Caspar David Friedrich
Schauen lernen mit dem Mönch
Alles, was man braucht, ist ein Horizont. Dann kommt das Staunen von selbst
Das Kunstwerk - "Mönch am Meer", Caspar David Friedrich
Caspar David Friedrich: "Mönch am Meer" (1808-1810)
bpk/National Galerie, SMB / Andres Kilger
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
07.07.2021

Geben Sie es zu: Wenn der Mönch nicht wäre, müsste man Ihnen schon sagen, dass das hier Küste, Meer und Himmel sind. Die Elemente gehen ineinander über. Schicht auf Schicht hat der berühmteste Maler der deutschen Romantik, Caspar David Friedrich, aufgetragen, um die Konturen verschwimmen zu lassen. So viel Himmel! Fast schon abstrakt. Ein unerhörtes Arrangement. Im Vergleich zu den Naturgewalten erscheint der Mensch winzig. Der Mönch, ein Diener Gottes, so wie der gläubige Protestant Caspar David Friedrich sich wohl auch selbst gern verstand, steht ehrfürchtig vor der Schöpfung.

Den einen gilt und galt das Gemälde "Mönch am Meer", entstanden zwischen 1808 und 1810 (übrigens keine Auftragsarbeit, wie für Maler zu der Zeit sonst üblich), als Bild der Frömmigkeit. Anderen wiederum war es ein Trostbild – wie dem 15-jährigen Kronprinzen von Preußen, Friedrich Wilhelm IV. Der trauerte um seine Mutter, Königin Luise, und wollte den "Mönch am Meer" angeblich unbedingt haben.

Menschen mit Hang zum Existenzialismus hingegen sehen in Caspar David Friedrichs bekanntestem Gemälde ein Sinnbild für Werden und Vergehen, für Endliches und Unendlichkeit.

Und tatsächlich: Mit dem Mönch zusammen kann man regelrecht eintauchen in die Szenerie. Wenn das Bild nicht für eine Sonderausstellung ausgeliehen ist, hängt es in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Wenn man das Piepsen der Überwachungsanlage ignoriert und ganz nah rangeht an das Bild, so nah, dass der Rahmen sich auflöst, kann sich als Teil mächtiger Elemente erleben. 2019 konnten Besucherinnen und Besucher sogar mittels Virtual-Reality-Brille in das Bild tauchen, sich neben den Mönch stellen und raus aufs Meer schauen.

Eines blieb jedoch unmöglich, so sehr man den Kopf auch wendete: Das Gesicht des Mönchs ließ sich selbst mit digitaler ­Hilfe nicht ausmachen, der Kerl dreht sich einfach immer weg. Die Rückansicht ist ­Caspar ­David Friedrichs künstlerischer Clou, eine ­Einladung, mit ins Bild zu steigen. In ­seinem Werk ist von etlichen Personen nur der ­Rücken zu sehen. Mit ihnen schaut man aus einem Fenster oder blickt auf ein Gebirge. Bei Restaurationsarbeiten ließen sich unter der finalen Farbschicht des "Mönchs am Meer" drei Schiffe ausmachen, die der Künstler ursprünglich auf die schäumende See gemalt hatte. Aber das war Caspar ­David Friedrich dann wohl etwas zu konkret als Blickfang. Zum Glück! Die Spannung entsteht ja auch gerade daraus, dass sich nicht entschlüsseln lässt, wohin der Mönch das Auge wandern lässt.

Wohin würden Sie schauen an seiner Stelle? Vielleicht hat er die Augen geschlossen? Ein Rätsel, das ungelöst bleibt, aber gerade deshalb zur Auflösung der Elemente beiträgt, derer man hier teilhaftig wird. 200 ­Jahre nach Entstehen lässt sich mit diesem Bild schauen lernen. Sie müssen dafür gar nicht ins Museum. Öffnen Sie das Fenster, stapfen Sie auf einen Hügel oder stellen Sie sich im Sommerurlaub an die Küste wie der Mönch; alles, was Sie brauchen, ist ein Horizont. Das Staunen kommt von selbst.

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