Corona: Wiedersehen nach langer Zeit

Wie geht es dir, Mama?Irving Villegas
Wie geht es dir, Mama?
Wie geht es dir, Mama?

Irving Villegas

Manchmal, wenn etwas fehlt, macht Christina mittags einen Ausflug zum Markt. Sie ist viel allein.

Zwei Jahre. So lange hat der Fotograf Irving Villegas wegen der Pandemie seine Mutter Christina, 72, nicht gesehen. Sie lebt in Mexiko-City, er in Hannover. Im vergangenen November, als sie beide geimpft waren, traute Villegas sich, die Mutter zu besuchen. Was er alles verpasst hatte! Villegas wollte nachholen, was ihnen verwehrt geblieben war: gemeinsam erlebte Zeit. Zwei Wochen lang begleitete er sie überall hin, zum Sport, auf den Friedhof, ins Café. Und hörte ganz viel zu. Sein Tagebuch.

 Irving Villegas

Meine Mutter und ihr Freund Pepe ­träumten davon, zusammenzuziehen und zu ­heiraten. Im Dezember 2020 starb er an Covid-19. Sie hatten sich wochenlang nicht gesehen, dann konnten sie sich nicht mal voneinander verabschieden. "Pepe mochte es, wenn ich mir die Lippen schminkte", erzählt sie. ­Mutter zeigt mir, wo er ­immer gesessen hatte. ­"Er hat mir den Kaffee ­zubereitet und oft auch das Geschirr abge­waschen."

 Irving Villegas

Die Trauer überkommt sie oft. Sie erzählt viel von ­Pepe. Ab und an kommt eine ihrer Schwestern oder ­einer der Brüder ­vorbei. Meine Mutter und ihre Geschwister ­konnten endlich wieder auf den Friedhof gehen – die Friedhöfe waren in Mexiko fast zwei Jahre ­geschlossen. Das Gras war so hochgewachsen, dass ­einige Gräber kaum zu finden waren. Drei Stunden haben wir alles sauber gemacht, gefegt und frische Blumen hingestellt. Ich war fürs ­Wasserholen zuständig.

 Irving Villegas

Der Sportkurs fand draußen statt, mit ­Abstand und Maske. Die alten Frauen waren nach fast einem Jahr Lockdown und einem weiteren halben Jahr Selbstisolation ­ so froh, endlich wieder raus­gehen zu können. So eine Lebensfreude! Aber immer noch ist fast ­jeder von Mutters Tagen gleich. Aufstehen, frühstücken, ­kochen, fernsehen. Warten, bis abends meine Schwester kommt, mit der sie zusammenwohnt, schlafen gehen. Sport ist bis auf weiteres ­wieder ausgesetzt. Omikron.

 Irving Villegas

Meine Mutter geht regelmäßig in die Kirche. Als ich bei ihr war, machte ich mir Sorgen, dass sie sich beim Abendmahl mit Covid-19 anstecken könnte. "Du gehst in ­Restaurants", antwortete sie, "ich komme hierher, um Gott zu besuchen." Seit ein paar Monaten spaziert ein Rabe ­immer wieder über den Hof ihres Hauses. Von ihrem Fenster aus kann sie den Vogel sehen. "Vielleicht ist es Pepe, der schaut, wie es mir geht."

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Lange Zeit musste Mutter über Whatsapp mit ihren Freundinnen Kontakt halten. Nun können sie auch wieder ins ­Café! Aber die alten Damen sind vorsichtig, sie treffen sich zum Frühstück, bevor der Laden für andere Gäste öffnet.

Text und Fotos: Irving Villegas
Übersetzung: Janine Ahmann

Irving Villegas

Der Foto­graf Irving Villegas, geboren 1982, wollte ­immer raus aus Mexiko und die Welt ent­decken. Mexikanisches Essen hat er so vermisst. Bei seinem letzten ­Besuch hat er ganz viele Tacos gegessen.
Privat

Infobox

Übersetzung: Janine Ahmann

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