Interview mit einem Pfarrer aus Odessa zum Krieg in der Ukraine

"Wir können die Menschen hier nicht verlassen"
Ukraine, Odessa

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Ein ukrainischer Panzer steht am Donnerstag, 24. Februar, vor der Potemkinschen Treppe in Odessa.

ODESSA, UKRAINE - FEBRUARY 24: An Ukrainian military tank is seen near Potemkin Stairs in the centre of Odessa after Russia's military operation in Ukraine on February 24, 2022. Stringer / Anadolu Agency

Der russische Präsident hat seinen Truppen befohlen, die Ukraine anzugreifen. Ein Stimmungsbild aus Odessa von Pfarrer Alexander Gross.

Heute ist Donnerstag, der 24. Februar. In der vergangenen Nacht hat Russland die Ukraine angegriffen. Wie ist die Situation bei Ihnen in Odessa?

Alexander Gross: Derzeit ist es bei uns mehr oder weniger ruhig. Ich habe Raketen gesehen, aber direkt in der Nähe gab es keine Einschläge. Es hat ein Brennstofflager und den Militärflugplatz in Odessa getroffen. Die Rollbahn ist beschädigt. In anderen Gebieten der Ukraine gibt es schwerere Kämpfe. Ich habe in den Nachrichten gehört, dass zehn russische Flugzeuge abgeschossen worden sind. Es soll auch gefangene russische Soldaten geben. Der Krieg ist da.

Alexander Gross

Alexander Gross ist Pfarrer der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) in Odessa.
Sonntagsblatt / Thomas Greif

Wie verhalten sich die Menschen?

Einige versuchen zu fliehen. Ich denke, sie ziehen Richtung Rumänien. Andere haben Panik, das ist nicht gut, denn sie haben viele Lebensmittel gekauft. Es gibt kein Benzin und keinen Diesel mehr an den Tankstellen. Die Schulen haben geschlossen, manche Kinder haben Distanzunterricht. Die meisten Menschen sitzen zu Hause und verfolgen, wie auch ich, die Nachrichten.

Werden Sie in Odessa bleiben?

Ja. Wir sind auch eine Sozialkirche mit Kinderzentrum. Wir können die Menschen hier nicht verlassen. Zweimal in der Woche kochen wir hier, mit bescheidenen Mitteln in einer ganz normalen Küche, für 26 Familien, zum Teil auch in umliegenden Dörfern. Das sind arme, kranke Leute. Für sie müssen wir nun einfach weitermachen.

Haben Sie damit gerechnet, dass es so schlimm kommt?

Nein, das hat mich überrascht. Ich dachte, die Russen schicken nur Truppen in die sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk und bleiben dort. Dass sie Raketen starten, ja, das war auch denkbar. Aber sie kommen mit Menschen, mit Panzern und Hubschraubern. Ich habe im Fernsehen gesehen, dass eine russische Fahne über dem Wasserkraftwerk in Kachowka am Dnjepr weht. Das ist weit weg von der Grenze zur Krim, unvorstellbar. Sie gehen also weiter. Aber ein Land zu erobern ist das eine, ein Land zu halten das andere. Ich glaube nicht, dass sie das schaffen werden.

Was erwarten Sie von den westlichen Nachbarn, speziell auch von Deutschland?

Unterstützung, dass wir zu essen haben, besonders auch für alte Menschen. Für militärische Hilfe ist es zu spät, der Luftraum ist geschlossen. Wir planen heute um 17 Uhr ein gemeinsames Gebet. Beten wir also weiter, um alle Unterstützung, die möglich ist.

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