Demonstration in Berlin
Engagiert für Frieden und Völkerverständigung
Annegret Hilse / REUTERS
"Ich würde gern von Russlanddeutschen hören: Krieg ist scheiße"
Kornelius Ens vom Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte berichtet, wie Aussiedler mit dem Ukraine-Krieg umgehen.
16.03.2022

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine kommt es in Deutschland vermehrt zu antislawischen Übergriffen. Auch Russlanddeutsche berichten von Beschimpfungen und Drohbriefen. Wie nehmen Sie die Situation derzeit wahr?

Kornelius Ens: Fakt ist: Es gibt Diskriminierungen dieser Art. Fakt ist aber auch: Es gibt im Digitalen Versuche, Falschmeldungen zu streuen oder richtige Meldungen zu instrumentalisieren. Etwas anderes erlebe ich in der analogen Realität: Im Kreis Ostwestfalen-Lippe, wo die russlanddeutsche Community stark vertreten ist, hat es diese Art von Diskriminierung kaum gegeben. Auch scheinen Russlanddeutsche hier nicht besonders anfällig zu sein für das, was in russischen Medien gesendet wird. Sie bringen sich in die Geflüchteten-Hilfe ein, übersetzen oder nehmen Geflüchtete bei sich auf. Ein von Aussiedlern geführtes Hotel hat sämtliche Zimmer für Menschen aus der Ukraine bereitgestellt. Ich bin gerührt und überwältigt von dieser Hilfsbereitschaft.

Gegen Ende der1990er-Jahre gab es bereits eine Welle von Diskriminierungen gegen Russlanddeutsche, die von der Polizei nicht als "rassistisch" oder "fremdenfeindlich" gewertet wurden, da Russlanddeutsche offiziell als "deutsch" galten. Nimmt der Staat das inzwischen ernster?

Ja, in Politik, Forschung und Wissenschaft und in der kulturellen Vermittlung ist das Thema definitiv angekommen. In der Presse merke ich aber immer wieder, dass Begriffe verwendet werden, die in der Forschung längst als überholt gelten, und Stereotype bedient werden. Ein Begriff wie "Deutschrusse" beispielsweise ist schlicht falsch, taucht in Artikeln über Russlanddeutsche aber immer wieder auf. Er deutet auf die Vorstellung hin, hier gehe es eigentlich um Russen, die irgendwann nach Deutschland gekommen sind. Andererseits geht es darum, Medien- und Demokratiekompetenz zu stärken. Das kann aber nicht in Form einer Art Nachhilfestunde für Aussiedler funktionieren, dafür ist diese Gruppe viel zu heterogen. Viele Russlanddeutsche sind hervorragend integriert, andere haben Schwierigkeiten. Diese Beschreibung ist aber nicht speziell russlanddeutsch, sondern ließe sich beinahe auf die Gesellschaft als Ganzes übertragen. Inzwischen gibt es übrigens zahlreiche Podcasts wie "X3" oder "Steppenkinder", in denen Aussiedler selbst über ihre Geschichte informieren und so einen bestimmten, sprechfähigen Teil der Russlanddeutschen abbilden.

Kornelius EnsPrivat

Kornelius Ens

Kornelius Ens, M.A., Historiker und ev. Theologe; Lehrbeauftragter am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück; Leiter des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold.
PR

Daniel Friesen

Daniel Friesen, Jahrgang 1998, studiert an der Freien Universität Berlin Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Politikwissenschaft. Parallel lernt er Russisch. Vom 24. Februar bis zum 15. April 2022 hospitiert er in der chrismon-Redaktion.

Wie wird in russlanddeutschen Familien und Freundeskreisen über den Krieg in der Ukraine diskutiert?

