Gefährliche Häme
Anne Spiegel hätte viel früher zurücktreten müssen. Aber man muss sie an ihren Fehlern messen, nicht an ihrem Geschlecht
Tim Wegner
11.04.2022

Anne Spiegel ist von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. Keine Frage: Das ist richtig so. Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel: Auch meteorologische Laien konnten Mitte Juli erkennen, dass sich die Wetterlage dramatisch zuspitzt und Flüsse zur Gefahr werden. Amtliche wie private Wetterdienste warnten rechtzeitig, aber die Behörden versagten dabei, die Menschen in Sicherheit zu bringen. Mehr als hundert Menschen kamen qualvoll zu Tode.

Auch Anne Spiegel trug als Umweltministerin in Mainz politische Verantwortung in dieser Zeit, war aber in der Katastrophennacht vor allem um ihren eigenen Ruf bemüht. Nun hat sie auch noch noch gelogen, indem sie behauptete, während eines vierwöchigen Urlaubs virtuell an den Kabinettssitzungen der rheinland-pfälzischen Landesregierung teilgenommen zu haben, was aber nicht der Fall war. Lügen als Ministerin - das geht nicht, nur leider haben andere aus Vorgängerregierungen hier jeden anständigen Maßstab verschoben.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Das ist die eine Ebene im Fall Anne Spiegel, die besonders sie selbst, ihr jetziges Amt im Bundesfamilienministerin und ihre Partei, Die Grünen, angeht. Diese politische Dimension ist mit ihrem Rücktritt erledigt. Aber es gibt noch eine andere Ebene: Anne Spiegel ist Frau und vierfache Mutter, und genau darauf bezieht sich heute viel der Kritik und Häme, die in Kommentarspalten über sie ausgeschüttet werden.

Zwei Beispiele: "haschmi123" schreibt unter einen Beitrag auf "Zeit online": "Wenn man eine Familie mit 4 Kindern hat und der Partner einen Schlaganfall hat sollte man vielleicht kein politisches Führungsamt machen, was einen mit Haut und Haaren fordert." In eine ähnliche Richtung zielte CSU-Generalsekretär Stephan Mayer, der vor dem Rücktritt Spiegels sagte: "Die Frage ist, ob sie ihr Amt als Bundesfamilienministerin jetzt so ausüben kann, wie es auch gerade angesichts der derzeitigen Herausforderungen erforderlich ist."

Ja, die Erklärung der Ministerin war bemitleidenswert. Man wüsste auch gern, wer Anne Spiegel dazu geraten hat, so eine Einlassung am Sonntagabend übers Knie zu brechen. Aber der Unterton bei vielen Kommentatoren - oft sind es Männer - ist unüberhörbar: Sie kann es eben nicht. Vier Kinder, ein kranker Mann, wie soll so eine Frau ein Führungsamt ausüben?

Das ist frauenfeindlich, denn männliche Politiker konfrontiert man in aller Regel nicht mit den Grenzen ihrer Schaffenskraft; sie existieren nur als Arbeitstiere, denen die Frau daheim den Rücken freihält. Grenzen aber hat aber jeder Mensch. Das Pensum, das sich Spitzenpolitikerinnen und -politiker aufladen, ist verrückt. Es dürfte viele Menschen abschrecken, sich überhaupt in Parteien zu engagieren. Menschen brauchen Ruhe und Erholung, wo sonst sollten gute Gedanken herkommen, die wir nötiger brauchen denn je?

Ideen für eine neue Führungskultur für Männer und Frauen gäbe es viele. Warum sollen sich nicht zwei Menschen ein Ministeramt teilen? Braucht es mehr Staatssekretärinnen? Warum finden politischen Verhandlungen so oft nachts statt? Und was wäre schlimm daran, wenn auch Minister sagen: "Donnerstagnachmittag bin ich bei den Kindern und nur im Notfall erreichbar?"

Eine Debatte darüber, wie Führungskräfte sorgsam mit ihren Kräften umgehen, Familie und Beruf(ung) miteinander verbinden können, wäre das Beste, was Anne Spiegel uns nun, da sie zurückgetreten ist, noch mitgeben kann. Und dieser Rücktritt musste sein - aber eben nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie nicht die Wahrheit gesagt hat.

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Herr Husmann, müssen Sie als Mann solche unterwürfigen Texte verfassen um geduldet zu werden?
Wahr ist die Ministerin hätte viel früher gehen müssen, weil sie schlicht Fehler machte, dazu auch eine der vielen Fehlbesetzungen der neuen Regierung war.
Warum muss da immer so ein Gedöns um ihr Geschlecht gemacht werden? Geht es am Ende immer noch um Privilegien für Frauen, die Sie sehr geehrter Herr Husmann ganz bestimmt nicht haben.

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Das Thema am falschen Haken. Mit 4 Kindern, einem kranken Mann auf allen Hochzeiten im Land und im Bund tanzen zu wollen, wird jeden verreißen, der diesenn Spagat versucht. Das hat absolut nichts mit dem Geschlecht zu tun. Auch Männer, nicht wenige, haben mit Krankheit und Schäden an Kinder und Familie diese Rechnung bezahlen müssen.

Vielleicht sollten auch Frauen lernen, ihrer vermeintlichen Karriere nicht alles unter zu ordnen.
Im übrigen glaube, dass Mann und Frau sehr wohl Karriere und Familie miteinander verbinden können.
Das hat etwas mit persönlicher Energie, Leistungswillen, positiver Motivation und dem Gefühl für ein Miteinander statt gegen einander zu tun.

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