch als ­Luke. In Mackes Freundeskreis wird liebevoll ­darüber ge­spöttelt.

Macke bespricht das Projekt auch mit seinem guten Freund und Mentor, Markus Heller. Heller ist Mitgründer und technischer Leiter beim Open-Air-Theater "Karl’s kühne Gassenschau" in Zürich und bekannt für ­seine spektakulären Shows. "Markus hat mich in meinen Ideen immer unterstützt. Wir haben zusammen viele große Theatermaschinen gebaut", erzählt Macke. "Er wollte sehr gerne mit dem U-Boot mitfahren. Aber ich war leider zu langsam mit dem Bauen", sagt Macke und verliert für einen Moment seine verspielte, schelmische Art. Er verschränkt die Arme, sein Blick wandert ab.

Transport des U-Boots zur Tauchstelle im See

Markus Heller stirbt nach langer Krankheit im Dezember 2019 mit 62 Jahren. Für Elias Macke ist das wie ein Weckruf. "Als Markus starb, bekam mein U-Boot eine ganz andere Dimension. Ich beschloss, die Dinge, die mir wichtig sind, nicht länger aufzuschieben. Ich habe viele Aufträge für andere gemacht, das U-Boot baue ich für mich selbst. Das Leben ist zu kurz, um nicht das zu tun, was einen wirklich erfüllt."

"Irgendwann hat sich das Projekt verselbstständigt"

Als kurz darauf die Theater im Frühjahr 2020 in den Lockdown gehen, empfindet ­Macke den Leerlauf wie ein Geschenk. Er sitzt Tag und Nacht an technischen Berechnungen und nautischen Studien: Welche Form eignet sich am besten, um den Wasserdruck zu verteilen? Aus welchem Material müssen die Bullaugen sein, um ihm standzuhalten? Wie baut man ein System für die Luftversorgung der Kabine unter Wasser? "Irgendwann hat sich das Projekt verselbstständigt. Manchmal fand ich ein Teil und das sagte mir dann schon, wie es weitergeht. Es ist wie organisch gewachsen, es wurde aus Lösungen geboren", sagt Macke.
Im Dezember 2020, exakt am ersten Todes­tag seines Freundes, organisiert Macke im Hof vor seiner Werkstatt ein großes Fest für die Taufe des U-Boots.

Macke hat diesen Tag sorgfältig inszeniert: Ein Video vom Fest zeigt andächtig lächelnde Menschen, jemand spielt "La Paloma" und andere Seemannslieder auf dem Akkordeon. Eine bunte Lichtshow färbt die Wasserstrahlen, die das U-Boot von unten anspritzen, drum herum bleibt alles dunkel. Das wirkt so, als würde der Bug der "Markus Heller" auf einer Welle aus buntem Wasser schwimmen. Macke hat das U-Boot nach ­seinem Mentor benannt.

In den Monaten nach der Wassertaufe kann Macke für die Funktionstests des U-Boots nicht an den See. Er setzt es kurzerhand auf einen Stahlboden, schweißt aus Stahlblech vier Meter hohe Wände drum herum und füllt das Becken – über Tage hinweg – mit 120 000 Litern Grundwasser aus seinem ­eigenen ­Brunnen.

"U-Boot im eigenen Saft"

Der Testpool steht heute noch im Hof. Er sieht aus wie eine haushohe Konservendose. Auf der Außenseite ist ein oranges Graffiti von einem U-Boot aufgesprüht, darunter ­eine geschnörkelte Schrift: "U-Boot im eigenen Saft".

In diesem Pool machten Macke und sein Copilot Nico Paniktraining für eventuelle Notfälle bei der Jungfernfahrt. Sie montierten den Lukendeckel des U-Boots auf eine Tauchglocke, ließen sie ins Wasser und simulierten verschiedene Szenarien: "Wir haben probiert, wie es sich anfühlt, wenn das Wasser langsam von unten steigt und man an die Decke des U-Boots gedrückt wird oder wenn es schnell von oben in die Luke reinspült. Oder wie es ist, bei völliger Dunkelheit auszusteigen, mit nur einer Tauchflasche, und wir uns mit dem Mundstück abwechseln müssen. Das haben wir so lange gemacht, bis es sich nicht mehr stressig anfühlte", erzählt Macke. Er wollte auch hier ganz bewusst seine Grenzen spüren.

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Premierenstimmung am Störmthaler See bei Leipzig, das Team wuselt für die letzten Vorbereitungen geschäftig herum. Macke hat einen Aktenordner angelegt: Konstruktionspläne, Genehmigungen, Gestattungen, Zulassungspapiere, Versicherungsnachweise – fünfzehn Zentimeter Papierstapel. Nichts soll der Jungfernfahrt in die Quere kommen. Er will auch diesen Moment auskosten. Macke trägt einen orangen Arbeitsoverall, der mit einem schwarz-goldenen Nasa-Aufnäher aussieht wie ein Astronautenanzug. Er und Nico versammeln das Team für ein letztes Sicherheitsbriefing. Auf Klappstühlen sitzen die Freunde vor ihnen, wie bei einer Open-Air-Aufführung.

Erster Tauchgang

Mit ruhiger Stimme erklärt Elias Macke die Sicherheitsprotokolle für den Tauchgang: Er und Nico werden alle zehn Minuten die CO₂- und Sauerstoffwerte im U-Boot kontrollieren und sich per Funk beim Begleitboot melden. Wenn nach zehn Minuten kein ­Funkspruch kommt und auch der Sicherheitstaucher nicht auftaucht, muss die Rettungskette eingeleitet werden. "Es wird nicht so weit kommen, aber wir müssen mal da­rüber gesprochen haben", sagt Macke ernst. Die Gruppe schweigt betreten.

Die Tauchstelle im See ist mit drei weißen Bojen gekennzeichnet. Elias Macke lächelt angespannt und schließt die Luke. In Zeitlupe taucht das U-Boot ab: Das Wasser umspült langsam das Turmluk, drum herum sprudelt die Luft aus den Löchern der Tauchtanks. Als das letzte Stück U-Boot im See ­verschwindet, macht es ein schlürfendes Geräusch, als ­würde man mit einem riesigen Strohhalm den Boden eines Glases austrinken.

Nico wird später ein Video zeigen, das er unter Wasser gemacht hat: Das U-Boot liegt auf dem Seeboden, im roten Licht der ­Kabine leuchtet das Wasser durch die Bullaugen neon­grün. Der ­Sicherheitstaucher schwebt als schwarze Gestalt an der Scheibe vorbei. "We are now on the ground and will stay here for a bit. Over", gibt Macke per Funk an das Begleitboot durch. Die Düsen der Sauerstoffversorgung zischen leise, der CO₂-Filter brummt. Macke legt das Funkgerät weg und schneidet feierlich einen selbst gebackenen Kuchen an. Auf der dunklen Schokoglasur ist ein U-Boot aus knallorangem Zuckerguss, das aussieht wie ein Goldfisch.

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