Die Anfälligkeit für russische Propaganda ist eine Frage des Alters. Die ältere Generation verfügt einerseits über bessere Russischkenntnisse, geht andererseits aber ungeübter und ungefilterter mit Informationen um. Häufig kommt es zum Konflikt mit Jüngeren, die nicht regelmäßig staatsnahe oder staatliche russische Medien konsumieren. Viel stärker beobachten wir im Kreis Ostwestfalen-Lippe aber, dass gerade die älteren Russlanddeutschen angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Ukraine schockiert und sprachlos sind. Viele von ihnen sind in den mennonitischen Kolonien in der Schwarzmeerregion aufgewachsen. Dass gerade dort jetzt Krieg herrscht, lässt beispielsweise bei meinem Vater, der 1936 in Michelsburg geboren wurde, Kindheitserinnerungen hochkommen. Unter den Jüngeren nehmen wir dagegen eine fast schon hyperaktive Hilfsbereitschaft wahr, insbesondere unter kirchlich Sozialisierten. Im Miteinander der Generationen geht es gerade darum, die Realität zu verarbeiten und Ängste, etwa vor einem Dritten Weltkrieg, einzuordnen und zu bewältigen.

Gibt es Zahlen zu politischen Einstellungen unter Russlanddeutschen?

Das Wahlverhalten der Russlanddeutschen bei der Bundestagswahl 2017 wurde umfassend analysiert. Der Anteil der AfD-Wähler unter den Russlanddeutschen unterschied sich nicht signifikant vom entsprechenden Wert in der Gesamtbevölkerung. Das Klischee, Russlanddeutsche seien besonders rechtspopulistisch eingestellt, stimmt also nicht.

"Eine Brücke zu Geflüchteten schlagen"

Sollten sich Russlanddeutsche aus Ihrer Sicht zum Ukraine-Krieg positionieren?

Ja! Wer einen russlanddeutschen Hintergrund hat, steht in der Pflicht, sich mit seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Und dann würde ich gern von jedem Russlanddeutschen hören: Krieg ist scheiße. Punkt. Denn das Schicksal der Russlanddeutschen - Deportation, Zwangsarbeit, Verlust der Sprachkenntnisse - ist so eng mit Krieg und Kriegsfolgen verbunden, dass es hier keine zwei Meinungen geben kann. Alle anderen Aspekte, die etwa die Geschichte der Ukraine oder die Rolle der NATO betreffen, müssen jetzt in den Hintergrund treten. Mir fehlt bei verschiedenen Äußerungen zum Ukraine-Krieg, auch aus dem russlanddeutschen Kontext, die ernsthafte Erschütterung angesichts des jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelangen Leides, das auch dieser Krieg zur Folge haben wird. Gerade wir Russlanddeutschen müssen aus einem Bewusstsein für die eigene Geschichte heraus auf Verständigung und Versöhnung setzen und mit unseren Kultur- und Sprachkenntnissen eine Brücke zu den Geflüchteten aus der Ukraine schlagen.

Gilt das auch für Menschen, die sich aus Sorge um ihre Angehörigen in Russland nicht deutlich positionieren möchten?

Wir leben in einem freien Land. Natürlich darf es kein gesellschaftliches Klima geben, in dem gesagt wird: "Schüler X, steh auf und sag, wie du es hältst." Der Austausch über Positionen kann nur in einem freien Diskurs stattfinden.

Wenn man mit Russlanddeutschen über den Krieg in der Ukraine sprechen möchte – was raten Sie einem da?

Natürlich sollte man sich erst mal mit der russlanddeutschen Geschichte auseinandersetzen. Mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten, sich zu informieren, etwa über das Onlineangebot der Bundeszentrale für politische Bildung. Dann könnte man das Gespräch suchen über die Verantwortung, die aus der russlanddeutschen Geschichte erwächst. Wenn sich im Gespräch herausstellen sollte, dass es sich beim Gegenüber um einen Putinisten handelt, ist der kontroverse Meinungsstreit gefragt – aber immer in dem Bewusstsein, dass dieser Streit vor dem Hintergrund des eigenen Diktatur- und Kriegsfolgeschicksals stattfindet.

"Deutschland hat die Vermittlerposition"

In der Geschichte gab es extreme Nähe und extreme Distanz zwischen Deutschland und Russland. 1922 schlossen beide Länder gegen den Willen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs den Freundschaftsvertrag von Rapallo, 1941 begann die Wehrmacht einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Was macht das deutsch-russische Verhältnis so speziell?

