Die Entscheidung - Die Jazzbaronin
Über 20 Kompositionen wurden ihr gewidmet: Pannonica de Koenigswarter
Laura Breiling
Verliebt in die Musik
Die Jazz­baronin
Eine Rothschild- Tochter, verheiratet mit einem französischen Adligen, hört "Round Midnight". Das Lied verändert ihr Leben
Tim Wegner
07.07.2021
3Min

Drei Minuten und elf Sekunden dauert der Song, der das Leben von Baronin Panno­nica de Koenigswarter auf den Kopf stellte. ­ Ende der 1940er in New York: De Koenigs­warter besucht einen Freund. Der legt eine Jazzplatte auf: "Round Midnight" von Thelonious Monk. "Ich traute meinen Ohren nicht. Ich hatte noch nie so etwas gehört", sagte sie später. "Ich muss sie 20-mal am Stück gehört haben. Ich verpasste mein Flugzeug. Tatsächlich ging ich nie wieder zurück nach Hause."

De Koenigswarter ließ alles hinter sich: ihren Mann, ihre Kinder, ihr ­Leben in der High Society. Stattdessen wurde sie Förderin und Freundin von Jazzmusikern wie Miles Davis, Charlie "Bird" Parker und vor allem Thelo­nious Monk. Als Spross der reichen Rothschild-Familie hatte sie bis dahin ein Leben geführt, das mit dem der armen schwarzen Jazzmusiker ­wenig gemein hatte. 1913 in London ge­boren, wuchs Pannonica Rothschild, genannt Nica, auf einem großen Anwesen auf. Ihre Familie erwartete, dass sie einen reichen Mann heiratet und Kinder kriegt. 1935 vermählte sie sich mit dem französischen Baron Jules de Koenigswarter. Sie bekam fünf Kinder und kämpfte im Zweiten Weltkrieg für den Widerstand. Nach dem Krieg lebte sie in Mexiko, wo ihr Mann als Botschafter arbeitete. Dann hörte sie "Round Midnight" und blieb in New York.

Die Musiker wurden ihre neue ­Familie. Aus Pannonica de Koenigswarter wurde die Jazzbaronin Nica, die, wie der Falter, nach dem ihr ­Vater sie benannt hatte (Eublemma pannonica), nachtaktiv war. Sobald die Sonne unterging, fuhr sie mit ihrem silbergrauen Bentley zu berühmten Jazzclubs wie dem Five Spot Café oder dem Birdland. Meist saß sie mit einem Whiskey vor der Bühne, rauchte und hörte ihren Freunden zu.

Immer wieder half sie ihnen aus der Klemme, besorgte Anwälte, organisierte Schlafplätze und bezahlte Beerdigungen. Im Amerika der 1950er Jahre war es schwarzen Musikern oft nicht erlaubt, in dem Restaurant zu essen, in dem sie auftraten. Nica lud sie in ihre Luxussuiten ein. Als in ihrem Hotelzimmer der heroinabhängige Saxofonist Charlie "Bird" Parker starb, warf man sie raus. Kurzerhand kaufte sie ein Haus mit Blick auf den Hudson River, wo sie dann mit 300 Katzen lebte.

Als sich 1942 die Lage im Warschauer Ghetto immer mehr zuspitzte, griff Irena Sendler zu drastischen Mitteln. Und riskierte das eigene Leben.

Erst 1954 lernte sie Thelonious Monk kennen. Zwischen der reichen Adligen und dem mittellosen Musiker entwickelte sich eine enge Freundschaft. Sie war begeistert von seinem Klavierspiel und bezeichnete ihn als "achtes Weltwunder". Monks Leben war von Armut, Rassismus und Drogenabhängigkeit geprägt. Mit seiner Familie lebte er in einem schlichten Apartment. Er litt unter Depressionen und Schizophrenie. Manchmal blieb er tagelang wach oder sprach kein Wort, verwüstete Hotelzimmer und verpasste Konzerte. Wegen Drogenmissbrauchs durfte er nicht mehr auftreten.

De Koenigswarter half ihm, seine Lizenz zurückzubekommen, fuhr ihn zu Konzerten und kaufte dem Five Spot Café, wo er auftrat, ein neues Klavier. 1958 landete sie fast für ihn im Gefängnis, als die Polizei in ­ihrem Auto Marihuana fand. Sie tat alles, um Monk ein freies Leben zu ermöglichen. "Im Gegenzug gab er ihr ein unglaubliches Gefühl der Bestimmung und Zugehörigkeit", schreibt Nicas Nichte und Biografin Hannah Rothschild.

Trotz ihrer Fürsorge baute Monk gesundheitlich ab. In seinen letzten Jahren lag er meistens in de Koenigswarters Haus im Gästebett, sprach kaum und spielte kein Klavier mehr. Ihre Freundschaft hielt bis zu seinem Tod 1982. Nica de Koenigswarter sagte später, dass sie nur eines bereue, nämlich "dass ich nicht den richtigen Arzt für Thelonious gefunden habe". Sie selbst starb am 30. November 1988. Über 20 Jazzkompositionen wurden ihr gewidmet. Ihr letzter Wunsch: dass ihre Asche im Hudson River verstreut werde, um Mitternacht, "Round Midnight".

Infobox

Buch und Film

Das turbulente Leben von Pannonica de Koenigswarter ­ ist im Buch "Die Jazz-Baroness" von Hannah Rothschild nachzulesen. Auch der Musikjournalist David Kastin hat ihr eine Biografie, "Nicas Traum", gewidmet.

In Clint Eastwoods Film "Bird" (1988) über Charlie Parker wird de Koenigswarter von Diane Salinger verkörpert. Die Premiere war der letzte öffentliche Auftritt der Baronin.

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