Khaled Barakeh: "The Untitled Images" (2014)
Khaled Barakeh: "The Untitled Images" (2014)
Khaled Barakeh, The Untitled Images (2014), Digital Print on paper, 21 x 30cm / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Original Photo by Manu Brabo
Bilder gegen die Abstumpfung
Raue Wunde
Der syrische Künstler Khaled Barakeh will nicht, dass wir uns an die Bilder des Schreckens gewöhnen
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
08.04.2022

Nie wollte Khaled Barakeh in den Verdacht geraten, künstlerisch vom Krieg in seiner Heimat ­Syrien zu profitieren und Kriegsleid zu instrumentalisieren. Aber als syrischer Künstler im deutschen Exil entkam er dem Schrecken in der Heimat nicht, das musste er sich irgendwann eingestehen.

Physisch ist Khaled Barakeh bereits seit 2010 in Deutschland. Er kam über Frankreich und eine Kunstakademie in Dänemark als Meisterschüler nach Frankfurt am Main. Emotional und psychisch aber war der 1976 in Damaskus geborene Künstler in Syrien geblieben. So hat er es in einem Interview beschrieben. Als er 2013 bemerkte, wie hierzulande die Wirkung der fürchterlichen ­Nachrichten nachließ, wie die Menschen angesichts der Bilder von Leid und Zerstörung in Syrien abstumpften, wuchs der Drang, sich künstlerisch mit dem Krieg auseinanderzusetzen.

Es ist die große Leere, die ­Khaled ­Barakeh zeigt. Der Verlust eines ­geliebten Menschen. Kriegsbilder wie dieses hier sollen in den Medien Schrecken und Trauer transportieren. Aber vermitteln sie diese Gefühle wirklich? Oder be- dienen sie nur eine gewisse voyeuris­tische Lust, den insgeheim wohligen Schauer, der einen angesichts des Leids anderer erfasst, in dem Bewusstsein, selbst davongekommen zu sein?

Die Kunst kann dieser Zwickmühle der Kriegsfotografie entkommen – und damit vielleicht wahrhaftiger sein. Für seine Serie The Untitled Images von 2014 hat Khaled Barakeh online Kriegsbilder aus Syrien gesammelt und aus­gedruckt. Mit einem Chirurgenmesser hat der Künstler die Verstorbenen aus den Bildern geschnitten. Er habe ihnen, wie er sagt, ein weiteres, ein drittes Mal Gewalt angetan – nach ihrer Ermordung und der Fotografie – jetzt mit seiner Kunst.

Gleichzeitig schütze er die Toten so vor den Blicken der anderen. Sie werden zu Metaphern des Verlusts. Aus dem persönlichen Schicksal auf der Fotografie wird ein allgemein menschliches. Denn das Fehlen der Verstorbenen hinterlässt auf der Hochglanzfotografie eine raue Wunde. Ein weißer Fleck, der einen Raum öffnet zum Sich-Hineindenken.

Das Vorstellungsvermögen bekommt beim Blick auf das Bild eine Kraft, die einem den Hals zuschnürt. Vielleicht tauchen in Gedanken beim Betrachten eigene Angehörige auf und füllen die weiße Fläche. Khaled Barakeh schafft Kunst, die auf, wenn sich das sagen lässt, tiefere Art traurig macht, als es die explizite Fotografie vermocht hätte. Und seine Kunst weckt Empathie.

Als zeitgenössische Variante des berühmten christlichen Pietà-Sujets werden die Bilder von Khaled Barakeh heute gedeutet. So wie Michelangelo mit seiner berühmten Skulptur den verstorbenen Jesus zeigte, den seine Mutter Maria in den Armen hält, eine Art Universalmetapher für Trauer und Mitgefühl. So halten auch die Menschen auf den Kriegsfotografien ihre verstorbenen Angehörigen. Meist sind es Kinder. Es ist nur schwer zu ertragen.

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