Für Jugendliche - Pandemie, läuft das jetzt besser?
Für Jugendliche - Pandemie, läuft das jetzt besser?
Lu Yang/Xinhua/Eyevine/laif
Was wird besser nach der Pandemie?
Corona leuchtet in dunkle Ecken, so hieß es zu Beginn der Pandemie. Missstände würden jetzt endlich deutlich. Wir haben nachgehakt – echt jetzt? Wird’s heller?
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Tim Wegner
Tim Wegner
26.08.2021

"Nach Corona wird nichts mehr so sein wie vorher!"

"Die Pandemie zeigt, dass wir von heute auf morgen alles verändern können, wenn wir müssen!"

"Corona hat wie unter einem Brennglas offengelegt, was falsch läuft!"

Das waren typische Sätze, die neben all dem Leid, das das Virus mit sich brachte, bei vielen Menschen auch Hoffnungen weckten, dass sich wirklich etwas verändern könnte.

Im Frühjahr 2020 starteten wir deshalb unsere Serie "Und danach?" und interviewten Expertinnen und Experten, was Corona für ihre Fachgebiete verändert - und was vielleicht dauerhaft besser werden kann, wenn die Pandemie überstanden ist.

Corona begleitet uns noch immer, leider. Aber rechtzeitig zur Bundestagswahl 2021 haben wir bei einigen Interviewpartnern nachgefragt:

Was läuft denn besser, was schlechter für...

 

... Mütter, die allein erziehen?

Das hoffnungslose Elend armer Alleinerziehender wurde in der Coronakrise deutlich. Schon Stromnachzahlungen können für sie zum Alptraum werden. Auch konnten alle sehen, wie schlecht bezahlt Pflegekräfte sind.

Einen Aufschrei gab es – aber es ändert sich nichts. Nach wie vor haben die Armen keine Lobby in der Politik. Sie bleiben die Vergessenen und Abgeschriebenen unserer Gesellschaft. Ich hoffe, im Wahlkampf wird ein bedingungs­loses Grundeinkommen für Arme zum Thema.

Hans Mörtter ist evangelischer Pfarrer in Köln.

 

... Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Familien?

Nur wenige meiner Schülerinnen und Schüler sind unbeschadet durch die Lockdowns gekommen. Denn gerade Lernende aus bildungsfernen Elternhäusern sind fachlich ins Hintertreffen geraten und können sich noch weniger konzentrieren als vor Corona. Auch ihr Körpergefühl und die Umgangsformen scheinen sich nachteilig verändert zu haben. Für uns war die Arbeit im Wechselmodell besser, weil wir mit Lerngruppen von maximal zwölf Jugendlichen arbeiten konnten.

Ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft nun ein wenig mehr auf den Bildungsbereich schaut, und bin verhalten optimistisch, dass wir auch künftig in gut ausgestatteten, kleinen Klassen mit ausreichend Personal und Material unterrichten können. Der Fokus, der im Moment auf der Digitalisierung liegt, enttäuscht mich. Denn gerade Lernende an Schulen wie unserer und auch jüngere Kinder brauchen den persönlichen Kontakt – letztlich brauchen ihn alle Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern. Kein Tablet kann echten Unterricht oder die Schule als Lebens- und Lernort ersetzen. All das Geld, das gerade in Tablets gesteckt wird, wäre sinnvoller genutzt, wenn auf jede Schule ein Stockwerk mit Klassenräumen gesetzt und mehr Lehrpersonal eingestellt würde.

Julia Wöllenstein ist Lehrerin an der Carl-Schomburg-Schule, einer Gesamtschule in Kassel.

 

... Jugendliche?

Bei der Telefonseelsorge telefonieren und chatten wir mit Menschen. Über die Chats melden sich jetzt sehr viel mehr 15- bis 19-Jährige bei uns als vor der Pandemie. Sie klagen über Ängste, Einsamkeit und haben Probleme mit dem Selbstbild. Uns erschreckt besonders, dass die Jugendlichen vermehrt von psychiatrischen Diagnosen sprechen. Die Politik hatte zu sehr die Überlastung der Intensivstationen im Blick, die Bedürfnisse der Jugendlichen wurden vernachlässigt.

Die Telefonseelsorge hat in den vergangenen Monaten viel Wertschätzung bekommen. Auch ohne Pandemie sind wir für viele die einzigen ständig erreichbaren Ansprechpartner, besonders für einsame oder chronisch psychisch kranke Menschen. Wir hoffen, dass künftig ­Organisationen und Vereine, die Menschen ­begleiten und ihnen zuhören, staatlich besser gefördert werden.

Vor allem die jungen Menschen haben in der Pandemie große Opfer gebracht. Jetzt sollten wir Älteren etwas zurückgeben, indem wir uns für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen und ­alles tun für eine gute Kultur des Zusammen­lebens, die unsere Welt für jungen Menschen lebenswert macht und erhält.