Es gibt seit dem Mittelalter eine historische Verbindung zwischen den beiden Ländern. Sehen Sie sich nur Moskau an: Ohne deutsche Architektur wäre die Stadt nur die Hälfte von dem, was sie heute ist. Sehen Sie sich Zarin Katharina II. an, auf deren Einladung die Russlanddeutschen gekommen sind. Sie war eine Deutsche. Diese Verflechtungen mussten sich in der Politik und der kulturellen Zusammenarbeit niederschlagen. Die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war jedoch geprägt durch das aggressive Gegeneinander zweier diktatorischer Systeme, die zwar an einigen Stellen Verbindungen kannten, etwa leider den Antisemitismus, aber insgesamt eindeutig in einer Konkurrenzsituation standen. Die Entwicklung nach 1945 ist nur vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu verstehen. Deutschland musste eine ausgleichende Rolle spielen, da ein Teil des Landes sich noch im sowjetischen Machtbereich befand. Diese Vermittlerposition hat Deutschland seither beibehalten. Die aktuelle Entwicklung in Russland, etwa die Einschränkung von Freiheitsrechten oder der Abzug westlicher Unternehmen, erinnert stark an finsterste Sowjetzeiten. In diesem Kontext grenzt sich Deutschland nun deutlicher von Russland ab.

Wie bringt sich das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in die Geflüchteten-Hilfe ein?

Mit Unterstützung von Aussiedler-Freikirchen sowie der Lippischen Landeskirche haben wir eine Koordinatorenstelle eingerichtet, um die akute Notsituation zu überbrücken und Geflüchteten vorübergehende Unterkünfte zu vermitteln. Mittelfristig gehen wir davon aus, dass die Geflüchteten aus den privaten Unterkünften in Massenunterkünfte ziehen werden. Ab diesem Zeitpunkt wollen wir über Begegnungen Völkerverständigung vor Ort gestalten. Wie lange die Geflüchteten aus der Ukraine hierbleiben und ob sie eines Tags zurückkehren werden, weiß zum jetzigen Zeitpunkt kein Mensch. Deshalb ist Völkerverständigung das Gebot der Stunde. In den nächsten Jahren werden wir als Museum die Themen Frieden und Völkerverständigung noch stärker als bisher ins Zentrum unserer Arbeit rücken.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Museum hin oder her – am meisten erreichen Sie über die Schulbildung. Ich bin fassungslos, dass dieses Thema bis heute nicht auf dem Kernlehrplan im Fach Geschichte steht. Doch in den letzten Jahren ist schon viel passiert, was die Aufmerksamkeit für russlanddeutsche Anliegen angeht. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch das noch verwirklichen werden. Meine Vision ist ein richtig guter Spielfilm zur Geschichte der Russlanddeutschen mit einem bekannten Kopf wie Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Genug Material dafür hat die russlanddeutsche Story auf jeden Fall.

Infobox

Wer sind die Russlanddeutschen?

Seit dem 18. Jahrhundert sind Deutsche der Einladung der russischen Zarin Katharina II. gefolgt und haben sich im Gebiet des heutigen Russlands und der heutigen Südukraine angesiedelt. Unter Stalin wurden die Russlanddeutschen diskriminiert und während des Zweiten Weltkriegs nach Kasachstan deportiert und zur Zwangsarbeit genötigt. Stalin wollte mit seiner Entkulturalisierungspolitik die kollektive Identität und das kollektive Bewusstsein der Russlanddeutschen zerstören. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich ein Teil der Russlanddeutschen auf deutschem Territorium, wurde von den sowjetischen Besatzern zur Rückkehr in die Sowjetunion gezwungen und dort kollektiv wegen Kollaboration mit Lagerhaft bestraft. In den 1970er Jahren ermöglichte die Bundesrepublik Deutschland dieser Gruppe die Rückkehr nach Deutschland. Seit 1992 haben alle Russlanddeutschen, die in ehemaligen Sowjetrepubliken leben, das Recht, als Spätaussiedler nach Deutschland zurückzukehren.

Nach Angaben des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte sind rund 2,4 Millionen Russlanddeutsche aus einem ehemaligen Land der Sowjetunion eingewandert. Heute leben in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, die mindestens ein russlanddeutsches Elternteil haben, das in der Sowjetunion oder einem Nachfolgestaat geboren wurde. Die Russlanddeutschen sind die größte Einwanderergruppe in Deutschland. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion leben noch etwa 650.000 Russlanddeutsche.

