Stillstand gegen Aufbruch, Alt gegen Jung?
Auf die neue Bundesregierung kommen viele Aufgaben zu. Eine davon: die drohende Spaltung zwischen Alt und Jung, die sich im Wahlergebnis deutlich zeigt
Tim Wegner
27.09.2021

Olaf Scholz und die SPD haben die Bundestagswahl gewonnen. Knapper als gedacht? Oder doch eher sensationell, weil die Sozialdemokratie bis weit in den Sommer hinein im Umfragetief festhing, ohne jede Hoffnung auf Besserung? Darüber lässt sich streiten.

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Klar ist aber, dass das Kalkül von Scholz aufgegangen ist. Er hat eine Sehnsucht bedient, die Angela Merkel 16 Jahre lang personifiziert hat: im Zweifel lieber reagieren als agieren, verwalten statt gestalten, abwarten statt vorpreschen. Scholz pochte darauf, es sei ein Spaß gewesen, als er im Wahlkampf die Merkelsche Raute imitierte. Aber man kann ihm ruhig Absicht unterstellen. Seine Botschaft übertrug sich auf eine Partei, die ihn selbst als Vorsitzenden nicht gewollt hatte.

Die Älteren sehnen sich nach der Raute ...

Interessant ist, wer sich nach der Raute sehnt. Es sind die Älteren. Die Meinungsforscherinnen und -forscher von "Infratest dimap" haben ermittelt, dass die SPD in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen 32 Prozent und bei den über 70 Jahre alten Wählerinnen und Wählern 35 Prozent an Zustimmung erreichen konnte. Die CDU holte in beiden Bevölkerungsgruppen 28 und 38 Prozent. Nur bei den Älteren sind SPD und Union noch Volksparteien. Bei den 60- bis 69-Jährigen wählten 60 Prozent Rot oder Schwarz, bei den über 70-Jährigen sind es sogar 73 Prozent. Wandel und Veränderung? In der Gruppe, die mittlerweile 38 Prozent der Wählerschaft stellt, ist das offenbar eher unerwünscht.

Grüne und FDP sind aus der Opposition in den Wahlkampf gestartet. Auch wenn sich die Programme beider Parteien in Teilen extrem unterscheiden, stehen sie im Gegensatz zur Großen Koalition naturgemäß für Veränderung und Dynamik. Zum Pariser Klimaschutzziel bekennen sich beide. Unter den Wählerinnen und Wählern, die 34 Jahre und jünger sind, haben 44 Prozent Grüne und 36 Prozent FDP gewählt.

... und die Jüngeren nach Dynamik

Die Wahl offenbart einen Generationenkonflikt. Die Union sieht sich als geborene Regierungspartei. Oft wird übersehen, dass sie – gemessen an diesem Anspruch – mit 32,9 Prozent schon vor vier Jahren ein schwaches Ergebnis erzielte. Nun hat sie 8,8 Prozentpunkte verloren. Aus diesem Desaster den Anspruch abzuleiten, eine Regierung anzuführen, ist vermessen.

Es wird also vermutlich eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP sein, die vor zahlreichen Problemen steht – Klimaschutz, Digitalisierung, Wohnungsnot, Deutschlands Rolle in Europa und der Welt, Afghanistan … Viel ist liegen geblieben. Über ihre lange To-do-Liste können die Koalitionäre der Zukunft leicht übersehen, dass die Zahlen des Wahlabends einen Generationenkonflikt dokumentieren, der gefährlich ist.

Die neue Regierung tut gut daran, diesem Konflikt auch mit einem neuen Zuschnitt von Ministerien Rechnung zu tragen. Für Digitalisierung. Für Klimaschutz. Für Jugend und Familien, dann aber bitte ohne Leitung, die - wie Franziska Giffey - mitten in der Corona-Not abspringt.

Die Jungen sollten das einfordern. Sie wollen nicht mehr verwaltet werden. Sie wollen gestalten. Dann mal los!

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