Schöpfung bewahren – wie geht das?
"Macht euch die Erde untertan", heißt es im Buch Genesis - ist das noch aktuell?
Lisa Rienermann
Was uns die Bibel zu sagen hat
Schöpfung bewahren – wie geht das?
Der Mensch soll die Natur ja auch gestalten, verändern! Wie passt das zusammen?
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
26.01.2022
3Min

Vorgelesen: Religion für Neugierige "Schöpfung bewahren – wie geht das?"

Wer in der Bibel liest, hat es gern eindeutig. Doch schon bei den ersten Erzählungen der Bibel über die Erschaffung der Welt gerät man ins Stolpern. Die Bibel beginnt mit zwei Schöpfungs­erzählungen, die einander zu widersprechen scheinen. Die vermutlich ältere von beiden steht im zweiten Kapitel. Ihr zufolge schuf Gott den Menschen aus Staub, pflanzte einen Garten in Eden, setzte den Menschen hinein und fordert ihn auf, den ­Garten Eden "zu bebauen und zu bewahren". Ein sympathischer Ge­danke, bis ­heute aktuell.

Im ersten Kapitel der Bibel steht die historisch jüngere Erzählung. Sie entstand vermutlich 500 Jahre vor Christus, ist nach sechs Schöpfungs­tagen gegliedert und enthält den folgenreichen Satz: "Macht euch die Erde untertan" (1. Mose 1,28) – oft als Aufforderung missverstanden, die Natur gnadenlos auszubeuten.
Nicht die Schöpfung ausbeuten, sondern sie gestalten und be­wahren – das solle der Mensch tun, ­bekräftigte 1983 der Ökumenische Rat der Kirchen, eine Art Weltkirchen­versammlung.

Nicht erst seither streiten Chris­tinnen und Christen in aller Welt für "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung". Die Schöpfung zu be­wahren, das bedeutet für die Kirchen nicht nur Arten- und Klimaschutz. Es geht umfassender darum, Lebensgrundlagen und -verhältnisse aller Menschen zu schützen: ob sie vom Regenwald am Amazonas leben oder als Banker in Singapur; ob sie sich Inuit nennen oder in der Lausitz mit dem Kohlebergbau leben.

Rodungen im Mittelalter, Industrie im 19. Jahrhundert - was war noch mal der Urzustand?

"Schöpfung bewahren!", das schreiben sich Schülerinnen von Fridays for Future auf ihre Transparente, ­ebenso Menschen, die für eine Verkehrs­wende streiten. Dabei lässt gerade so ein ­Slogan viele Fragen offen. In welchem Zustand soll die Schöpfung bewahrt werden? Wie sie vor der Industrialisierung war oder in der ­Antike – ­Gallien mit seinen endlosen Wäldern – oder so wie im Mittelalter, als für Köhlerei und Bergbau Wälder weiträumig abgeholzt waren? Aus den biblischen Schöpfungserzählungen lässt sich jedenfalls kein von Gott gewollter "Urzustand" der Welt rekonstruieren.

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In der Bibel geht es nicht um das, was einmal war. Ihre Schöpfungserzählungen sind nach vorne gerichtete Lehrtexte, die eine positive Lebenseinstellung vermitteln sollen: dass die Schöpfung in den Augen Gottes gut ist. "Diese Welt ist nicht einem satanischen Gegenspieler abgerungen, sondern gut geschaffen", schreibt etwa Wolfgang Huber, emeritierter Theo­logieprofessor und Bischof: "Dass Gott es mit der Welt im Ganzen ebenso wie mit dem persönlichen Leben jedes Einzelnen gut meint, ist der Grundsinn des Schöpfungsglaubens."

Zugleich vermitteln die Schöpfungserzählungen auch ethische Grundwerte. Besonders wirk­mächtig ist Martin Luthers Zusammen­fassung im "Kleinen Katechismus", das Geschöpf Mensch sei Gott zu Dankbarkeit verpflichtet: "Ich ­glaube, dass mich Gott geschaffen hat mit ­allen Geschöpfen, mit Leib und ­Seele, ­Augen, Ohren und allen Gliedern, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält . . . Für all das habe ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein." Wolfgang Huber betont auch, dass der Mensch Gott "ebenbildlich" erschaffen sei: "Der Mensch gelangt zum Menschsein nicht durch seine ­Eigenschaften oder sein Handeln." Gott verleiht jedem und jeder eine besondere Würde und Bedeutung.

Die biblischen Schöpfungser­zählungen sind Glaubensdokumente, zweieinhalb Jahrtausende alt. Sie beschreiben, dass Menschen die Schöpfung Gott verdanken und deshalb für sie Verantwortung übernehmen sollen. Die biblischen Autoren kannten diese Schöpfung anders als wir. Hätten sie geahnt, was in den Jahrhunderten nach ihnen daraus werden würde, es hätte sie zu Tode erschreckt.

Für sie dürften Massentierhaltung und Qualzucht weit entfernt von allem sein, was sie noch für verantwortbares Handeln hielten. Im Vergleich zu diesen Entgleisungen menschlichen Handelns ist die Versuchung, biblische Aussagen politisch zu instrumentalisieren, verzeihlich. Dass so alte Erzählungen überhaupt ihre Kraft behalten haben, spricht für sie.