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Krieg ist Scheiße , welch eine wahre Aussage , so ordinär es auch klingen mag , es ist die brutale Wahrheit. In meiner Welt des Glaubens , bin evangelisch und meine Frau und Tochter sind katholisch, mein Schwiegersohn ist evangelisch , also eine Patchworkfamilie der Glaubenswelt des Christentums hier in Deutschland. Natürlich gibt es viel mehr Glaubensrichtungen in Deutschland. Aber alle die ich gesprochen habe sind der selben Meinung in etwa das Putin ein Vasall des Teufels ist und hinweggefegt werden muss , zum Wohle der Ukraine aber auch der Russen selbst . Man muss der militärischen Führung der Russen klar machen das sie missbraucht werden, das es hier nicht um Verteidigung des russischen Staatsgebietes geht sondern um die Abschlachtung eines souveränen Staates der zu einem großen Teil auch von Ukrainischen Russen bewohnt wird . Diese 2 Volksgruppen , also Ukrainer und ukrainische Russen wären wahrscheinlich nie auf die blöde Idee gekommen sich zu bekämpfen . In der Glaubenswelt der Christen gab es schon immer Differenzen was den Ritus und andere Dinge der Kirche anbelangt . Beispiel die Wandlung beim Abendmahl, da gehen die Ansichten der Deutung des Geschehens deutlich auseinander . Aber deswegen sind wir doch noch Christen die unserem Gott dienen , wir sind bei allen diversen Jünger Jesus Christus . Ich schreibe das um sicher zu stellen das mir der Krieg in der Ukraine sehr nahe geht und das geht nicht nur mir so . Orthodoxe Christen , vor allem ihre Kirchenführer , müssen sich klar gegen die Aktionen vom politischen Russland stellen . Auch die Russisch-Orthodoxe Kirche ist verantwortlich was da passiert . Eine Kirche die so tut als wäre nichts geschehen oder sogar unterstützt ist nicht besser als Putin . Ein Patriarch der so viel Einfluss auf die Leute hat , auch auf Soldaten , könnte unter Umständen einen Umsturz herbei führen und Russland vor weiteren kriminellen Handlungen bewahren . Ein sehr deutliches Zeichen wäre das sie Putin exkommunizieren wenn er nicht zur Vernunft kommt . Kirche ist nicht nur beten und schöne Gewänder tragen , schön singen in toll geschmückten Kirchen , es ist auch die dreckige Arbeit die geleistet werden muss . Sie ist gefährlich , Zweifels ohne aber Jesus ist auch verhaftet worden und ans Kreuz genagelt worden für unsere Sünden . Ist das nicht ein Beispiel das die Kirchenfürsten in Russland zu einer unmissverständlichen Haltung gegen diesen Krieg veranlassen sollten . Ich bin überzeugt das dies einen großen Einfluss hätte , auch bei den Soldaten . Aber so ist es ja viel besser , man sagt nicht ja und auch nicht nein zu diesem Thema seitens der Kirche , man verkriecht sich in die Gotteshäuser und in den Predigten kein Wort zum Krieg , man tut so als gäbe es ihn nicht . Gott aber wird euch zur Rechenschaft ziehen , da bin ich mir sicher , Der Krieg ist das Werk des Satans , und wer sich nicht dagegen auflehnt wird zum Handlanger des Satans
.

Und wer sich dann noch als Selbstgerechter über das Leid der anderen erhebt, verrät seine Werte. Die Nächstenliebe allein ist ein hohler Begriff, wenn nicht Taten folgen. Ein schöner Wunsch (Putin muss sofort den Krieg beenden!) ist keine Absicht, geschweige denn eine Tat. Liebe erfüllt sich erst durch den Dienst am Nächsten, seinen Schutz und die Fürsorge. Wer sich selbst liebt (Wie Dich selbst!) will Leben, Frieden und Freiheit. Wer für den Nächsten nicht sorgt, ist unwürdigt des Segens, den er zu haben glaubt

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