Frank Ertel ist Pfarrer, Psychotherapeut und ­leitet die Telefonseelsorge Aachen.

 

... die Grundrechte?

Statt zu überlegen, wie man die Einschränkungen der Grundrechte schrittweise wieder aufheben kann, hat der Staat mit der sogenannten Bundesnotbremse ein Gesetz verabschiedet, das noch tiefer in die Grundrechte der Menschen eingriff als sämtliche Schutzmaßnahmen zuvor. Dadurch wurde auch die Schließung von Bildungseinrichtungen zementiert. Die Auswirkungen auf das Leben unserer Kinder sind enorm. Besorgniserregend ist auch, dass die Bundesnotbremse im Bundesinfektionsschutzgesetz verankert war.

Verfahren vor den Verwaltungsgerichten der Länder waren nicht mehr möglich, es blieb nur die Verfassungs­beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch bei künftigen Krisen könnte der Staat versucht sein, Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger faktisch auszuschalten, indem er Maßnahmen in einem Bundesgesetz verankert.

Andrea Edenharter lehrt Verwaltungsrecht und Allgemeine Staatslehre an der Fernuniversität Hagen.

 

....die Demokratie und den Kampf gegen Verschwörungsmythen?

Donald Trumps Abwahl hat in den Verschwörungsideologien QAnon und "Querdenker" zu Spaltungen und Verfallserscheinungen geführt. Manche Verschwörungsgläubige leiden still, einige lernen daraus, andere stürzen sich umso fanatischer in die nächsten angeblich jüdisch-linken Weltverschwörungen wie den sogenannten "Kulturmarxismus" oder die vermeintliche Impf- und Klimakrisenverschwörung des "Great Reset".

Unsere Demokratie hat standgehalten, aber nicht alle Menschen aus dem Verschwörungsglauben holen können. Viele Leute wollen Antisemitismus und Verschwörungsglauben nur in anderen ­Milieus wahrnehmen. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Ulm am 5. Juni wollten viele nur wissen, aus welchem Land der Täter kam. Wir suchen weiterhin lieber nach den Splittern im Auge anderer als nach dem ­Balken bei uns selbst.

Michael Blume ist Beauftragter der ­Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus.

 

... arme, hoch verschuldete Länder?

Zu Beginn der Pandemie boten die G20 den 73 ärmsten Ländern ein Schuldenmoratorium an, also die Aussetzung ihres Schuldendienstes, damit sie mehr Geld zur Bekämpfung des Virus zur Verfügung haben. Doch viele Länder im globalen Süden waren bereits vor dem Ausbruch von Corona so hoch verschuldet, dass die Aussetzung des Schuldendienstes nicht reichte. Echte Schuldenerlasse hat es kaum gegeben. Länder mit einem mittleren Durchschnittseinkommen haben keinen Zugang zu den Initiativen der G20 und des Internationalen Währungsfonds, private Gläubiger haben sich am G20-Schuldenmoratorium nicht beteiligt, und bis heute wurden keine Regeln geschaffen, um sie verbindlich einzubeziehen. Über 95 Prozent der Schuldendienstzahlungen von Entwicklungsländern waren daher nicht Teil des Moratoriums. Die Initiative war also nur ein sehr kleiner Tropfen auf dem sehr heißen Stein.

Kristina Rehbein arbeitet im Entschuldungsbündnis erlassjahr.de.

 

... Fairtrade?

Die globalen Themen fairer ­Handel und die Klimakrise sind durch die Pandemie endgültig keine Randthemen mehr, das ist gut. Aber die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit weltweit hat sich verfestigt und ver­größert. Die Verteilung der Impfstoffe macht mir große Sorgen, und ich appelliere an alle Verantwortlichen, hier mehr Druck und Geschwindigkeit aufzubauen. Globale Herausforderungen wie die Pandemie und die Klimakrise können nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn wir global ­zusammenarbeiten. Auch deshalb brauchen wir nach der Bundestagswahl einen "fairen" Aufbruch in der Handelspolitik.

Das Lieferkettengesetz muss nachgeschärft ­werden, und wir brauchen Klimagerechtigkeit zugunsten der Schwächsten. Von Sonntagsreden und der ­Betroffenheit der Menschen in reichen Ländern allein werden Menschen in Ländern des globalen Südens nicht satt, das geht nur über bessere Preise und höhere Einkommen. Die öffentliche Hand muss als Vorbild voran­gehen und sich beim Kauf von Produkten verbindlich an soziale und ökologische Kriterien halten.

Dieter Overath ist Vorstands­vorsitzender von Transfair e. V.

Leseempfehlung

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Skateboard aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.