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Gott bedeutet Vernunft, Mensch bedeutet ALLE / die Ganzheitlichkeit sind/ist vernunftbegabt und soll ebenbildlich die Schöpfung untertan machen
/ in universeller Ordnung beherrschen, damit die Vorsehung / der schöpferische Zweifel / die göttliche Sicherung überwunden wird und das Jüngste Gericht die Eigenverantwortung (seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung / Vertreibung aus dem Paradies) mit dem Freien Willen belohnt und es einen weiteren Versuch Geist-Seele mit den "144000 auf dem Berg Zion" nicht braucht.

Doch bisher gibt es wenig Hoffnung, daß Mensch die Eigenverantwortung und somit den geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies" erkennt und gottgefällig/vernünftig umsetzt - wettbewerbsbedingte Konfusion in egozentriertem "Individualbewusstsein", anstatt Fusion zu Möglichkeiten eines geistig-heilenden Selbst- und Massenbewusstseins.

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Sind die beiden ersten Kapitel der Bibel "Schöpfungstexte"?

Ich glaube das nicht mehr.
Sie gehören m.E. in den Zusammenhang der ganzen Urgeschichte.
Es geht nicht darum, wie es war, sondern um zwei Utopien angesichts der Realität, es geht um diese Realität, es geht um die Beziehungen der Menschen zu dieser Realität und zu Gott.

Worum es nicht geht: Um Schöpfung. Also wie diese abgelaufen ist Das ist jeweils nur die Erzählebene, auf der die anderen Fragen verhandelt werden.

Wenn man sich mal auf diesen Gedanken einlässt, gibt es plötzlich viel zu entdecken.

Der babylonische König denkt, er sei das Ebenbild von Gott Sonne. Wir wissen, er hatte Angst vor Gott Mond. In der Bibel ist er Ebenbild einer großen Lampe am Himmel. Auch der Mond ist kein Gott, sondern nur die kleine Lampe. Die Menschen aber sind _alle_ Ebenbilder Gottes, und zwar im Blick auf die Geschlechter gleichberechtigt.
Die Juden beobachteten in Babylon eine Kultur des Aberglaubens und der Götterbilder, die Hochhäuser bauen und den Lauf der Planeten berechnen konnte. Diesen Widerspruch lösen sie zugunsten eines unsichtbaren Gottes auf und einer entmythisierten Natur. Ab jetzt zählen (zugespitzt) Fakten. Nicht der König allein hat göttliche Herrscherfunktion, sondern jeder Mensch und Gott kann nur noch entweder völlig abstrakt gedacht werden oder so, dass er von jedem Menschen repräsentiert wird. Entdeckt da jemand Worte von Jesus aus dem großen Weltgericht wieder (Mt 25)? ("Was ihr getan habt ... habt ihr mir getan!")

Auch die Geschichte mit dem Garten Eden lässt viel entdecken, wenn man sie nicht als Schöpfungsgeschichte liest. Sie benennt menschliche Scham, wo sich doch niemand schämt, wenn man Sex bei Tieren sieht... Sie hält den Menschen den Spiegel vor, wie sie Verantwortung auf andere abwälzen. Das angeblich starke Geschlecht macht vor, wie jämmerlich man Verantwortung nicht übernimmt, sondern abschiebt, Und es beschreibt den Traum unbeschwerten Lebens und die Realität mit Brudermord, Geburtsschmerzen, Schweiß, Krankheit und Tod. Und ruft darin auf, die Hoffnung nicht zu verlieren, sondern in Gott einen Ansprechpartner zu sehen, der einen in all dem nicht allein lässt.

Vielleicht - wenn wir die Texte nicht als Schöpfungstexte lesen würden - hätten wir heute nicht so getan, als lebten wir schon drin und hätten uns auch verteidigungspolitisch anders damit auseinandergesetzt, dass wir eben nicht im Paradies leben, und dass es Menschen geben könnte, die unseren guten Willen hemmungslos ausnutzen und mit militärischer Übermacht die Welt nach ihrem Willen "gestalten" bzw. "erschaffen". Dass Freiheit und Demokratie nicht vom Himmel fallen und selbstverständlich sind, sondern durch Gerechtigkeit und manchmal auch durch Waffen verteigt und erkämpft werden müssen.

Es hängt viel daran, wie man die Bibel lesen will.

Sagt ein ehemaliger aktiver Kriegsdienstverweigerer, der als Krankenhausseelsorger 100e Fehlgeburten zu beerdigen hatte (das ist statistisch viermal mehr im Mutterleib beendetes Menschenleben als in Deutschland abgetrieben wird), der daran merkte, dass wir eben nicht im Paradies leben - eine Erkenntnis, die den Weg in die Militärseelsorge bahnte.

Was "Schöpfung" betrifft, haben die alten Gelehrten 'schon immer' gesagt, dass man die "Urgeschichte", die ersten Kapitel der Bibel, als Ganzes lesen müsse. Was man wohl irgendwann einfach wieder vergessen hat.

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